Stille Revolution

«Die Kirche passt ihre Haltung Jesus, dem Herrn, an»

Sind Kirchengesetze, Traditionen, Regeln und einzelne Gebote das Kriterium für das Handeln von Kirchenleitern? Oder aber das Vorbild von Jesus? In der katholischen Kirche ist ein Umdenken im Gange. 
Papst Franziskus

«Die Kirche passt ihre Haltung Jesus, dem Herrn, an, der sich in grenzenloser Liebe für jeden Menschen, ohne Ausnahme, geopfert hat.» So steht es im 250. Absatz des neuen apostolischen Schreibens von Papst Franziskus. Und dies ausgerechnet im Kontext zum Thema Homosexualität. Franziskus ermutigt im Anschluss die Familien, in einer guten Weise mit homosexuellen Menschen in ihrer Mitte umzugehen, auch wenn dies für sie eine schwere Aufgabe sein könne. Umgekehrt sollten «diejenigen, welche eine homosexuelle Tendenz zeigen, die notwendigen Hilfen bekommen können, um den Willen Gottes in ihrem Leben zu begreifen und ganz zu erfüllen.»

Tradition bewahren – Umsetzung ändern

Der Ruf zur Barmherzigkeit von Franziskus wird in der Kirche mehr und mehr wahrgenommen. Sie stellt die Leitenden vor keine leichte Aufgabe. Denn es ist einfacher, sich auf klare Regeln – zum Beispiel im Umgang mit Geschiedenen beim Abendmahl – zu stützen, als sich der Frage aussetzen zu müssen, wie wohl Jesus in dieser Situation handeln würde. Wer sich für Gnade und Barmherzigkeit gegenüber gescheiterten Menschen entscheidet, wird immer auch ungnädige Reaktionen derjenigen erleben, die sich für klare Regeln und Prinzipien entschieden haben. Die Pharisäer in den neutestamentlichen Evangelien lassen grüssen.

Franziskus ändert nicht die Regeln, fordert aber dazu auf, mit ihnen in einem andern Geist umzugehen. Führende Theologen in der katholischen Kirche beginnen, das zu begreifen und unterstützen diesen Kurswechsel.

Gegen die scheinbaren Bewahrer der Lehre

Auf Widerstand stösst Franziskus allerdings gerade bei jenen, die sich als Hüter und Bewahrer der katholischen Lehre verstehen. Darauf macht jetzt ausgerechnet ein Professor an der Theologischen Hochschule Chur aufmerksam. Im Schreiben von Franziskus stehe «alles unter der Voraussetzung der barmherzigen Zuwendung und Nähe zu jenen, die in Belastungen, Krisen und Verfolgungssituationen leben», schreibt der Churer Ethiker Hanspeter Schmitt auf kath.ch. Sogar EU-Ratspräsident Tusk habe «die neue Vision der Kirche» hervorgehoben. Umgekehrt rühmen konservative Katholiken Franziskus als «Bewahrer des katholischen Glaubens» und stemmen sich gegen Veränderungen. Bis heute habe Bischof Huonder auf ein Statement zu Amoris Laetitia verzichtet, stellt Schmitt fest.

Vorbild im frühen Christentum

Diesen Kreisen geht es offenkundig zentral um die (Nicht-)Teilnahme von geschiedenen Wiederverheirateten am Abendmahl. Ihnen gibt Hanspeter Schmitt zu bedenken, dass bereits frühchristliche Gemeinden Geschiedenen «fallweise die Zulassung zu den Sakramenten» ermöglicht hätten. In anderen Kirchen habe sich diese Praxis bewährt und auch die katholische Kirche empfehle sie seit Jahrzehnten, selbst der frühere Papst Josef Ratzinger schon 1972 in einer Publikation.

Umsetzung in den Ortskirchen

Hanspeter Schmitt meint sodann dezidiert: «In einer solchen Situation führt es nicht mehr weiter, sich mit 'Grabenkämpfen' und einseitigen Wahrheitsansprüchen aufzuhalten. Vielmehr geht es darum, den von Franziskus eingeschlagenen synodalen Weg – entlang der überlieferten Wahrheit und Barmherzigkeit des Evangeliums – jetzt zeitnah und vor Ort fortzuentwickeln.» Die Umsetzung geschehe vor allem in den Ortskirchen.

Zum Thema:
Was würde Jesus tun?
World Economic Forum: Was würde Jesus am WEF tun?
Über die Zeit hinaus: Mit Jesus einen Sinn fürs Ganze entdecken

Datum: 12.05.2016
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

Werbung
Livenet Service
Werbung