Verschiedentlich haben Sie sich im Verlauf der Abstimmungsdebatte zur Fristenregelung auf den «gütigen und gnädigen Gott» berufen. Wir finden es positiv, wenn ein Mitglied der Landesregierung öffentlich mit Gott rechnet. Schliesslich beruft sich auch unsere Verfassung auf ihn, jene Verfassung, die den Staat verpflichtet, menschliches Leben zu schützen. Darum kommen wir zu einer anderen Schlussfolgerung als Sie. Immer wieder hören wir, dank der Fristenregelung könne man «unerwünschte Kinder» verhindern. Gott ist nicht nur der Schöpfer des Lebens; er stellt sich auch, am sichtbarsten durch Christus, kompromisslos auf die Seite aller «Unerwünschten», seien es Randständige, Süchtige, Arbeitslose, schwer Pflegebedürftige, Behinderte und all jener, von denen gesagt wird, es erwarte sie keine Liebe. Er spricht ihnen nicht nur das Lebensrecht zu, sondern schenkt ihnen auch Mut, Heilung, Selbstvertrauen kurz: Liebe. Er nimmt sie so, wie sie sind, und verhilft ihnen zum Leben, nicht zum Tode. Zweifellos kann eine ungewollte Schwangerschaft eine Frau vor scheinbar unlösbare Probleme stellen. Für die Frau allein unlösbar, nicht aber für eine Gesellschaft, die sich auf Gott beruft und zudem so reich ist wie unsere Schweiz. Wir rufen Sie als Bundesrätin und unsere ganze Gesellschaft dazu auf, solcher Not nach dem Vorbild von Christus solidarisch zu begegnen, anstatt mit der Fristenregelung den Tod zu einer frei wählbaren «Lösung» zu machen. Auch wir glauben, Gott sei gnädig und gütig. Wir schliessen daraus, dass wir das letzte Urteil über unser Handeln auch über Abtreibungen ihm überlassen müssen, aber nicht, dass wir Tötung menschlichen Lebens generell zwölf Wochen lang zu Nicht-Schuld erklären dürfen. Die Zwänge zu politischer Machbarkeit dürfen nicht das Hinhören auf Gott verdrängen. Wir sind überzeugt, dass wir uns nicht nur auf seine Gnade und Güte berufen können, sondern auch mit seinem Gerechtigkeitssinn rechnen müssen, wenn es darum geht, für unser Handeln gerade zu stehen. Wer sich auf Gott beruft, ist ihm auch verpflichtet. Vielleicht hat unser Land nicht ewig Zeit, sich zu bewähren, wenn es um den Schutz des Lebens, besonders der Schwächsten geht; vielleicht läuft diese Frist auch einmal ab. Frist von Gottes Gnaden? Mit hochachtungsvollen Grüssen Für die GLS: Für das Patronatskomitee GLS:
Walter Hürzeler, Präsident
Dr. Ruedi Aeschbacher
Datum: 25.05.2002
Quelle: GLS