Die Schweiz gibt Süchtigen weiterhin Heroin

Heroinabgabe. Foto: biwidus.ch

Bern - Der Nationalrat hat am Montag mit 110 zu 42 Stimmen die staatliche Heroinverschreibung bis zum Inkrafttreten des neuen Betäubungsmittelgesetzes verlängert. Danach können Ärzte in staatlichen Stellen das Rauschgift an Schwersüchtige unter gewissen Bedingungen bis Ende 2009 abgeben. Inhaltlich wird der geltende Bundesbeschluss ohne jede Änderung übernommen.
Der Berner EDU-Vertreter Christian Waber beantragte vergeblich Nichteintreten auf die Vorlage. Er sagte, die ärztliche Heroinabgabe basiere auf einer Lüge. Der Bund habe seinerzeit versichert, die Heroin-Abgabe werde nie durch die Krankenkassen bezahlt. Die Drogenabgabe durch den Staat sei ein totaler Misserfolg, da geknechtete Menschen in der Sucht blieben. Der Nichteintretensantrag Wabers wurde von der Sprecherin der Liberalen unterstützt.
Auch aus den grossen Parteien ertönte Kritik an der Abgabe. Der Basler SVP-Mann Jean Henri Dunant verglich die Lebensgefährdung durch Heroin mit einem bösartigen Tumor. Die Abgabe schwäche den Willen, von den Drogen freizukommen. Die bekannte FDP-Politikerin Christine Egerszegi wandte sich dagegen, dass die Krankenkassen die Heroinabgabe bezahlen. Nach der Ablehnung des von der EDU angestrengten Referendums im Juni 1999 nahm das Departement des Innern unter der SP-Bundesrätin Ruth Dreifuss die Heroinabgabe unter die Leistungen der obligatorischen Krankenversicherung auf.

Bundespräsident Pascal Couchepin, seit Januar Innenminister, strich die Akzeptanz der Abgabe in Fachkreisen heraus. Heroinabhängige müsse man als Chronischkranke sehen. Die Gegner der Abgabe könnten nichts anderes anbieten. (Dass die dauerhafte staatliche Heroinabgabe bei vielen Süchtigen mit dem Leidensdruck auch die Bereitschaft zum Ausstieg aus der Sucht stark vermindert hat, was abstinenzorientierten Therapiehäusern die Klienten raubte, verschwieg der Bundespräsident, der als Freisinniger sonst auf Selbstverantwortung setzt.)

Der Aargauer EVP-Parlamentarier Heiner Studer wandte sich im Rat gegen eine fünfjährige Verlängerung. Gegenüber Livenet.ch erwähnte Studer, dass die Schweiz in der Sache allein da steht: Während Deutschland und Holland Versuche laufen haben, verfolgen die skandinavischen Länder, an denen sich progressive Gesellschaftspolitiker gewöhnlich orientieren, eine deutlich andere, restriktive Linie.

Das staatliche Heroin wird derzeit an etwa 1200 Schwersüchtige in der Schweiz abgegeben. In der lateinischen Schweiz finden sich, von Genf abgesehen, keine Abgabestellen. Heiner Studer, der ehemalige Geschäftsführer des Blauen Kreuzes in der Schweiz, meint, dass in mehreren Städten der Deutschschweiz die Kriterien für die Abgabe (unter anderem müssen mindestens zwei Abbrüche von Entzugstherapien vorausgegangen sein) sehr liberal angewendet werden.

Die Debatte am Montag war ein Vorgeplänkel im Blick auf das neue Betäubungsmittelgesetz, das der Nationalrat in seiner Sondersession im Mai beraten wird.

Webseite: Botschaft des Bundesrats zur Heroinabgabe www.admin.ch/ch/d/ff/2002/index0_35.html

Datum: 05.03.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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