"Es tut weh, an Bedeutung zu verlieren“

Kardinal Karl Lehmann

Hamburg. Nur noch 39 Prozent der Deutschen bezeichnen sich einer Internet-Umfrage zufolge als "religiös". Fast genausoviele outen sich als Atheisten und als "eher nicht religiös". Das berichtet das Hamburger Magazin "Stern" unter Berufung auf die repräsentative Internet-Umfrage "Perspektive Deutschland", die von "Stern", McKinsey, T-Online und dem ZDF initiiert wurde. Den Angaben zufolge beteiligten sich 356.000 Internetnutzer. Somit ist das die grösste Repräsentativumfrage, die es für gesellschaftliche Fragen in Deutschland je gegeben hat. Weltweit, heisst es, gebe es kaum etwas Vergleichbares. Fazit von McKinsey-Direktor Heino Fassbender beim Thema Religion: "An die Kirchen haben viele Bürger offenbar das Vertrauen verloren."

Dass es den politischen Parteien und auch dem Bundestag dabei noch deutlich schlechter geht, wird verantwortliche Kirchenleute kaum trösten. Der Organisation, deren Gründer Jesus gerne mit dem Stichwort "Vertrauen" warb, fehlt eben das Vertrauen - nicht nur der Kirchenfernen. Gerade einmal 11 Prozent aller Deutschen haben hohes Vertrauen in die katholische, 17 Prozent in die evangelische Kirche. Rechnet man Atheisten und Kirchenferne heraus, wird es nicht viel besser: Nur jeder vierte Katholik, jeder dritte Protestant vertraut seiner Kirche in hohem Masse.

Als "eher religiös" bezeichnen sich in Bayern 50 Prozent, in Baden-Württemberg 46 Prozent und in Norddhrein- Westfalen 45 Prozent. In Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und im Saarland sind es jeweils 44 Prozent.

Die geringste Bedeutung hat Religion offenbar in den Stadtstaaten Hamburg (26 Prozent) und Berlin (24 Prozent) sowie in den neuen Bundesländern. In Thüringen nennen sich nur noch 19 Prozent religiös, in Brandburg und Mecklenburg-Vorpommern jeweils 15 Prozent und in Sachsen-Anhalt 14 Prozent.

"Es tut weh, an Bedeutung zu verlieren", sagte Kardinal Karl Lehmann (Mainz), Vorsitzender der katholischen Bischofskonferenz dem "Stern". Kirche habe "im persönlichen Bereich, bei Ehe, Familie, Sexualität offensichtlich nicht mehr viel zu melden". Dort müsse sie "zweifellos in hohem Masse Vertrauen zurückgewinnen".

"Minderheit zu werden ist schwer, Minderheit zu sein, ist es nicht mehr", wird Lehmann weiter zitiert. Auch eine Minderheitenkirche könne Volkskirche sein, "wenn sie die Schwächsten und Ärmsten nicht aus den Augen verliert". Die Mitgliederzahl sei dann "weniger wichtig als unsere Treue zu dieser Aufgabe", so der Kardinal.

Zusehends egal, ob sich Kirchen ändern

Trotz dieser geringen Werte sehen nur 4 Prozent der Bevölkerung Verbesserungen in den Kirchen als vordringliches gesellschaftliches Thema. Und nur, wer eine hohe Kirchenbindung hat und mindestens einmal im Monat zum Gottesdienst ging, nennt den Verbesserungsbedarf "relativ dringend": 30 Prozent der Katholiken, 27 Prozent der Protestanten.

Liest man das zusammen, klingt auch das alarmierend: Eine deutlich kritische Sicht der Kirchen, gleichzeitig aber kaum wahrgenommener Reformbedarf - dies, so heisst es in der Untersuchung, "reflektiert die zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft". Den Leuten wird zusehends egal, ob sich die Kirchen noch ändern.

Keine vorschnellen Rezepte

Die detaillierten Antworten, die sich auf die Kirchen beziehen, sollen erst in einiger Zeit vorgelegt werden. Die Kurzfassung der Umfrage macht indes schon deutlich, dass vorschnelle Rezepte unangebracht sind. Denn das vielfach beschworene gemeinsame Abendmahl als Zeichen christlicher Glaubwürdigkeit wollen nur 16 Prozent der Katholiken, 19 Prozent der Protestanten und 7 Prozent der Nichtchristen. Am höchsten noch, jeweils über 40 Prozent der Kirchenmitglieder, sind die Werte jener, die mehr ökumenisches Engagement in den Bereichen Bildung und sozialer Arbeit wünschen.

Quellen: epd/Kipa

Datum: 28.04.2003

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