Palästinensisches Oktoberfest

Ein Christ braut «das beste Bier des Nahen Ostens»

In einem kleinen Dorf im Palästinensergebiet braut ein Christ «das beste Bier des Nahen Ostens». Damit – und mit einem eigenen Oktoberfest – leistet er einen Beitrag zur Völkerverständigung zwischen Israelis und Palästinensern.
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Nadim Khoury wirkt noch etwas abgehetzt. Er kommt gerade aus Tel Aviv, wo er ein Ersatzteil für die Etikettiermaschine besorgen musste. Sie stand den halben Tag lang still. «Aber jetzt funktioniert alles wieder», sagt er und zeigt zufrieden auf das Laufband, das die klirrenden Flaschen zu den verschiedenen Stationen transportiert. Etwa 4000 sind es pro Stunde. Im Jahr produziert die kleine Brauerei in dem 2100-Seelen-Dorf Taybeh rund 600‘000 Liter des begehrten Gerstensaftes.

Gleich zu Beginn der Brauereiführung können sich die Besucher davon überzeugen, dass das – nach dem Ort benannte – «Taybeh» dem deutschen Bier geschmacklich kaum nachsteht. Khourys Tochter Madees, die Juniorchefin des Unternehmens, schenkt ein. «Wissen Sie, was ‚Taybeh’ eigentlich bedeutet?», fragt Nadim. Man spürt, dass er es kaum abwarten kann, selbst die Antwort darauf zu geben: «‚lecker’!»

Kein eigener Staat – aber ein eigenes Bier

Doch «Taybeh» war für den findigen Geschäftsmann von Anfang an mehr als nur süffiges Bier. Es war zugleich eine politische und wirtschaftliche Ansage. Neben dem wohl bekanntesten Firmenslogan «Das beste Bier des Nahen Ostens» lautet ein anderer: «Probier’ die Revolution». «Wenn wir schon keinen eigenen Staat haben, dann doch zumindest ein eigenes Bier», erklärt der 52-Jährige. Mit der Brauerei, die inzwischen 15 Menschen aus dem kleinen Ort Arbeit gibt, wolle er die örtliche Wirtschaft stärken, «damit wir irgendwann auch politisch unabhängig werden». Als Nadim Khoury – nach 15 Jahren in den USA – 1993 auf Bitten des Vaters in sein palästinensisches Heimatdorf zurückkehrte, sah es so aus, als könnte sich diese Hoffnung erfüllen. Der Vertrag von Oslo war gerade unterzeichnet, in dem zunächst die Selbstverwaltung des Gaza-Streifens geregelt und später die Autonomie des Westjordanlandes festgehalten wurde. «Unser Vater bat uns damals, beim wirtschaftlichen Aufbau Palästinas zu helfen», erzählt er.

Für Khoury, der in den USA als Immobilienhändler Karriere gemacht und dort seine Leidenschaft für Bier entdeckt hatte, war das eine Ehrensache. Zusammen mit seinem Bruder David beschloss er, in Taybeh eine kleine Brauerei zu gründen – die erste Mikrobrauerei des Nahen Ostens. Mehr als 1 Million US-Dollar investierten sie in den Aufbau ihres Unternehmens. «Unsere erste Flasche Bier haben wir am 15. August 1995 abgefüllt», erinnert sich David Khoury, der seit 2005 Bürgermeister des kleinen Ortes ist. Er ist nach wie vor Teilhaber der Brauerei und kommt in den Mittagspausen gern mal vom Rathaus rüber ins Unternehmen. Kunden, die regelmässig in die Brauerei kommen, behaupten gar, hin und wieder tauschten die beiden Brüder ihre Arbeitsplätze …

Gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot

Wie auch immer: Das von ihnen kreierte Bier hat längst einen festen Namen. Man bekommt «Taybeh» in Cafés und Bars in Ramallah ebenso wie in Kneipen und Restaurants in Jerusalem und Tel Aviv. Für seine jüdischen Kunden lässt sich Nadim Khoury jedes Jahr von einem Rabbi per Zertifikat bescheinigen, dass sein Hopfensaft gemäss den Jüdischen Speisegesetzen koscher – also «rein» – ist. Auch in christlichen Gästehäusern wie dem der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in der Jerusalemer Altstadt schenkt man «Taybeh» aus. Ausserdem exportieren die Khourys mittlerweile rund zehn Prozent ihrer Produktion nach Europa und Asien.

Für Muslime entwickelte Khoury mittlerweile ein alkoholfreies Bier.

Israelis und Palästinenser feiern zusammen

Einmal im Jahr lässt die Khoury-Familie im Dorf das «Oktoberfest» feiern. Die Idee dazu kam Nadim Khoury beim Besuch des traditionsreichen Originals in München. «Auch wir Palästinenser verstehen es zu feiern», sagt er. Seit sieben Jahren erfreut sich der palästinensische Ableger des bekanntesten Volksfestes der Welt immer grösserer Beliebtheit; im vergangenen Jahr kamen rund 14‘000 Besucher! Das Taybeher «Oktoberfest» diene der Völkerverständigung. «Da sitzen Israelis und Palästinenser an einem Tisch und trinken zusammen Bier», erzählt Khoury begeistert. Viele Händler des verschlafenen Örtchens verdienen dann mit ihren Verkaufsständen in wenigen Tagen so viel wie sonst in mehreren Wochen.

Und Nadim Khoury arbeitet schon an seinem nächsten Projekt: einem eigenem Wein.

Webseite:
Taybeh-Bier (in englischer Sprache)

Datum: 15.05.2012
Quelle: idea

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