Solidaritätsdelikte

Nächstenliebe darf nicht bestraft werden

Die christlichen Verbände SEA, VFG und die Heilsarmee unterstützen die Initiative von Nationalrätin Lisa Mazzone. Sie verlangt, dass Bürger, die einer Person in Not helfen, nicht bestraft werden sollen – auch dann nicht, wenn sich diese Person illegal im Land aufhält. Am 8. November prüft die Staatspolitische Kommission des Nationalrats eine erneute Revision des Ausländergesetzes.
Nationalrätin Lisa Mazzone (Grüne) bekämpft die Verschärfung des Ausländergesetzes.
Norbert Valley und Anni Lanz (Bild: ideaschweiz.ch)

Nach der Verschärfung des Ausländer- und Integrationsgesetzes im Jahr 2008 macht sich strafbar, wer einer Person in einer Notlage hilft, die sich illegal in der Schweiz aufhält. Konkret verlangt der Artikel 116 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) die Bestrafung einer Person, die «im In- oder Ausland einer Ausländerin oder einem Ausländer die rechtswidrige Ein- oder Ausreise oder den rechtswidrigen Aufenthalt in der Schweiz erleichtert».

«Ehrenhafte Motive» nicht mehr geschützt

Während das Gesetz in leichten Fällen eine Busse vorsieht, erwartet Personen, die zu ihrer unrechtmässigen Bereicherung oder innerhalb einer kriminellen Organisation gegen das Gesetz verstossen, eine schwere Strafe von bis zu fünf Jahren Gefängnis. Jedes Jahr werden etwa 800 Personen auf Grundlage dieses Artikels verurteilt, ohne dass bekannt ist, ob sie aus humanitären Gründen gehandelt oder als Menschenhändler einen finanziellen Vorteil angestrebt haben.

Bis 2008 schützte eine Gesetzesbestimmung Personen vor Strafe, die aus ehrenhaften Motiven einem anderen Menschen halfen. Seit der Verschärfung von 2008 gehört die Schweizer Gesetzgebung zu einer der strengsten in Europa, die nicht mehr nur Menschenhändler verurteilt, sondern auch die «guten Samariter», die ihrem Nächsten in Not helfen wollen.

«Damit verfehlt dieses Gesetz sein prioritäres Ziel, den Menschenschmuggel zu bekämpfen», schreiben die Schweizerische Evangelische Allianz SEA-RES, die Heilsarmee und der Verband Freikirchen Schweiz VFG in einer gemeinsamen Medienmitteilung.

Zwei sinnbildliche Beispiele

Die drei christlichen Verbände weisen auf zwei Beispiele hin, in denen das verschärfte Gesetz bereits zum Tragen kam:

Norbert Valley, Pastor einer evangelischen Freikirche in Le Locle und früherer Präsident des Réseau évangélique suisse, wurde von der Staatsanwaltschaft des Kantons Neuenburg zu einer Geldstrafe von 1'000 Franken zuzüglich 250 Franken Verfahrenskosten verurteilt. Er hatte einem befreundeten Mann aus Togo, den er begleitete, den «unrechtmässigen Aufenthalt erleichtert», da sich dieser in einer schweren Notlage befand und Suizidgedanken hatte. Der Pfarrer gab ihm die Schlüssel zu einer leerstehenden Wohnung der Kirche und ausserdem etwas Geld zur Unterstützung. Sein Rekurs vor Gericht läuft noch.

Christian Zwicky, ebenfalls Pastor einer evangelischen Freikirche, hatte abgewiesenen Asylbewerbern aus humanitären Gründen Kirchenasyl gewährt. Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen stellte zwar das Verfahren wegen Geringfügigkeit ein, bürdete dem Pastor aber die Verfahrenskosten von 350 Franken auf. Darüber hinaus sind weitere Fälle bekannt; diese Beispiele sind wohl nur die Spitze des Eisbergs.

Gegen die humanitäre Tradition und Werte der Schweiz

Die Schweizerische Evangelische Allianz, die Heilsarmee und der Verband Freikirchen Schweiz fordern gemeinsam eine Revision des Artikels 116 AIG. Die uneigennützige Hilfe für Menschen, die auf Schweizer Boden in Not sind, darf nicht bestraft werden – und zwar unabhängig ihres Aufenthaltsstatus. Das aktuelle Gesetz führt zu ungerechten Strafen, die der humanitären Tradition der Schweiz und Werten wie Solidarität und Nächstenliebe widersprechen. Deshalb fordern die drei Organisationen die Mitglieder der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats auf, die von Nationalrätin Lisa Mazzone eingereichte parlamentarische Initiative zur Änderung des Ausländergesetzes weiterzuverfolgen.

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Datum: 03.11.2019
Autor: Florian Wüthrich / Daniela Baumann
Quelle: Livenet / Schweizerische Evangelische Allianz

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