Empfangsstellen für Asylsuchende: Ja zu ökumenischer Seelsorge – Nein zu evangelischen Schriften

Seelsorge

Zürich. In den ersten Tagen nach ihrer Ankunft in der Schweiz gibt es für Asylsuchende auf den Empfangsstellen das Angebot der ökumenischen Seelsorge. Wer hier evangelische Schriften verteilen möchte, stösst dagegen auf Probleme.

In einem Rahmenvertrag zwischen christlichen Kirchen und jüdischer Gemeinschaft einerseits und dem Bundesamt für Flüchtlinge(BFF) andererseits ist im vergangenen Dezember die Seelsorge an den Empfangsstellen des Bundes geregelt worden. Der Vertrag ermöglicht den Vertretern der beteiligten Religionsgemeinschaften, mit ausgebildeten Seelsorgerinnen und Seelsorgern in den Aufnahmezentren präsent zu sein und vor allem in Einzelgesprächen Beratung und Hilfe anzubieten. Für diese Gespräche sollen die Empfangsstellen einen Gesprächsraum bereitstellen. Im Rahmenvertrag wird ferner festgehalten, dass ein gemeinsamer Ausschuss der Parteien die Umsetzung des Vertrages begleiten soll.

Gute Erfahrungen

Die Empfangsstellenseelsorge gibt es eigentlich schon seit 1995, als in einer Vereinbarung zwischen Kirchen und BFF festgehalten wurde, dass die Landeskirchen Zugang zu den Empfangsstellen des Bundes haben und dort Seelsorge ausüben können. Nun sei aus der damaligen Duldungsvereinbarung eine Kooperationsvereinbarung entstanden, meint Markus Sahli, Verantwortlicher für die Ausarbeitung der Vereinbarung auf Seiten des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK). Insbesondere ermögliche der Rahmenvertrag auch, ein einheitliches Verständnis von Seelsorge in allen Empfangsstellen zu fördern. Ein "Leitbild der Seelsorge" wollen die Vertragspartner bis Ende 2003 ausarbeiten.

Nach Auskunft des BFF hat man mit der Seelsorgearbeit in den Empfangsstellen gute Erfahrungen. Das Angebot werde ziemlich stark gebraucht. Viele Asylsuchende hätten Interesse, mit den Seelsorgerinnen und Seelsorgern ins Gespräch zu kommen. Es werde zur Zeit überlegt, wie man auch die muslimischen Gemeinschaften einbeziehen könnte.

Keine Gottesdienste, keine Mission

Da Empfangsstellen offene Häuser sind, gebe es dort keine Gottesdienste oder Gebetstreffen. Interessierte Personen würden vielmehr auf das Angebot am Ort aufmerksam gemacht. Als in der Empfangsstelle Vallorbe ein Seelsorger mit Gebetsgruppen angefangen hat, wurde ihm dies wieder untersagt. Solche gottesdienstähnlichen Handlungen seien nicht Teil der Vereinbarung, sagt Sahli. Es gehe vielmehr um Seelsorge am einzelnen Menschen.

Auch missionarische Aktivitäten beurteilt Sahli kritisch. Das Verteilen von Schriften würde er ablehnen. Falls jemand dies machen wolle, müsste er ohnehin ein Gesuch ans BFF machen. Er würde aber zum Beispiel das Aufstellen eines Ständers mit Schriften an einer Empfangsstelle nicht empfehlen, sagt Sahli. Jeder Mensch dürfe gemäss der Religionsfreiheit den Glauben ausüben. An den Empfangsstellen seien missionarische Aktivitäten, also andere überzeugen zu wollen, wenig sinnvoll. Man müsse bedenken, dass hier Menschen aus verschiedensten Kulturen und in individuellen Krisensituationen zusammenkämen. In diesem multikulturellen Umfeld sei mit religiösen Fragen sensibel umzugehen.

Persönliche Beziehungen nötig

Dass es schwierig sein kann, in einer Empfangsstelle evangelistische Schriften aufzulegen, erfuhr auch ein Chrischona-Mitglied aus Kreuzlingen. Tabea Gysel stellte vor zwei Jahren über die Ausländermissionsorganisation MEOS ein Gesuch ans BFF. Diesem ist bis heute nicht stattgegeben worden. Gysel hilft nun zusammen mit einigen anderen Frauen aus der Chrischona-Gemeinde in einer Kaffeestube der "Arbeitsgemeinschaft für Asylsuchende Thurgau" mit. Die Mitarbeit hat sie davon abhängig gemacht, dass hier christliche Schriften in verschiedenen Sprachen aufgelegt werden dürfen. Man habe zwar auch in dieser vom HEKS betriebenen Kaffeestube nicht die totale Freiheit für missionarische Kontakte. Besonders gegenüber Moslems sei sie von der Leitung aufgefordert worden, zurückhaltend zu sein. "Aber man muss halt auch den Mut haben, etwas zu tun", beschreibt Gysel ihre Erfahrungen.

Für evangelistische Aktivitäten seien gute Kontakte zu den Verantwortlichen das Wichtigste, sagt Beat Moser, der früher Aufnahmezentren in Bern leitete. Wenn man es geschickt mache und eine Vertrauensbasis da sei, habe man Zugänge, auch wenn die Leitungen von solchen Zentren in der Regel eher restriktiv seien. Über seine Kontakte sei es ihm auch heute noch möglich, in verschiedenen Zentren Weihnachtspäckli oder Schriften zu verteilen, sagt der ehemalige Zentrumsleiter, der selber auch Mitglied des evangelischen Brüdervereins ist. Es habe aber auch einen ungesunden Ansturm von missionarischen Gruppen auf die Zentren gegeben. Manchmal sei dies fast zu einem Wettrennen geworden zwischen verschiedenen evangelisch-missionarischen Gruppen und Irrlehren, zum Beispiel den Mormonen. Eine solche Rivalität habe mit der Liebe zu den Asylbewerbern nur noch wenig zu tun. Er habe Verständnis für die Haltung der Leitenden von Asylinstitutionen, die sich dagegen wehrten, wenn "am Feierabend alle halben Stunden jemand mit Bibeln vorbeikommt".

Datum: 02.05.2003
Quelle: idea Schweiz

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