Mehr Unterstützung nötig

Wenn junge Paare Eltern werden

Die Geburt eines Kindes ist für viele Eltern eine kritische Phase. Viele Paare brauchen hier mehr Unterstützung. So lautet ein Fazit der Tagung «Familiengründung als vulnerable Phase» an der Universität Zürich.
Eltern bringen ihr Kind zu Bett (Bigstock: 59167958)
Guy Bodenmann
Johanna Possinger

Die Tagung vom 22. und 23. August wurde auch als Jubiläumsanlass zum zehnjährigen Bestehen des Instituts «Klinische Psychologie Kinder/ Jugendliche & Paare/Familien» unter der Leitung von Prof. Guy Bodenmann organisiert.

Ambivalente Auswirkungen einer Geburt

In seinem Referat wies Prof. Guy Bodenmann auf einige wenig bekannte Tatsachen hin: Ein Kind stabilisiert einerseits die Ehe, und es verschlechtert dennoch die Beziehungsqualität vieler Paare. Betroffen davon sind rund die Hälfte der von den Forschern befragten Paare. Die gute Nachricht: 20 Prozent der Paare erfahren sogar eine Verbesserung ihrer Beziehung, während ein Drittel zu Protokoll gab, dass sich in ihrer Beziehung nichts verändert habe, wie die Lausanner Psychologin und Assistenzprofessorin Linda Charvoz ausführte.

Von einer Verbesserung der Beziehung profitieren vor allem jene Paare, die bereits vor der Geburt eine liebevolle und kommunikativ gute Beziehung miteinander hatten, so Guy Bodenmann. Und er betonte gleichzeitig die positiven Seiten einer Geburt: Sie ist meistens das Resultat eines Kinderwunsches und erfüllt die Eltern mit Freude, Glück und Stolz. Und es fördert die Reifung und das Verantwortungsbewusstsein des Elternpaars.

Positive Wirkung eines Vaterschaftsurlaubs

Daher wollen sich auch die «neuen Väter» aktiv in der Betreuung und Erziehung der Kinder beteiligen. Sie sind in der westlichen Welt zu einem Standard geworden, den inzwischen auch die Politik unterstützt. Johanna Possinger, Professorin für Frauen- und Geschlechterfragen an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg, sprach in Zürich vom «Ideal aktiver Vaterschaft als internationales Phänomen». Dass die aktiven Väter eine positive Auswirkung auf die Entwicklung des Kindes haben, ist inzwischen hinlänglich belegt. Das hat die Diskussionen um einen Vaterschaftsurlaub auch in der Schweiz angeheizt.

Laut Miriam Rosenthal-Rabner, Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen (EKFF), würde sich ein echter Vaterschaftsurlaub positiv auf die Beziehungszufriedenheit der Eltern und die Gesundheit der ganzen Familie auswirken. Er beträgt in Deutschland mindestens zwei Monate. In der Schweiz wird gegenwärtig über zwei Wochen gestritten.

Die Retraditionalisierung der Rollen nach der Geburt

Gross ist auch der Wunsch vieler Väter nach Teilzeitarbeit. Laut einer Erhebung in Deutschland würden 40 Prozent der Väter eine Arbeitszeit zwischen 60 und 80 Prozent bevorzugen. Doch nur 8,5 Prozent können das auch realisieren, wie Johanna Possinger an der Tagung darlegte. Daher wiesen mehrere Referenten auf eine Traditionalisierung der Rollen hin, die sich mit dem Abstand zur Geburt sogar noch verstärke. Sie hat vielschichtige Gründe, nicht zuletzt die Erwartungshaltung der Wirtschaft an die Männer. Aber auch die Priorität der Mütter, die sich als kompetenter für die Betreuung, Erziehung und die Hausarbeit fühlen, sodass die mitwirkenden Männer sich oft in der Rolle eines Praktikanten wiederfinden. Der Begriff vom Maternal Gatekeeping drückt dies aus. Der Soziologe Michael Meuser stellte fest, es gebe nebst den «neuen Vätern» noch kein Label «neue Mütter». 

Geschlechterrollen veränderten sich massiv

Keine Powerpoint-Präsentation, dafür aber ein Referat mit viel Analyse zu den Veränderungen der Familie seit der Nachkriegszeit lieferte der emeritierte Professor für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Ludwig Spätling, ab. In 70 Jahren haben sich die Geschlechterrollen und Familienbilder in extremis verändert: von den patriarchalen Strukturen nach dem Zweiten Weltkrieg über die sexuelle «Befreiung» und die antiautoritäre Erziehung bis zur Gleichstellung von Mann und Frau. Geschlechtergerechtigkeit ist das Ideal, wir leben aber in einer Ära der Informationstechnologie, «wo ein Like mehr zählt als ein liebes Wort». Gleich geblieben sei dagegen der Wunsch nach erfüllter Partnerschaft mit befriedigter Sexualität.

Gute Partnerschaft – gute Elternschaft

Doch die neuen Apps, welche die Paarfindung per Klick möglich machen sowie die Möglichkeiten, die Geburtenplanung an die Karriere anzupassen, haben auch ihre Kehrseiten. Dem Arbeitgeber kommt eine Schwangerschaft, ob sie nun früher oder später eintritt, oft ungelegen. Mütter plagt das schlechte Gewissen, wenn sie nicht bald nach der Geburt wieder in die Arbeitswelt zurückkehren. Frauen, die wegen des Kindes zuhause bleiben, fühlen sich oft unterfordert und sogar einsam. Umgekehrt wünschen sich 60 Prozent der Väter mehr Zeit mit ihren Kindern und sind bereit, die Familienarbeit mit der Mutter aufzuteilen. Das hat positive Auswirkungen: Kinder mit aktiven Vätern erwerben mehr Alltagsfertigkeiten und erzielen bessere Schulleistungen. Paare, denen eine gute Partnerschaft und Aufteilung der Familienarbeit gelingt, sind auch bessere Eltern. Dennoch fühlen sich 88 Prozent der Eltern in Fragen der Erziehung und Entwicklung der Kinder unsicher!

Eltern als früheste Lehrer der Kinder

In der Wirtschaft ist die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit eine ungelöste Frage. Der politische Druck genügt nicht, und eine wirkliche Elternlobby gibt es nicht. Eltern werden jedoch von der digitalen Welt zusätzlich herausgefordert. Es gilt, die Informationsflut zu beherrschen und darin Gutes von Bösem zu unterscheiden.

Das bedeutet laut Ludwig Spätling: «Bildung muss so früh wie möglich beginnen.» Und gefordert sind dazu in erster Linie die Eltern. Der Forscher bezieht sich auf den Ökonomie-Nobelpreisträger James J. Heckmann, der aufgezeigt hat, wie eine frühe Bildung der Gesellschaft viele Folgekosten erspart. Es gelte, die Eltern als «die frühesten Lehrer der Kinder» auszubilden.

Die herausragende Rolle der Hebammen

Die Hebamme hat laut Professor Spätling auch eine wichtige Aufgabe bei der Beratung der Eltern, die sie vorbereiten und für ihre Aufgabe stärken muss. Geburtsvorbereitung muss laut Spätling auch Familienvorbereitung sein. Hebammen sollen ihre Möglichkeiten nutzen, «als 'positive Trojaner' den medizinisch-pflegerischen Inhalten noch familienvorbereitende Themen sowie Informationen aus dem Zeit-, Stress- und Konfliktmanagement hinzuzufügen». Laut der Hebammenwissenschafterin Jessica Pehlke-Milde von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft (ZHAW), einer Tagungsteilnehmerin, ist diese Dimension im Ausbildungsprogramm der Hebammen in der Schweiz bereits enthalten.

Zu wenig Interesse für die Paarvorbereitung

Das Problem: Sowohl in Deutschland wie in der Schweiz gilt die Familiengründung als Privatsache, sodass sich der Staat bei der Unterstützung zurückhält. Der Staat müsste aber zumindest ein Interesse haben, durch Prävention Sozialkosten tief zu halten, so Spätling. Er zitierte dazu Prof. Kurt Hahlweg, Schöpfer des Partnerschaftlichen Lernprogramms (EPL):

«Wir kämpfen ja überall mit dem Problem, dass belastete Paare in der Regel viel zu spät eine Beratung oder Therapie aufsuchen, so dass die 'Reparaturarbeit' sehr erschwert ist und oftmals scheitert. Vor allem wissen wir inzwischen aus zahlreichen internationalen, aber auch hiesigen Studien, wie stark die Kinder in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn Konflikte sich häufen. Und nicht zuletzt wird zunehmend deutlich, dass eine Trennung der Eltern für die Kinder nicht nur dann belastend ist, wenn es im Vorfeld starke Konflikte gab, sondern mehr noch, wenn die Eltern sich 'nur' auseinander gelebt haben und ohne grössere Zerwürfnisse auseinander gehen. Die Kosten der hohen Instabilität von Partnerschaften für Eltern, Kinder und Gesellschaft sind beträchtlich. Entsprechend sinnvoll ist es, Partnerschaftsproblemen im Vorfeld präventiv zu begegnen.»

Prof. Spätling kommentierte dazu: «Wir wissen, wie Prävention geht. Die, welche die politische Umsetzung ermöglichen, sollten nicht zu lange warten. Denn: 'Investition in die Familie rentiert sich!'»

Zum Thema:
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Datum: 09.09.2019
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Schweizerische Stiftung für die Familie

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