Familienleistung statt Familienlast

hausarbeit

Bern. In der Bewertung der häuslichen Arbeit, insbesondere in Familien mit Kindern, zeichnet sich ein Wandel ab. Dies jedenfalls ist die Überzeugung des Sozialethikers Christof Arn, der jetzt die neuesten Ergebnisse dazu in Buchform herausgegeben hat.

Das neue Buch mit dem Titel „Wie viel ist eine Stunde Haus- und Familienarbeit wert?“* bringt Fachaufsätze verschiedener Autorinnen und Forscher zum Stellenwert der unbezahlten Arbeit, besonders in Haushalten mit Kindern. Das Buch wertet eine Tagung aus, die unter anderem Berechnungen des Wertes der Hausarbeit präsentierte. An einer Buchvernissage in Bern wurde auch die Arbeitsweise des neuen Netzwerks „HausArbeitsForschung“ vorgestellt, das bereits zur Publikation des neuen Buches beigetragen hat.

Christof Arn postuliert Handlungsbedarf für die Familienpolitik. Immer mehr zeige sich, dass einerseits Singles und Paare gut ohne Kinder leben könnten, aber auf mittlere Sicht nicht die Gesellschaft. Bei der heutigen Geburtenrate würde die Schweizer Bevölkerung (ohne Zuwanderung und Alterung) innerhalb einer Generation um über einen Viertel abnehmen, rechnet Arn. Das hätte schwerwiegende Auswirkungen. Sein Optimismus gründet in der Überzeugung: Die Schweiz ist an einem Wendepunkt angelangt, wo sich die Machtverhältnisse zwischen den Familien einerseits und Öffentlichkeit, Wirtschaft und Staat andererseits umkehren. Man spreche bereits jetzt mehr von Familienleistung, als von Familienlasten.

Neues Bewusstsein ?

Arn ortet in der Schweizer Gesellschaft einen „kollektiven Bewusstwerdungsprozess“ im Blick auf die Haus- und Familienarbeit. Immerhin sei diese Leistung in nur einem Jahrzehnt aus dem Unbewussten der Öffentlichkeit aufgetaucht, in Franken schätzbar geworden und ab 2003 auch Teil der nationalen Buchhaltung. Er prognostiziert: „Politik und Wirtschaft werden aus Eigeninteresse die tatsächlichen und potenziellen Familien umwerben, um auf ihre Bedürfnisse eingehen zu können.“ Zukunftsmusik? Tatsache ist, dass heute gerade kinderreiche Familien von Staat und Wirtschaft benachteiligt werden. Kinderkosten werden völlig ungenügend abgedeckt.

Eine obligatorische Mutterschaftsversicherung lässt immer noch auf sich warten. In der Altersvorsorge sind gerade die nichterwerbstätigen Mütter (trotz Anrechnung der Betreuungsleistung in der AHV) weiterhin benachteiligt. Ebenso Ehepaaren gegenüber Konkubinatspaaren. Es gibt somit keinen Grund, auf Erreichtem auszuruhen. Sowohl in der Praxis wie in der Forschung müssten Fortschritte erzielt werden, so Arn.

Für die weitere Forschung wurde das Projekt „Open Research“ geschaffen. Es gibt allen Interessierten Gelegenheit, mit dem bestehenden Forschungsteam zusammen zu arbeiten. Zu diesem Zweck wird eine Website aufgebaut**, wo Interessierte ihre Anregungen und Kommentare eingeben und die laufenden Arbeitsschritte mitverfolgen. Ausserdem können Stellungnahmen des Forschungsteams auf Kommentare eingesehen werden. Zudem kann man mit dem Forschungsteam in Kontakt treten und sich einmischen. Damit verfolgt das Team unter anderem das Ziel, im Kontakt mit der Praxis zu bleiben.

Zwei Drittel der Familienarbeit leisten Frauen

Das Netzwerk Hauswirtschaftsforschung verfolgt nebst politischen Zielen aber auch das Anliegen der Gleichberechtigung der Geschlechter, die in der Praxis noch in vielen Bereichen, insbesondere in der Hausarbeit, Utopie sei, wie Nationalrätin Brigitte Gadient, Mitglied des Netzwerks, sagte. Zwei Drittel der Familienarbeit werde nach wie vor von Frauen geleistet. Der grosse Teil dieser gesellschaftlich notwendigen Arbeit werde nicht bezahlt. Ohne diese Arbeit könne aber die Gesellschaft nicht existieren. Die Männer seien gerufen, sich hier stärker zu beteiligen, Dazu sei aber eine Aufwertung dieser Arbeit nötig.

Hier wirke sich immer noch eine Haltung aus einer Zeit aus, wo der Mann und Hausvater als das der Frau überlegene Wesen gegolten habe. Er besorgte und verfügte über das Erwerbseinkommen. Die Gleichberechtigung der Geschlechter sei im Blick auf die Familienarbeit noch längst nicht realisiert. Trotz dem Gleichheitsartikel in der Bundesverfassung gelte zum Beispiel das Einkommen der Ehefrau steuerlich noch immer als „Zusatzeinkommen“. Die Frau und Mutter besorge weiterhin normalerweise den Haushalt. Gegenüber sich selbst und der Aussenwelt messe sie dieser Arbeit aber einen Minderwert gegenüber der Erwerbsarbeit zu.

Bis heute laute das Idealbild in der Schweiz: Wenn Kinder da sind, bleibt die Mutter zuhause und betreut die Kinder. Die strikte Aufteilung sei zwar aufgehoben worden, doch bleibe für den Mann die Erwerbstätigkeit dominierend, während sie bei den Frauen durch die Familienpflichten begrenzt werde. „Ob mit oder ohne Kinder, es sind nach wie vor die Frauen, die die Hausarbeit erledigen, mit oder ohne Erwerbstätigkeit“, bemängelte Gadient. Auch nach der Pensionierung nehme der männliche Teil an der Hausarbeit nur leicht zu. Wenn die Frauen erwerbstätig seien, komme es zur Doppel- und Dreifachbelastung.

Die Forschung interessiert daher, wie sich die Haushalte und Geschlechterrollen entwickeln werden. In welchem Umfeld wird Haus- und Familienarbeit in 10 oder 20 Jahren stattfinden? Was bedeutet das für das Ausbildungsfach Hauswirtschaft, und was bedeutet es konkret für die Lehrerfortbildung? Der Campus Muristalden und die auf diesem Areal befindliche Abteilung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung füllen eine Lücke, indem sie das früher in Seminaren gelehrte Fach Hauswirtschaft aufgenommen und dafür ein Kompetenzzentrum geschaffen haben. Der Versuch, einen Lehrstuhl für das Fach an der Universität Bern einzurichten, sei aber an Geldmangel gescheitert, hiess es in Bern. Muristalden will sich auf die Thematik rund um den Privathaushalt konzentrieren und dazu weitere Tagungen anbieten.

Engagement als Nachteil

Auch in der Wirtschaft habe sich die Diskriminierung der Frauen wegen ihrer Familienpflichten eher verfestigt. Diese Arbeit werde bei Stellenbewerbungen in der Regel nicht gewürdigt. Vielmehr spreche man den Frauen wegen ihrer Hausarbeitspflichten oftmals das ernsthafte Engagement für die Erwerbsarbeit ab. Eine Ausnahme bilde hier die Stadt Bern.

Wie der Leiter des Bereichs Haushaltswissenschaft im Campus Muristalden, Christian Trepp, sagte, sei dieses Wissensgebiet in der Vergangenheit in der Schweiz stark vernachlässigt worden. Man wolle deshalb auf diesem Gebiet neue Schwerpunkte zu setzen.

Das neue Buch ist im hep-Verlag Bern erschienen. Von Seiten des Verlages informierte Bernhard Probst über eine geplante Buchreihe Hauswirtschaftsforschung, wobei man mit dem Netzwerk Hauswirtschaftsforschung zusammenarbeiten wolle.

*Arn Christof (Hrg):., Wie viel ist eine Stunde Haus- und Familienarbeit wert? Fachtexte zum Stellenwert der unbezahlten Arbeit. Pb 121 Seiten. Hep-Verlag. Bern 2002. Fr. 29.00. ISBN 3-905905-74-4.

**Webseite: www.familyplatform.ch

Datum: 24.09.2002
Quelle: SSF

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