"Initiative fordert das Ende der humanitären Tradition"

Schweizerbrett

Bern. Eine "menschenverachtende Mogelpackung" sei das Volksbegehren "gegen Asylrechtsmissbrauch" der Schweizerischen Volkspartei (SVP), über die am 24. November abgestimmt wird. Denn sie fordere nichts weniger als "das Ende der Asylgewährung und so das Ende der humanitären Tradition". Dies legte die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SHF), unterstützt unter anderem durch Caritas Schweiz bei der Lancierung der Abstimmungskampagne vor den Medien dar.

Das Volksbegehren der SVP will den "Asylrechtsmissbrauch" verhindern und möchte drastische Grundsätze in der Bundesverfassung festschreiben. Zum Beispiel diesen: Bei Asylsuchenden, die aus einem sicheren Drittstaat in die Schweiz eingereist seien, werde auf ein Asylgesuch nicht eingetreten, "wenn der Asylsuchende im Drittstaat ein Asylgesuch gestellt hat oder hätte stellen können".

Praktisch niemand mehr

Es sei dies eine "extreme Forderung", die praktisch alle Asylsuchenden ausschliesse, warnte die SHF zum Auftakt der Abstimmungskampagne. Denn die Nachbarstaaten der Schweiz dürften als sicher gelten, und weil 98 Prozent aller Asylsuchenden auf dem Landweg fliehen, würden bei einer Annahme der SVP-Asylinitiative praktisch 98 Prozent der heutigen Asylsuchenden in der Schweiz einen Nichteintretensbescheid erhalten, erklärte SFH-Zentralsekretär Alberto Achermann.

Dies aber hätte das "Ende der humanitären Tradition der Schweiz" zur Folge. Achermann: "Vom Prinzip her würden wir uns wieder in den Zeiten des Zweiten Weltkrieges finden, als sich die Schweiz als blosser Transitstaat verstand. " Mit dem Unterschied, dass die Maxime nicht mehr "Das Boot ist voll" wie in den vierziger Jahren, sondern "Die Schweiz ist kein Boot" lauten würde.

Am meisten Flüchtlinge in armen Ländern

Daran, dass die erdrückende Hauptlast der Flüchtlinge - weltweit sind derzeit schätzungsweise 40 Millionen Menschen auf der Flucht - von den armen Ländern getragen wird, erinnerte Jürg Krummenacher, Direktor des katholischen Hilfswerks Caritas: Bei kriegerischen Konflikten, gewaltsamen Auseinandersetzungen, Menschenrechtsverletzungen und Umweltkatastrophen suchen die meisten Menschen im eigenen Land oder in einem Nachbarland Zuflucht und Schutz.

Ende August lebten in der Schweiz laut Krummenacher knapp 93.500 Personen unter den verschiedenen Kategorien des Asylbereichs; das sind 0,2 Prozent aller Menschen, die weltweit auf der Flucht sind.

"Gebot der Menschlichkeit"

Die Schweizer Hilfswerke leisten in vielen Krisenregionen gezielte und wirksame Hilfe vor Ort. Jürg Krummenacher erinnerte etwa daran, dass Caritas in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo seit 1995 und bis Ende 2001 den Wiederaufbau von 4.900 Häusern und Wohnungen ermöglicht hat, die beim 1991 ausgebrochenen Krieg zerstört wurden. Die Zahl der Personen, die dadurch wieder ein Dach über dem Kopf erhalten habe, entspreche der Bevölkerung einer Schweizer Stadt wie Lugano oder Sitten.

Die Hilfe vor Ort sei zwar unersetzlich, könne aber nicht allen Menschen genügend Schutz bieten, unterstrich Krummenacher: "Wer in seinem Heimatland verfolgt und an Leib und Leben bedroht ist, soll auch in Zukunft in unserem Land Schutz und Zuflucht erhalten. Das gebietet nicht nur die humanitäre Tradition unseres Landes. Es ist schlicht auch ein Gebot der Menschlichkeit."

Ausgrenzung und Ausbeutung durch Arbeitsverbot

Die SVP-Asylinitiative sei auf die "fixe und unrealistische Vorstellung" gerichtet, Asylsuchende von der Schweiz fernzuhalten, kritisierte SP-Nationalrätin Regina Aeppli, Präsidentin des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks. Auch würde die Initiative durch das Verbot der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit für Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene eine "erbarmungslose Ausgrenzung" der Betroffenen bewirken und gleichzeitig auch zu deren Ausbeutung führen - "es ist ein offenes Geheimnis, dass viele Abgewiesene, die untertauchen, als Schwarzarbeiter in Landwirtschaft und Gastgewerbe angeheuert werden!"

Es gebe durchaus vereinzelte Missbräuche im Asylwesen, räumte SHF-Zentralsekretär Alberto Achermann auf eine entsprechende Frage ein. Mit der Initiative der SVP werde jedoch diesbezüglich schon gar nichts gelöst: "Die würde einzig ein grosses Chaos anrichten." SHF-Rechtsdienstleiter Jürg Schertenleib ergänzte, dass die SHF kürzlich die erste Organisation gewesen sei, die eine Studie zur Kriminalität von Asylbewerbern durchgeführt und veröffentlicht habe.

Vernageltes Schweizerkreuz

Ein mit Holzbrettern vernageltes Schweizerkreuz ist das Leitmotiv der Abstimmungskampagne der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SHF) gegen die SVP-Asylinitiative, über die am 24. November abgestimmt wird. Es soll das Bild einer zugenagelten Schweiz vermitteln, die mit dem sprichwörtlichen Brett vor dem Kopf die Augen vor dem weltweiten Flüchtlingselend verschliesst. Die auch mit Spendengeldern finanzierte Abstimmungskampagne an Plakatwänden, auf Internet und in der Fernsehwerbung werde schätzungsweise 500.000 Franken kosten, sagte Jürg Schertenleib, Leiter des SHF-Rechtsdienstes am Mittwoch vor den Medien.

Hinweis: Weitere Informationen auf dem Internet unter www.asylinitiative.ch

Auch kirchennahe Vertreter im Komitee

Dem zwölfköpfigen Komitee "Nein zur SVP-Asylinitiative" gehören auch kirchennahe Vertreterinnen und Vertreter an: Verena Bürgi-Burri, Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes, Fulvio Caccia, Caritas-Präsident, und Jürg Krummenacher, Caritas-Direktor, sowie Franz Schüle, Zentralsekretär des Hilfswerk Evangelischer Kirchen der Schweiz (Heks).

Datum: 27.09.2002
Quelle: Kipa

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