Geehrt und kritisiert

Rupert Neudeck: 75 Jahre und kein bisschen leise

Der Journalist, promovierte Philosoph, Gründer der Cap Anamur und Vorsitzende des Friedenskorps «Grünhelme e.V.», Rupert Neudeck, wird heute 75 Jahre alt. Längst ist er so etwas wie eine moralische Institution. Doch in einem Alter, wo andere nur den Ruhestand vor Augen haben, bleibt der «Revolutionsromantiker» hoch aktiv.
Rupert Neudeck

«Lebensretter, Grenzgänger und Quälgeist» titelt der Evangelische Pressedienst, um den streitbaren 75-Jährigen zu beschreiben und unterstreicht damit, dass sich dieser in keine Schublade einsortieren lässt.

Philosophie und Journalismus

Der gebürtige Pole Neudeck, geboren am 14.05.1939 in Danzig, studierte Philosophie, Germanistik, Soziologie und Theologie. Für eine Weile trat er den Jesuiten bei und promovierte anschliessend zum Doktor der Philosophie. 1971 begann er, als Journalist zu arbeiten, zunächst beim Radio in Köln, dann als freier Journalist. Doch das Berichten über politische Entwicklungen und Krisen reichte ihm bald nicht mehr.

Cap Anamur und die Not der Welt

1979 rüttelte die Not vietnamesischer Bootsflüchtlinge, der Boat People, die Welt auf. Auch Neudeck wurde aktiv. Er warb Spenden ein, gewann den Schriftsteller Heinrich Böll als Unterstützer, suchte Helfer – und wurde zum Retter vieler Flüchtlinge. Anfang 1980 nahm das deutsche Schiff Cap Anamur im südchinesischen Meer die ersten 28 Boat People auf. Mit den Jahren konnten mehr als 11'000 Schiffbrüchige gerettet werden. Bald befasste sich Neudeck auch mit der Not in anderen Weltregionen. Bis heute reist er in humanitärer Mission um den Globus, appelliert und analysiert, kritisiert und polemisiert. In Talk-Shows und Interviews tritt der hagere Mann mit dem weissem Haar und dem weissem Bart weiter als Anwalt von Menschen in Not auf.

Das Abenteuer humanitäre Hilfe

Als «Abenteuer der humanitären Hilfe» hat er das Notärzte-Komitee Cap Anamur einmal bezeichnet. Lange leitete er die Arbeit, unterstützt von seiner Frau Christel, von seinem Wohnzimmer in Troisdorf bei Bonn aus, anfangs mit Hilfe eines sperrigen Telexgerätes. Hilfe leisteten er und seine Mitstreiter vor allem dort, wo keine andere Organisation hinkam, in entlegenen Orten in Somalia, im Kongo, im Kosovo oder in Nordkorea. Tagelange Fussmärsche und riskante Flüge gehörten dazu. So überquerte Neudeck als Mudschaheddin verkleidet eisige Hochgebirgspässe, um von Pakistan nach Afghanistan zu gelangen. Im Dezember 1999 stapfte er mit einem Medikamententransport durch das Felsenmeer der Nuba-Berge im heissen Südsudan. Den zehntägigen Marsch nannte er später «ein im besten Sinne spirituelles Erlebnis».

Der Auftrag des Evangeliums

Regierungen, UNO-Organisationen und manche etablierte Hilfswerke kritisiert Neudeck oft: Sie sind ihm zu schwerfällig, zu langsam. Aber er ist auch streng gegen sich selbst: Als junger Novize hatte er sich in einem Jesuiten-Kloster bis zur Erschöpfung in Askese geübt, kehrte dann aber dem Orden den Rücken. Weil er den Bedürftigen nahe sein möchte, übernachtet er schon einmal bei den Krankenpflegern im Keller eines Hospitals. Auf seine Motivation angesprochen, nennt Neudeck die harte Zeit und die Rettung als Kind auf der Flucht aus Danzig – und seinen Glauben: «Der Auftrag des Evangeliums ist, Menschen zu helfen, wo sie in Not sind.»

Radikal leben

Unter dem Titel «Radikal leben» hat Neudeck gerade ein Buch veröffentlich, eine Art Resümee seines Lebens und seiner Arbeit. Darin geht er auch auf geistliche Dinge ein.

Zum Beispiel, dass er in einer Krise – drei Mitarbeiter waren seit Monaten entführt – von einem befreundeten Imam gefragt wird, wann Christen eigentlich beten. Neudeck fühlt sich ertappt. Er betet selber und startet eine Gebetskette für die Entführten. Das Resultat: Zwei der drei Gefangenen können sich genau zur Zeit des Gebets selbst befreien und entkommen.

Kritik und Ehrungen

Viele kritisieren Neudeck. Dafür, dass er sich über lokale Gesetze hinwegsetzt. Dafür, dass er Risiken falsch einschätzen würde. Dafür, dass er als Polit-Dilettant in ein Krisengebiet eilen, viel Staub aufwirbeln und wieder verschwinden würde. Andererseits: Ist eine Arbeit wie seine ohne solche Grenzüberschreitungen überhaupt denkbar? Die zahlreichen Ehrungen, die er erhalten hat – und noch mehr die zahlreichen Reaktionen von Staaten und anderen Hilfsorganisationen, die seine Initiativen immer wieder aufgenommen und weitergeführt haben, sprechen hier eine deutliche Sprache.

Revolution ja, Romantik nein

Viele sehen in Neudeck einen Revolutionsromantiker. Den Romantiker verneint er, zum Geist der 68er-Bewegung und zur Revolte bekennt er sich dagegen gern. Die Frage, ob er wegen seines Alters bald etwas kürzer treten wolle, amüsiert ihn. «Das ergibt sich ganz natürlich», sagt Neudeck. «Das kommt, wenn es kommt.»

Datum: 14.05.2014
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / epd

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