Von Pontius zu Pilatus

Woher das Tafelsilber unseres Wortschatzes stammt

Wie kommt es, dass wir von Pontius zu Pilatus laufen, obwohl Pontius Pilatus doch nur eine Person war? Und woran liegt es, dass auch Menschen, die keinen Bezug zur Religion haben, davon sprechen, jemandem die Leviten zu lesen oder im siebten Himmel zu sein? Ein Beitrag über das Tafelsilber unseres Wortschatzes.
So stellte sich der Maler Antonio Ciseri vor, wie Pontius Pilatus der Menge Jesus Christus vorführte.

Viele Redewendungen haben ihren Ursprung in der Bibel – und die meisten Menschen verwenden sie in der Umgangssprache, ohne es zu wissen.

Als Martin Luther vor fast 500 Jahren in nur elf Wochen das Neue Testament übersetzte, legte er damit einen wichtigen Grundstein für die deutsche Sprache. «Man muss die Mutter im Haus, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden und danach dolmetschen; so verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet», schrieb er im «Sendbrief vom Dolmetschen» (1530). Die Inhalte der Bibel wurden dann über Jahrhunderte hinweg ständig zitiert, die «Biblizismen» Teil der Alltags-Sprache.

«Im siebten Himmel»

Jörg Buchna, ehemaliger Öffentlichkeitspastor der hannoverschen Landeskirche in Ostfriesland und Buchautor, hat sich 2003 auf die Suche nach Sprachschätzen gemacht und das erste Buch einer Trilogie zu biblischen Redewendungen veröffentlicht. Er kennt die Herkunft vieler Redensarten. Wer sich beispielsweise vor Liebe oder Verzückung im «siebten Himmel» wiederfindet, weiss oft nicht, dass seine Aussage eigentlich auf den Apostel Paulus zurückgeht. Dieser schrieb über jemanden, der im dritten Himmel war, die Redewendung ist aber auf diese Bibelstelle (2. Korintherbrief 12,2-4) zurückzuführen.

«Vom Scheitel bis zur Sohle»

Und wenn einem dann sein Gegenüber «vom Scheitel bis zur Sohle» gefällt, bezieht sich das eigentlich auf Abschalom aus dem zweiten Buch Samuel, der «vom Scheitel bis zur Sohle» ohne Makel war (2. Buch Samuel, Kapitel 14, 25).

Auch das «Tohuwabohu» stammt aus der Bibel: Dieser hebräische Ausdruck heisst «wüst und leer» - so sah die Erde anfangs aus, heisst es in der Schöpfungsbericht (Genesis/1.Mose 1,2).

Die Deutsche Bibelgesellschaft in Stuttgart listet noch zahlreiche andere bekannte Redewendungen auf. Dazu gehören etwa «Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein» (Sprüche 26,27), «Hochmut kommt vor dem Fall» (Sprüche 16,18) oder auch «Alle Wasser laufen ins Meer» (Prediger 1,7).

«Tafelsilber unseres Wortschatzes»

Buchna zählt die biblischen Ausdrücke zum «Tafelsilber unseres Sprachschatzes». Der Verlust der Kenntnis über ihren Ursprung bereitet ihm Sorgen. Er wirbt in Zeiten von Twitter und SMS dafür, «Redewendungen, die noch Inhalte transportieren, zu bewahren und sie nicht zu leeren Worthülsen verkommen zu lassen». Es lohne sich, den Ursprüngen einmal nachzugehen, sagt er.

Manchmal merkt man dabei auch, wie sich die Bedeutungen verschieben. Heute bedeutet etwa «jemandem die Leviten lesen»: «jemanden streng zurechtweisen oder tadeln». Diese Redewendung leitet sich aus dem 3. Buch Mose (Levitikus) ab. Dort sind Verhaltensregeln für die Leviten - so wurden im alten Israel die Priester genannt -  niedergeschrieben, die sich von Opferregeln bis hin zu Anweisungen für das alltägliche Leben und den Umgang miteinander erstrecken. Werden einem also die Leviten gelesen, so geht es also eigentlich um die dort niedergeschriebenen Regeln.

«Von Pontius zu Pilatus»

Ein wenig komplizierter verhält es sich mit der Redewendung «von Pontius zu Pilatus laufen». Heute wird es verwendet im Sinne von «erfolglos vom einem zum anderen laufen». Pontius Pilatus war der römische Statthalter in Judäa, der nach langem Zögern Jesus zum Tode durch Kreuzigung verurteilte.

Wie also kann man von Pontius zu Pilatus laufen, wo dieser doch nur eine Person war? Vielleicht deswegen: Jesus wurde als Gefangener vom Verhör vor dem Rat der Priester und Ältesten zu Pilatus geführt. Als der von Jesus hörte, dass er aus Galiläa sei, schickte ihn Pilatus zu Herodes als dem für Galiläa zuständigen «Richter». Doch Herodes sandte den Gefangenen schliesslich wieder zu Pilatus zurück (Lukas 23).

Dieses erfolglose Hin und Her von einer Instanz zur anderen, um dann doch wieder am Ausgangspunkt anzukommen, nämlich bei Pontius Pilatus, ist der Grund für den erst mal etwas seltsam anmutenden Gebrauch dieser Redewendung. Übrigens ist es in Dänemark nicht ganz so kompliziert. Dort heisst es nämlich - ins Deutsche übersetzt - «einen von Herodes zu Pilatus schicken».

Datum: 23.04.2011
Quelle: Epd

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