«Gravierendes Männerproblem»

Ganze Kerle braucht das Land

Der am 9. November 2019 vom «Männerforum» durchgeführte Männertag 2019 in Aarau wurde mit gut 700 teilnehmenden Männer ein Grosserfolg. Dabei ging Hauptredner Johannes Hartl auf das grosse Problem ein, das Männer in unserer Gesellschaft heute haben.
Dr. Johannes Hartl (Bild: Facebook)
Tinu Schweizerhof (links) mit Band
Thomas Hubel (links) und Johannes Hartl

Tinu Schweizerhof und Band heizten die eh schon aufgekratzte Stimmung im grossen Saal der Freien Christengemeinde (FCG) mit sattem Worship noch zusätzlich auf. Thomas Humbel vom Leitungsteam der Männerorganisation «Männerforum» begrüsste Andrew Andes, Leiter der Kampfkunstschule «Arnis Club Zürich», der leidenschaftlich für seine Gott ehrende philippinische Kampfkunst und deren geistlichen Aspekte warb und mit einem Kollegen gleich mit Holzstock und Messer zu Werke ging. Danach kam der Hauptreferent Dr. Johannes Hartl, studierter Germanist, Philosoph, Redner, Buchautor und Gründer vom Gebetshaus in Augsburg (D) – dort, wo seit Herbst 2011 ununterbrochen gebetet wird und die jährliche «Mehr-Konferenz» (gleich nach Neujahr) bereits gut 10'000 Leute anzieht – gleich zur Sache.

Männer im Rückzug

«Etwas stimmt doch nicht mit uns Männern – wir sterben früher, 95 Prozent der Gefängnisinsassen sind Männer, unsere Selbstmordrate bei Scheidungen ist zigfach höher als bei Frauen, die Suchtabhängigkeit ebenfalls», meinte der 40-jährige Vater von vier Kindern. Ein gravierendes Männerproblem sei da bilanzierbar. «Weiss jemand, dass erst letzte Woche der Weltmännertag stattfand? Für Frauen gibt es unterdessen unzählige Hilfsangebote, ihre Bedürfnisse stehen voll im Fokus. Aber was gibt es für uns Männer?», fragte Hartl in die Runde. Unsere Gesellschaft und auch die Kirchen seien zunehmend «feminin», auf Toleranz und Emotionen ausgerichtet. Männern zugeschriebene Attribute wie «egoistisch, aggressiv, stark» würden negativ bewertet. In den Schulen unterrichteten überwiegend Frauen, was wiederum auf den Unterricht abfärbe. «Wo bleiben die Männer?», frage er sich. Dabei habe er überhaupt nichts gegen Frauen, im Gegenteil, stellte er klar.

Vom Mammutjäger zum Toleranten

«Frühgeschichtlich war der Mann mit dem fokussierten peripheren Blick, mit Muskelkraft, Mut, gesunder Aggression und Weitsicht für das Mammut-Jagen und die Existenzsicherung der Familie da, während die Frau Höhle und Kinder warmhielt», schaute Hartl leicht verschmitzt weit zurück. Frauen seien «von ihrer DNA her eher für diesen Part geeignet». Heute seien Teamfähigkeit und Toleranz gefragt. Trotzdem seien die geschlechtlichen Muster noch dieselben wie früher. Sein Sohn wolle im Wald Krieger, die Tochter im Haus Familie spielen.

6 Schritte zu gesundem Mannsein

Im Folgenden ging Johannes Hartl auf sechs aus seiner Sicht für ein gesundes Mannsein wichtige Grundbegriffe ein: der eigene Vater, die Mutter, die «Brüder» bzw. Gefährten und Freunde, die eigene Vision, der Zugang zum Thema Aggression, sowie «Worte», die Kommunikation.

Der Vater

Damit Mann richtig Mann sein könne, sei es emminent wichtig, das eigene Vater- und Mutterbild anzuschauen. Gemäss minutiösen Nachforschungen des Hirnforschers Prof. Dr. Gerald Hüther sei bei einem überragenden Anteil von straffälligen Männern entweder das physische oder zumindest emotionale Fehlen einer Vaterfigur in ihrer Kindheit nachweisbar.

Aber: «Es gibt keine guten Väter, nur Väter», so Hartl. «Wir Männer sind weder Superhelden noch Megalooser, sondern ganz normale Typen mit Stärken und Schwächen. Auch wir brauchen körperliche Nähe, Trost, sind fehlerbehaftet», stellte er klar. «Vielleicht war dein Vater ein Trinker, vielleicht war er nie anwesend oder hat kaum geredet», fragte er. Das sei natürlich gravierend. Trotzdem solle man den eigenen Vater für seine guten Seiten ehren und Fehler vergeben. «Der himmlische Vater hingegen ist grenzenlos, fehlerlos und voller Liebe und ermöglicht das Erleben von Aspekten und Erfahrungen, welche der eigene Vater in seiner Begrenztheit unmöglich alle abdecken konnte», lautet die von Hartl angebotene Perspektive. Und er erinnerte an den Umgang des Vaters mit seinem Sohn beim «Gleichnis vom verlorenen Sohn» in der Bibel, wie er ihm nach dessen Versagen voller Freude entgegenging.

Die Mutter

Weiter sei es wichtig, sich von der kindlichen Bindung zur Mutter zu lösen – welche in den ersten paar Lebensjahren für das Kleinkind ja sehr tief und emminent wichtig ist – und Frauen nicht zu brauchen, sondern zu lieben. Dr. Hartl empfiehlt, «Frauen nicht zu Füssen zu liegen», sondern sie zu respektieren und zu lieben, aber auch Respekt von ihnen einzufordern.

Den Bibelvers «Gib nicht den Frauen deine Kraft, noch deine Wege denen, die Könige auslöschen» aus Sprüche, Kapitel 31, Vers 3 findet er in diesem Zusammenhang interessant. «Die Frauen sehnen sich nach ganzen Kerlen, die wissen, was sie wollen; hören wir auf, Mister Nice Guy zu sein», sagte er. Liebe sei nicht nett. Pornografie (eine Art weiblicher Trost?) wiederum, bemerkte Dr. Hartl am Rande, halte abhängig und unmündig, raube Kraft und Kreativität, sei aber «eine Sucht wie jede andere auch» und könne – am besten im Gespräch von Mann zu Mann – aufgearbeitet und «geheilt» werden. Pornografie sei übrigens längst kein rein männliches Phänomen mehr.

«Brüder» und Freundschaften

«Suche dir Männer, die dir auch unangenehme Dinge offen sagen dürfen; pflege die Beziehung zu Freunden», empfiehlt Johannes Hartl. Männer hätten einen anderen, kostbaren Humor. Vätern empfiehlt er aus eigener Erfahrung mit seinem Vater, gemeinsam mit ihren Jungs Reisen zu unternehmen und Abenteuer gemeinsam zu erleben. Bei ihm sei diese Erinnerung haften geblieben.

Visionen und Fokus

«Was treibt den Mann aus der Höhle raus?», fragte Hartl beim Männertag. Es sei ein bestimmtes Ziel, eine Vision, eine Strategie. Der Mann frage zuerst «wohin will ich» und dann «mit wem», die Frau zuerst «mit wem» und danach «wohin», sagte er etwas überspitzt formuliert. Es brauche Männer mit Visionen. «Was ist deine Passion?» Gott selbst sei der grösste Visionär, das habe er mit dem «Schöpfen aus dem Nichts» mehr als bewiesen. «Sind fehlende Visionen und Verweichlichung der Grund dass viele Pastoren wieder ins säkulare Berufsumfeld zurückkehren?», fragt er sich. «Ist es unser Fokus, gute Väter zu sein und unseren Familien vorzustehen, mit den Kindern etwa vor dem Essen zu beten?», forderte er heraus.

Aggression

Männliche Aggression, «toxic masculinity», habe einen schlechten Ruf, sei aber nötig, um Neues zu kreieren und mache initiativ, nicht zuletzt auch in der Sexualität. Jesus selbst sei wohl bedeutend weniger Pazifist gewesen als man denke und sei auch mal richtig aggressiv und wütend aufgetreten. «Wer nichts wagt, gewinnt nichts» heisse es nicht grundlos. Wut sei eine Lebenskraft, wenn nicht sogar die Grundkraft für das Gute gegen das Böse. «Es gibt Dinge, dafür lohnt es sich doch zu kämpfen!»

Johannes der Täufer sei doch ein eigenartiger Einzelgänger gewesen, habe aber sein Ding durchgezogen – und sei vielleicht gerade deshalb Inspiration und Wegbereiter für eine ganze Nation geworden. Heutzutage sei etwa Sport eine gute Möglichkeit, um Aggressionen auszuleben, es ist zudem gesund und hilft, den eigenen Körper und die Natur zu spüren.

Worte

Adam bekam in der Schöpfungsgeschichte den Auftrag, den Tieren Namen zu geben und ihnen damit Identität zu verleihen. Worte eines Mannes hätten grosse Wirkung und Macht, könnten ermutigen, Identität verleihen, und seien vielleicht die wichtigste Form, um (Frauen) zu lieben. Das Mädchen frage: «Bin ich schön» und wolle vom Vater hören: «Ja, du bist schön» und fühle sich sodann identifiziert und geliebt. Jungs würden kaum kriminell, wenn man sie ermutige und ihre Identität stärke. «Sagen wir unserer Frau, dass wir sie schön finden und sie schätzen und lieben, machen wir ihr Komplimente», wünscht sich Johannes Hartl. Wie oft bleibe doch unsere Liebe stumm – dabei brauche sie Worte, von denen eine unfassbare Kraft ausgehe. Man könne dies einüben, es sei ein Beweis der Wertschätzung. «Fühlt sich eine Frau erkannt (verstanden), verschenkt sie sich, auch körperlich», so Hartl.

Männerforum

Das überkonfessionell tätige «Männerforum» mit Sitz in Winterthur ZH setzt sich seit 1998 auf christlicher Basis mit männerspezifischen Themen auseinander, unterstützt jegliche Art von guter Männerarbeit, hilft bei Aufbauarbeit und dient als Netzwerk. Es organisiert Männerwochenenden, Schulungen und Konferenzen (wie eben den jährlichen Männertag).

Zu den Webseiten:
Männerforum
MEHR-Konferenz
Arnis Club

Zum Thema:
Martin Schär, Männerforum: Männerstimme zu «me too»
Männerforum: 500 Männer ans Herz des Vaters geführt
Schweizer Männertag in Aarau: Mann sein – mehr als Muskeln haben

Datum: 21.11.2019
Autor: Rolf Frey
Quelle: Livenet

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