Führen im «New Normal»

Warum Elternkompetenz jetzt für die Wirtschaft zentral ist

Eine Studie, die nach Führungskompetenz während und nach Corona suchte, förderte Erstaunliches zutage. Sie zeigt, wie die Familienarbeit an Bedeutung für die Unternehmen gewinnt.
Eine Familie (Bild: pixabay)

Ende Juni veröffentlichte das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO eine Studie, welche unter verschiedenen Gesichtspunkten die Erwerbstätigkeit während und nach Corona untersucht. Die aktuelle Veröffentlichung fokussiert dabei darauf, welche Auswirkungen die Pandemie auf Führungskräfte, respektive auf die Art und Weise des Führens hat.

Die Studie unter Leitung von Dr. Josephine Hofmann stellt unter anderem fest, dass Führungskräfte vor allem in den personalen und sozialen Kompetenzen verstärkt gefordert sind. Ein Vergleich mit der Familiensituation zeigt, dass sich die Rolle und Kompetenzen der zukünftigen Führungskraft nur unwesentlich von der Rolle als Vater oder Mutter in der Familie unterscheidet.

Informelles Lernen in der Familie

Während in den 1990er Jahren die Wirtschaft bereits erkannte, dass informelles Lernen im Kontext der betrieblichen Abläufe wichtig ist und die Personalkonzepte und -Abläufe daraufhin abgestimmt wurden, muss das informelle Lernen am Lernort Familie nun neu und zentral in den Mittelpunkt gestellt werden. Das findet zumindest der Geschäftsleiter der Schweizerischen Stiftung für die Familie, Andreas Link, in einem Kommentar. Er greift dazu die drei wesentlichen Punkte der Studie heraus und bezieht sie auf den Kontext der Familie.

Physisch und/oder virtuell präsent

Ein Mix aus Präsenz und Virtualität hat sich bereits zum «New Normal» verstetigt. Laut Studie bleibt der Anteil der Beschäftigten im Homeoffice beinahe gleich hoch wie im ersten Lockdown, als die Studienreihe begann. 43,1 Prozent gaben an, dass «(fast) alle Büroarbeitenden ganz oder teilweise im Homeoffice/mobil arbeiten». Dies führe zu «veränderten Anforderungen an die tägliche Führungsarbeit» und setze auf der anderen Seite eine «längerfristige Verhaltens- und Haltungsänderung» voraus.

Dieser Mix aus Präsenz und Virtualität kann sicherlich von vielen Beschäftigten nachvollzogen werden. Es ist Realität geworden, zum Beispiel bei einem Meeting zunächst zu fragen, ob dies in Präsenz stattfinden muss oder auch virtuell abgehalten werden kann.

Chance und Last für Eltern

Für Eltern ist diese neue Realität Chance und Last zugleich, denn der häufigere Wechsel zwischen Präsenz und Virtualität hat immer auch direkte Auswirkungen auf die Situation in der Familie. Während aus der Perspektive der Führungskraft der Umgang mit nicht präsenten Mitarbeitenden häufig erst gelernt werden muss, erlebt der erwerbstätige Vater oder die erwerbstätige Mutter beide Seiten der Medaille und trainiert genau diese Situation permanent am Lernort Familie. Denn der Umgang mit einem plötzlich verstärkt anwesendem Elternteil, welches dann doch plötzlich wieder abwesend ist, muss gelernt und vor allem kommunikativ und emotional aufgefangen werden.

Das gute der Elternrolle dabei: Kinder geben in diesem Lernprozess zumeist klare und eindeutige Rückmeldungen, was die Führungskraft von den Mitarbeitenden im Unternehmen so nicht erwarten kann.

Kommunizieren und beieinander halten

Wichtig ist zu kommunizieren und die Mitarbeitenden beieinander zu halten. Die Autoren der Studie fassen wesentliche Punkte wie folgt zusammen: «Führungsarbeit ist primär Kommunikation» und «die emotionalen Themen sind die schwierigsten». Willkommen in der Familie! Wo, wenn nicht hier, sind Emotionen ein Dauerbrenner und wo, wenn nicht hier, ist eine gute und klare Kommunikation unabdingbar, um die Familie bei der Stange zu halten, respektive «die Gruppe zusammenzuhalten», wie es die Studie formuliert.

Signifikante Veränderung der Kommunikation

Dabei hat sich die Kommunikation durch die Pandemie signifikant verändert. 64,9 Prozent der Führungskräfte gaben an, dass sie nun deutlich mehr kommunizieren müssten. Auch das «one to one»-Gespräch sei wesentlich häufiger nötig, gaben 43,4 Prozent an. Wer als Vater oder Mutter unterwegs ist, kann dem nur beipflichten. Familie funktioniert nun einmal nicht wie eine Berufsarmee. Delegieren als Befehl ist bereits seit längerem «out», wissen zumindest erfahrene Mütter und Väter. Und genau diese Erziehungs- oder Beziehungsarbeit kostet nun einmal Zeit. Zeit, die Eltern nicht abgenommen werden kann, die nicht einfach an Grosseltern oder familienergänzende Betreuung «wegdelegiert» werden kann. Genau so wenig, wie eine Führungskraft diese Beziehungsarbeit delegieren kann. Denn als Führungskraft führe ich Menschen und muss mit ihnen umgehen können.

Deshalb verwundert es nicht, wenn 43,2 Prozent der Führungskräfte davon sprechen, dass sich seit Corona ihr Arbeitsaufwand diesbezüglich nochmals erhöht hat. 85,5 Prozent der Führungskräfte gaben an, dass die Kommunikation mit den Mitarbeitenden mehr Zeit in Anspruch nimmt als vor der Pandemie und 79,7 Prozent sprechen von einem erhöhten Koordinations- und Planungsaufwand. Die Studie zeigt also, dass zwischenmenschliche Herausforderungen in der Führung beinahe adäquat zur Situation in der Familie bestehen. Erziehung geht genau so wenig «nebenher» wie Führung von Mitarbeitenden.

Die wichtigsten Kompetenzen für Führungskräfte

Zum Schluss fragte die Studie nach den Kompetenzen, welche für Führungskräfte in diesem «New Normal» besonders wichtig sind. Ein zentraler Punkt, wenn es um die Entwicklung von Führungskräften, aber auch Personal im allgemeinen geht. Die zwei wesentlichsten Kompetenzen wurden dabei mit «Vertrauen» und «Kommunikationsfähigkeit» benannt. Danach folgen «Empathie und Delegationsfähigkeit».

Auffallend dabei ist, dass es sich bei fast allen zehn abgefragten Kompetenzen um personale und soziale Kompetenzen handelt und gleichzeitig um Kompetenzen, die auch Eltern in der täglichen Erziehungsarbeit benötigen, anwenden und trainieren. Das «Trainingscenter Familie» muss deshalb deutlich stärker in den Mittelpunkt von Unternehmen und Personalentwicklern rücken. Wie kann es gelingen, dass Unternehmen mehr von Eltern lernen und können zwischenmenschliche Kompetenzen aus der Familie stärker für die Führung der Mitarbeitenden verwendet werden?

Wegbereiter und Entwicklungsbegleiter

Wenn die Studie des Fraunhofer-Instituts zum Schluss festhält, dass die «Führungskraft als Wegbegleiter» und die «Führungskraft als Entwicklungsbegleiter» an Bedeutung zunehmen, dann kommen wir am Zirkelschluss zur Familie einfach nicht länger vorbei. Eltern sind und bleiben die primären Weg- und Entwicklungsbegleiter für ihre Kinder, ob sie wollen oder nicht. Wie viele Eltern sind zwangsläufig in diese Rolle geschlüpft, welche ihnen anfänglich häufig mindestens eine Nummer zu gross war? Was könnten deshalb Führungskräfte von Eltern lernen, wenn es zum Beispiel um das Gefühl der Überforderung geht oder um die Angst, klare Anweisungen zu geben? Eltern und Führungskräfte sollten unbedingt voneinander lernen, denn sie haben erstaunlich vieles gemeinsam.

Aufwertung der Care-Arbeit – Aufschwung der Volkswirtschaft

Es ist deshalb an der Zeit, die Abwertung der Familien- und Care-Arbeit endlich aufzugeben, nur weil diese nicht bezahlt wird. Es ist vielmehr ein grosser Trugschluss zu denken, dass eine Erwerbsquote von 100 Prozent das Mass der Dinge wäre. Politik und Wirtschaft, wenn sie die Ergebnisse dieser Studie im speziellen oder die Wirkungen der Pandemie im allgemeinen ernst nehmen, müssen die Familie deutlich stärker in den Fokus stellen und aufwerten.

Mit dieser «Aufwertung der Familie» ginge auch ein Aufschwung und eine Aufwertung der Volkswirtschaft und des einzelnen Unternehmens einher. Denn wenn wir unsere Ziele erreichen wollen, dann gelingt dies nur mit qualitativ guter Führungskompetenz und nur mit der «Geschmeidigkeit» sozialer und emotionaler Kompetenz aus dem Familienalltag.

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Datum: 31.08.2021
Autor: Fritz Imhof / Andreas Link
Quelle: Livenet / Schweizerische Stiftung für die Familie

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