Zuwanderung in die Schweiz: nötig - und bewusst zu lenken

Einreise

Bern – Die Zürcher Stadtregierung hat vor kurzem zehn Vorschläge für eine verbesserte Asylpolitik gemacht und damit die Diskussion neu belebt. Aber die Frage des Umgangs mit ausländischen Menschen ist vielschichtig. Die Asylproblematik darf nicht den Blick verstellen auf die Tatsache, dass die Schweiz ausländische Arbeitskräfte in grosser Zahl braucht.

Dies schreibt Eduard Gnesa, Direktor des Bundesamtes für Ausländerfragen, in der Neuen Zürcher Zeitung. Von den 1,5 Millionen ausländischen Menschen seien nur 100'000 Asyl suchend in die Schweiz gekommen. Die anderen seien wegen der Arbeit hier. So wanderten in den vergangenen 15 Jahren durchschnittlich 95‘000 ausländische Personen in die Schweiz ein, und 62‘000 wanderten wieder aus.

Gnesa verweist darauf, dass jede vierte Ehe in der Schweiz von Partnern aus verschiedenen Ländern eingegangen wird. „Ein Viertel des gesamten Arbeitsvolumens wird von ausländischen Erwerbstätigen geleistet“, und davon profitieren vor allem die Schweizer: Die Ausländerinnen und Ausländer lieferten jedes Jahr 4,4 Milliarden Franken an die AHV ab, „ein Drittel mehr, als sie an Leistungen beziehen“. Das Gesundheitswesen würde ohne die 24‘119 Krankenpflegerinnen und –pfleger von jenseits der Schweizer Grenzen gar nicht funktionieren.

Akzentuierte Probleme

Anderseits ist die Arbeitslosigkeit ist bei Ausländerinnen und Ausländern mehr als doppelt so hoch wie bei Einheimischen. Städtische Schulen kämpfen mit hohen Anteilen von fremdsprachigen, schlecht integrierten und unterstützten Kindern. Und von Zeit zu Zeit machen ausländische Jugendliche Schlagzeilen, weil sie drohen oder dreinschlagen. Der Anteil der Verurteilten an der erwachsenen Bevölkerung ist bei der nichtschweizerischen doppelt so hoch wie bei der schweizerischen Bevölkerung (0,6 gegenüber 0,3 Prozent). Vor diesem Hintergrund stellt Gnesa die Schlüsselfrage: „Wie viel Zuwanderung braucht und verkraftet die Schweiz?“

Laut dem obersten Migrationsbeamten der Eidgenossenschaft hilft „das Verteufeln alles Ausländischen ebenso wenig weiter wie das fröhliche Lobpreisen einer ‚Multikulti‘-Gesellschaft“. Die Grenzen zu schliessen führe nicht zum Ziel; es gäbe nur mehr illegale Einwanderer. „Die Schweizer Wirtschaft wäre nach kurzer Zeit nicht mehr konkurrenzfähig, das Sozialsystem überfordert.“ Anderseits würde ein ungebremster Strom von Zuwanderern den sozialen Frieden im Kleinstaat Schweiz gefährden.

Drei Eckpfeiler

Eine „durchsetzbare Migrationspolitik“ baut laut Gnesa auf die drei Werte Prosperität (Erhaltung des Wohlstands und der Altersvorsorge durch genügend ausländische Arbeitskräfte), Solidarität (Einhaltung humanitärer Verpflichtungen, Familiennachzug) und Sicherheit (Integration der Eingewanderten, Bekämpfung von Missbräuchen). Die Schweiz brauche eine „gelenkte Zuwanderung“, welche „flexibel auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedingungen Rücksicht“ nimmt.

Nach dem Jahr 2007 gilt für Personen aus den EU- und EFTA-Ländern der freie Personenverkehr. Menschen von ausserhalb dieses Raums müssen eine berufliche Qualifikation nachweisen, um eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten.

Gegen Legalisierung aller Sans-Papiers

Gnesa kritisiert die Ausländerpolitik der siebziger und achtziger Jahre, als „viele wenig qualifizierte Arbeitskräfte als Saisonniers rekrutiert“ wurden. Auch ihre Familien leben seither in der Schweiz; „die langfristigen sozialen und gesellschaftlichen Folgen und deren Kosten liess man schlicht ausser acht“.

Die Forderung, den Aufenthalt aller illegal anwesender und hier arbeitender Ausländerinnen und Ausländer zu legalisieren, lehnt Gnesa ab. „Eine solche Aktion zugunsten der sogenannten Sans-Papiers - dies belegen Beispiele aus den Nachbarländern - hätte Signalwirkung für weitere illegal einreisende Arbeitskräfte, womit sich die Problematik verschärfen statt entschärfen würde.“ Der Bund ist nur in Härtefällen bereit, „Menschen, die seit längerer Zeit in der Schweiz arbeiten und sich integriert haben, nachträglich eine Bewilligung zu erteilen“.

Was Ausländer leisten müssen

Die Integration kann laut Gnesa nur gelingen, wenn „auch von den Ausländerinnen und Ausländern Anpassungsleistungen verlangt und erbracht werden. In erster Linie heisst dies, dass unsere Rechtsordnung beachtet wird“. Grundwerte der Rechtsordnung wie die Gleichstellung von Mann und Frau müssten „auch gegenüber kulturell oder religiös begründeten Abweichungen“ durchgesetzt werden.

Der Bund fördert das Erlernen einer Landessprache durch Ausländer in diesem Jahr mit zehn Millionen Franken. Zudem sollen Secondos erleichtert eingebürgert werden. Die dritte Generation soll das Bürgerrecht unter gewissen Voraussetzungen schon bei der Geburt erhalten. Gnesa befürwortet ein Beschwerderecht gegen willkürliche Einbürgerungsentscheide.

Vorlagen im Bundeshaus

Nach dem Einbürgerungsrecht liegen derzeit das neue Ausländergesetz und eine Teilrevision des Asylgesetzes vor dem Nationalrat. Die EU erstreckt sich bald über die Karpaten und bis vor die Tore St. Petersburgs. Die Schweiz muss entscheiden, ob sie den freien Personenverkehr auch mit den zehn neuen EU-Mitgliedländern einführen will.

Abschliessend plädiert Gnesa in der NZZ für eine nüchterne Diskussion der Ausländerfragen ohne Panikmache und mahnt: „Eine erfolgreiche Migrationspolitik kann nicht isoliert, sondern muss im Verbund mit den EU-Staaten und im Asylbereich mit den Herkunftsstaaten gestaltet werden.“

Quelle: NZZ/Livenet

Datum: 07.02.2003
Autor: Peter Schmid

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