Schonungslos erklärt

Was neue Medien wirklich auslösen

Die Wirkung neuer Medien auf Jugendliche wird oft kontrovers diskutiert und verharmlost. Die Politik zögert mit präventiven Massnahmen. Die Psychologin Martina Zemp erklärt dagegen, was Sache ist – und empfiehlt «digitale Entgiftung».
Ein Jugendlicher spielt ein gewaltverherrlichendes Computerspiel. (Bild: Unsplash)
Martina Zemp

Martina Zemp ist Professorin für klinische Psychologie an der Universität Wien. Sie therapiert Kinder und Jugendliche, darunter Medien-Geschädigte. An einer von Prof. Guy Bodenmann an der Universität Zürich organisierten Fachtagung stieg Martina Zemp am 27. August mit der guten Nachricht ein: «Viele Jugendliche bewegen sich nach wie vor stark in der realen Welt, insbesondere beim Spielen und im Sport. Auch wenn 99 Prozent der 12-19-Jährigen täglich ihr Handy und 98 Prozent das Internet benutzen.»

Es gibt auch positive Effekte

Die Psychologin nennt auch positive Effekte beim Umgang mit neuen Medien – deren Nutzung im Übrigen seit der Corona-Krise messbar zugenommen hat. So könne Gamen zum Beispiel Sozialkompetenzen wie Hilfsbereitschaft, Zusammenarbeit im Team, kognitive Kompetenzen wie Problemanalyse, die Emotionsregulation, die Sensomotorik (Aufmerksamkeit: schnelle Wahrnehmung und Reaktion sowie Aufmerksamkeitsfokussierung) und die Medienkompetenz fördern.

Die Macht der Lobby – und die Ohnmacht der Eltern

Es gebe aber auch klar schädliche Auswirkungen, insbesondere durch Spiele mit Gewaltinhalten, die aber regelmässig von der interessierten Industrie und der Waffenlobby banalisiert würden.

Gewaltorientierte Spiele sind aber schon deshalb ein Problem, weil ein Drittel der Nutzer noch nicht das definierte Schutzalter erreicht hat. Eltern stehen diesem Problem oft machtlos gegenüber und fühlten sich selbst als Versager in der Erzieherrolle.

Gewalttäter als Helden

Auch Filme spielen bei diesem Problem eine unrühmliche Rolle. Zemp nennt dazu beunruhigende Zahlen: Laut einer Studie sind in ca. 40 Prozent von Bestseller-Filmen die «guten» Figuren oder Superhelden die Täter. Diese werden meistens nicht bestraft, denn rund 70 Prozent der Gewaltszenen beinhalten keine Reue, Kritik oder Bestrafung des Täters. Und etwa 50 Prozent der Darstellungen zeigen keine ernsthaften Leiden oder Folgen für die Opfer. In ca. 40 Prozent der Gewaltszenen wird Gewalt gar mit Humor verbunden. Lediglich etwa fünf Prozent der Streifen strahlen in irgendeiner Form eine Anti-Gewalt-Botschaft aus.

Kurz- und langfristige Auswirkungen

Das bleibt nicht ohne Folgen für das Verhalten der Nutzer. Über 1000 Studien belegen laut Martina Zemp, dass Jugendliche in ihrem Verhalten davon beeinflusst sind: «Meta-Analysen zeigen den statistisch signifikanten Zusammenhang klar auf», so die Psychologin. Andererseits fühlen sich gewaltaffine Jugendliche auch besonders von solchen Filmen und Spielen angezogen. Der Konsum steigert kurzfristig das aggressive Verhalten der Nutzer in verschiedenen Formen.

Es gibt auch langfristige Auswirkungen wie Abstumpfung, mangelnde Empathie und aggressives Verhalten als Problemlösungsstrategie. Umgekehrt beeinflussen aber auch prosoziale Medien das Verhalten junger Menschen. Sie fördern soziales Verhalten und Altruismus. Leider würden laut Zemp solche Filme im Fernsehen viel seltener gezeigt.

«Digitale Entgiftung»

Auf eine selten beachtete Folge für das familiäre Leben wies die Professorin auch noch hin: Unter der Mediennutzung – auch der Eltern – leidet die Face-to-Face Kommunikation von Eltern mit dem Kind. Dies fördert Konflikte und Aggressivität bei den Heranwachsenden, weil diese sich von den Eltern zu wenig beachtet fühlen. Und in der Tat, so betont Martina Zemp, lenkt das Handy stärker ab als viele andere Ablenkungen. Sie empfiehlt daher eine regelmässige «digitale Entgiftung»: das Handy vermehrt auf Flugmodus stellen, Handy-freie Zeiten einrichten, auf Apps verzichten, die uns stark in Anspruch nehmen und wo nötig einen Kalten Entzug auf sich nehmen mit längerer Handy-Abstinenz.

Das Blaue Kreuz hat dazu einen Wettberwerb lanciert: #ZEITGEWINN ist das erste innovative Projekt zur Förderung eines massvollen Smartphone-Konsums bei Lernenden in Oberstufen, Mittelschulen oder Gewerbeschulen sowie Gruppen ab 5 Personen. Alle Infos finden Sie hier.

Zum Thema:
Mediennutzung: Jugendliche surfen täglich 221 Minuten im Internet
Umfrage des Blauen Kreuzes: Smartphone raubt Berner Teenagern den Schlaf
Livenet-Talk: Umgang mit Medien: Good News oder Fake News?

Datum: 28.09.2021
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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