Gleichberechtigt, aber...

Alt Regierungsrat Lewin: «Jüdische Gemeinden wünschen mehr Schutz»

12 Jahre war der promovierte Ökonom Ralph Lewin Basler Regierungsrat. Im Basler Kirchenboten äussert er sich über 150 Jahre Gleichberechtigung der Juden in der Schweiz und den neu aufflackernden Antisemitismus.
Ralph Lewin

Juden sind in hohen öffentlichen Ämtern rar. Ausnahmen sind alt Bundesrätin Ruth Dreyfuss und Ralph Lewin, der 1996 in den Regierungsrat von Basel-Stadt gewählt wurde und bis 2008 amtierte. Lewin, heute 62-jährig, sieht die Juden heute als faktisch gleichberechtigt an. Dennoch können sie sich nicht sicher fühlen, und Lewin spricht von einem latenten Antisemitismus, wobei verbale und tätliche Angriffe auf Juden zugenommen hätten. Lewin: «Auch die Drohungen in den Sozialen Medien werden häufiger.»

Angst vor dem Fremden

Laut dem differenzierten Denker und Politiker Lewin sind die Gründe vielschichtig. Er stellt aber fest: «Es gibt eine wachsende Zahl von Menschen, die die Ursache der Probleme im Fremden oder Andersartigen suchen. Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus haben teils ähnliche Wurzeln.» Wenn er die Sicherheitsvorkehrungen vor jüdischen Gemeindehäusern passiere, bedauere er manchmal, dass diese nötig sind: «Die jüdischen Gemeinden würden sich wünschen, dass sich der Staat mehr um ihre Sicherheit kümmert.» Doch diesbezüglich sei auf Bundesebene einiges im Tun.

Dumpfer Hass gegen alles Jüdische

Das sei auch wichtig angesichts einem zunehmenden Extremismus weltweit. Lewin: «Und leider gibt es noch immer einen Antisemitismus, der auf negativen Stereotypen beruht, auf Ressentiments, auf einem dumpfen Hass gegen alles, was jüdisch ist. Dagegen muss man ankämpfen, auch bei den Ursachen, nicht nur den Symptomen.»

Mehr Wissen gegen Vorurteile

Lewin setzt sich für einen guten Religionsunterricht in den Schulen ein und setzt dafür auf den Lehrplan 21. Er ist überzeugt, dass die Schule ein Grundverständnis der Religionen vermitteln muss – eingebettet in den geschichtlichen Zusammenhang. Er ist überzeugt: «Wissen immunisiert gegenüber Vorurteilen und Ressentiments.» Der heutige Präsident der Coop Bank hofft auch auf eine positive Wirkung der Wanderausstellung, die aus Anlass der 150-jährigen Gleichberechtigung der Juden in der Schweiz unterwegs ist und zurzeit in Bern gastiert.

Glaube und Staat

Auf die Frage, ob sich der Staat auch heute auf religiöse Grundwerte wie in der Präambel der Bundesverfassung berufen soll, meinte Lewin, der Glaube habe in der Schweiz nach wie vor eine grosse Bedeutung. Viele Menschen glaubten an eine höhere Macht. Dennoch: «Wenn sich der Staat in seiner Verfassung darauf beruft, dann soll er dies in einer so generellen Art tun, dass sich die Angehörigen aller Konfessionen darin erkennen und niemand ausgegrenzt oder zu etwas genötigt wird.»

Zur Webseite:
Wanderausstellung 150 Jahre Gleichberechtigung

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Datum: 15.02.2016
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet / ref.ch

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