Die Wolke von Yverdon

Die Architekten Elisabeth Diller und Ricardo Scofidio haben auf der Arteplage von Yverdon-les-Bains eine künstliche begehbare Wolke gebaut.

Sie hat mich fasziniert, die künstliche Wolke als Wahrzeichen auf der Arteplage in Yverdon. Wohltuend, während der Mittagshitze in den kühlen Nebel einzutauchen, der über dem Neuenburgersee schwebt.

Ein Wolke betritt man ja nicht alle Tage. Die feinen Wasserstrahlen aus den 31 400 Düsen besprühen unsere blauen Pelerinen, bis wir auf die oberste Etage des Stahlgerüstes und damit verwundert aus dem Dunst steigen. Unmittelbar muss ich an meine Bibellese im Buch Exodus denken. "Während der Wanderung ging ihnen der Herr tagsüber in einer Wolkensäule vor ihnen her, um ihnen den Weg zu zeigen…" Sie war das sichtbare Zeichen der Gegenwart Gottes, leitete das Volk Israel auf dem Wüstenzug und bestimmte die Lagerzeiten.

Die Arteplage Yverdon steht unter dem Thema "Ich und das Universum". Da passt das Symbol der Wolke nicht schlecht, auch wenn auf der ganzen Arteplage wohl nirgends ein Hinweis auf die Wolke als Sinnbild für die Gegenwart Gottes auszumachen ist. Der Mensch und die Welt, das All, die Schöpfung. Wie soll er leben? Welchen Weg soll er gehen? Diese Fragen werden dem Besucher im Pavillon "Wer bin ich?" gestellt. Man legt sich in einem grossen, abgedunkelten Raum rücklings auf Schaummatten und schaut auf einen riesigen Bildschirm an der Decke, der quasi als Seelenspiegel geheimnisvolle Ornamente und Bilder zeigt. Im Hintergrund sphärische Musik. Aus kleinen Lautsprechern links und rechts des Liegeplatzes dringen die Fragen ans Ohr: "Bin ich glücklich?" "Könnte ich allein leben?" Ein Kind fragt: "Papi, warum gehst du immer arbeiten?"

Den Ansatz dieser Ausstellung finde ich genial. Nach einer Stunde des Wartens in der Hitze, ist man im kühlen Raum durchaus bereit, sich solches vor sein Inneres führen zu lassen. Leider mangelt es an tieferen Fragen nach dem Lebenssinn, nach Gott. Die Gedankenbrücke zur Wolke fehlt. Der Besucher wird wohl zum Nachdenken angeregt – und das ist auch schon etwas –, Antworten gibt ihm die Expo.02 hier nicht.

Eine leichte Brise mit feuchter Wolkenluft weht mir beim Verlassen des Pavillons angenehm ins Gesicht. In der Fülle der Optionen brauchen wir heute die Wolkensäule, die uns persönlich und dem Schweizervolk vorangeht. Will uns die Expo darauf hinweisen?

Datum: 25.08.2002
Autor: Fritz Herrli
Quelle: idea Schweiz

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