Schweiz: 10 Prozent leben unter der Armutsgrenze

Mitbetroffen sind rund 120000 Kinder in der Schweiz

Neuchâtel. Die Kluft zwischen Wohlstandsgewinnern -verlierern in der Schweiz ist im letzten Jahrzehnt gewachsen. Laut einem Bericht des Bundesamtes für Statistik BFS leben bis zu 10% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze.

Der neue Bericht des Bundesamts für Statistik (BFS) zu «Wohlstand und Wohlbefinden» vergleicht die Lebensbedingungen von Personen aus Haushalten mit niedrigem, mittlerem und hohem Einkommen. Trotz des allgemeinen Wohlstands gibt es in der Schweiz ein beachtliches Gefälle zwischen privilegierten und weniger privilegierten Bevölkerungsgruppen.

Mehrfach benachteiligt

Bei gewissen einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen kumulieren sich einzelne Defizite zu komplexen, bereichsübergreifenden Problemlagen. Am schlechtesten stehen Alleinerziehende, Ausländerinnen und Ausländer, kinderreiche Familien sowie Angestellte in Verkaufs- und Dienstleistungsberufen da. Sie sind im Vergleich zur Gesamtbevölkerung mehrfach benachteiligt. Sie weisen nicht nur materielle Defizite auf, sondern sind auch mit einer hohen Arbeitsbelastung und damit einhergehend Freizeitmangel konfrontiert.

Das letzte Jahrzehnt war geprägt von einer wachsenden Kluft zwischen Wohlstandsgewinnern und -verlierern. Laut neueren Untersuchungen leben in der Schweiz bis zu zehn Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Hinzu kommen viele Menschen, die in finanziell ebenfalls prekären Verhältnissen knapp über dem Existenzminimum leben. Im soeben erschienenen Sozialbericht des BFS „Wohlstand und Wohlbefinden. Lebensstandard und soziale Benachteiligung in der Schweiz“ geht es nicht um die Ermittlung der neuesten Armutsquote. Vielmehr richtet sich das Augenmerk auf die Lebensbedingungen und Problemlagen des einkommensschwachen Bevölkerungsteils.

Sparen beim Zahnarzt

Einkommensschwäche ist nicht selten mit Zahlungsschwierigkeiten verbunden und zwingt oft zum Verzicht auf allgemein üblichen Lebensstandard. So haben 11% der Personen mit niedrigem Einkommen 1998 aus finanziellen Gründen auf eine Zahnbehandlung verzichtet. Im Durchschnitt geben einkommensschwache im Vergleich zu wohlhabenden Haushalten halb so viel Geld für den Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen aus. Allein die Nahrungsmittel- und Wohnkosten (ohne Wohnungseinrichtung) machen die Hälfte ihrer gesamten Konsumausgaben aus. Im Gegensatz dazu geben wohlhabende Haushalte durchschnittlich nur 9,3% für Nahrungsmittel und 26% für das Wohnen aus. Entsprechend grösser ist der Anteil, der für die Befriedigung weiter gehender Bedürfnisse übrigbleibt. Beispielsweise geben wohlhabende Haushalte 12% ihres ohnehin grösseren Budgets für auswärtige Verpflegung und Übernachtung aus, Haushalte mit niedrigem Einkommen nur 8%. Einkommensschwache haben kleinere Wohnungen, 13% leben sogar in einem Haushalt mit weniger als einem Zimmer pro Person (Wohlhabende: 0,7%). Die Wohnausstattung deckt jedoch bei den allermeisten zumindest die Grundbedürfnisse.

Auswirkung auf die Gesundheit

Einkommensschwache fühlen sich im Durchschnitt etwas weniger gesund als Wohlhabende. Kommen weitere ungünstige Faktoren hinzu, ergeben sich teilweise bedenklich hohe Anteile von weniger Gesunden. Bekanntlich gehen niedrige Einkommen nicht selten mit Kontaktmangel oder sogar sozialer Isolation einher. Mehr als doppelt so viele Wohlhabende gehen aus und sehen Freunde und Bekannte. Auch bei der politischen Beteiligung zeigen sich deutliche Unterschiede: Während 36% der Wohlhabenden stark am politischen Geschehen interessiert sind, beläuft sich dieser Anteil bei den Einkommensschwachen nur auf rund 20%.

In allen drei Einkommensgruppen ist eine deutliche Mehrheit zufrieden mit dem Leben. Dennoch gibt es eine nicht zu vernachlässigende Zahl von teilweise unzufriedenen Menschen, die gehäuft der niedrigsten Einkommensgruppe angehören. Ihre Unzufriedenheit zeigt sich natürlich besonders in finanzieller Hinsicht. Aber auch in Bezug auf andere Bereiche und das Leben im Allgemeinen sind die Anteile der Unzufriedenen unter den Einkommensschwachen höher. Die Analyseergebnisse unterstreichen somit die Bedeutung der Einkommenslage für den Zufriedenheitsgrad der Bevölkerung, zeigen auf der anderen Seite aber auch, dass dieser letztlich erst in Kombination mit weiteren Einflussfaktoren erklärbar wird.

Notiz zur Nachricht

Arm sein heisst in der Schweiz: Nicht haben können, was für die anderen selbstverständlich ist. Im Vergleich zu anderen Industrieländern gibt es wenig Armut in der Schweiz, trotzdem leben 10% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze Fast die Hälfte von diesen sind Paare mit Kindern. 60% der in Armut Lebenden sind weniger als 40 Jahre alt. Häufig sind es alleinerziehende Elternteile oder allein lebende Männer

Laut einer Studie des Schweizerischen Nationalfonds besitzen in der Schweiz rund 3% der Bevölkung über 90% des gesamten Vermögens. Die Vermögensverteilung der Schweiz entspricht etwa jener von Argentinien (allerdings auf einem höheren Niveau) . In Argentinien ist der Mittelstand mittlerweilen auch noch verarmt. Soziale Konflikte sind die unabdingbare Folge davon.

Datum: 05.11.2002

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