Spendendynamik

Unser Nächster oder Notre Dame?

Die Brandkatastrophe der Pariser Kathedrale war in aller Munde und auf allen Monitoren. Innert kürzester Zeit kamen Rekordmengen an Geldern zusammen. Zur Freude, wie schnell diese Rettung nahen konnte, mischte sich bald ein zwiespältiges Gefühl. Weshalb eigentlich war ein Gebäude, Stein und Stahl so wichtig, im Gegensatz zu all den Menschen, die Hilfe nötig haben?
Obdachloser in Frankreich
Notre Dame am 15. April in Flammen
Vom Überfluss abgeben: Foodsave-Bankett

Armut ist in Frankreich kein Detail am Rande, sondern betrifft bereits 14 Prozent der Bevölkerung. So gilt jede dritte Familie mit nur einem Elternteil als arm und gemäss Statistik jeder fünfte Bewohner Frankreichs unter 20 Jahren. Auch hat jeder Fünfte laut einer aktuellen Studie zu wenig Geld für Lebensmittel. Mit 27 Prozent beklagte sogar mehr als jeder Vierte, er habe nicht genug Geld, um täglich Obst und Gemüse zu essen.

Spendenfluss: Rasant und riesig

So befremdet es angesichts dieser Tatsachen, wenn plötzlich Riesensummen an französischen Euros in ein Gebäude fliessen. Es wurde tatsächlich eine Milliarde Euro in zwei Tagen mobilisiert.

Nach anfänglicher Euphorie wurden dann diverse kritische Stimmen laut, und in sozialen Netzwerken machten verschiedene Vergleiche die Runde. Mal wurde die Spendensumme mit den Kosten für die Rettung des Great Barrier Reefs verglichen, mal mit dem Aufwand, der nötig wäre, um den Pazifik von grösseren Plastikansammlungen zu befreien.

Doch wie konnte dieser Spendenhype entstehen? Das Ergebnis könnte durchaus auch für andere spendenbasierte Organisationen interessant sein. Ein wesentlicher Faktor ist ganz einfach, dass die Hälfte der Eingänge von nur drei Personen getätigt, wurde. Das machte eine grosse Menge, jedoch auch die Geschwindigkeit vom Eintreffen der Summe aus.

Man kann also beispielsweise vergleichen, wie viele Tage es 2004 dauerte, um den gleichen Betrag für die Opfer des Erdbebens im Indischen Ozean zu sammeln. Dabei werden die Dimensionen deutlich. Die Dauer, bis eine Milliarde Euro gespendet war, betrug damals dreimal solange.

Auch der Menge-Vergleich besticht: Das Spenden-Volumen für «Notre Dame» betrug schlussendlich mehr als für die fünf grössten Projekte des Roten Kreuzes (Budget 2019) für Syrien, Südsudan, Irak, Nigeria und Jemen zusammen.

Nah und machbar

Die vier Hauptgründe dieser Spenden-Dynamik sind: 1) Es geht um Kultur, 2) nationale Identität, 3) es gab den CNN-Effekt, und es ist 4) ein machbares Projekt – übersichtlich und realistisch.

Hinzu kommen die dramatischen Bilder vom Brand, die wohl eine praktische Auswirkung auf die Spendenbereitschaft hatten. Das Phänomen beschreiben Forscher als sogenannten CNN-Effekt. Und auch Christoph Hanger, Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), erzählte von diesem Medien-Momentum. Und gleichzeitig relativierte er die Sorge um das Fehlen von Geld an anderer Stelle: «Wir sind nicht nur von kurzfristigen Spendenschüben abhängig. Unsere zehn grössten Operationen befinden sich beispielsweise in Ländern, in denen wir seit mehr als dreissig Jahren tätig sind.»

Umverteilen, Armut heilen

Klar ersichtlich wird: Mittel sind vorhanden. Bei allen Sparzwängen, Lohnkürzungen und Druck an allen Fronten geht oft vergessen, dass im Gesamten genug Finanzen vorhanden wären. Jedoch ist die Verteilung extrem unterschiedlich, und die sogenannte Arm-Reich-Schere öffnet sich weiterhin.

Die postmodernen Finanz-Auswüchse sind enorm: Löhne in den Chef-Etagen haben ein X-Faches vom Lohn des normalen «Büezers». Oder Spielgewinne befinden sich in derart astronomischer Höhe von beispielsweise 184 Millionen Lotto-Franken letzten Oktober, sodass ein Normalsterblicher total überfordert ist, was er mit all den Moneten anstellen soll – wenn er nicht sogar einen Herzinfarkt erleidet.

Jüngstes lohnmässiges Beispiel ist die Zulage von läppischen 1,45 Franken pro Stunde für das Reinigungspersonal der SBB bei stark verschmutzten Zug-Toiletten oder Sprayereien. Sie hätten eingespart werden sollen, doch nach vielseitigen Protesten wird dies nun überarbeitet. Wobei man den Lohn eines SBB-CEOs im Vergleich am liebsten gar nicht wissen möchte. Dass die Bürger also immer öfter auf der Strasse demonstrieren, erstaunt deshalb keineswegs.

Gelbe Westen und rote Köpfe

Die französische Gelbwesten-Bewegung, die landesweit teilweise 80'000 Demonstranten mobilisierte, hat an der Spitze Ingrid Levavasseur, eine 31-jährige Pflegerin und Mutter zweier Kinder. Sie sagte in Sachen Armut: «Die Menschen um mich herum leiden. Sie können ihren Kindern keine neue Kleidung kaufen. Sie essen oft nur eine richtige Mahlzeit pro Tag. Sie schalten auch im Winter selten die Heizung an.» Sie weiss das alles aus eigener Erfahrung als Krankenpflegerin, die Leute erzählen ihr bei Hausbesuchen ihre Geschichten.

In der Umfrage des Instituts Ipsos gaben 39 Prozent in Frankreich an, sie hätten persönlich schon einmal Erfahrungen mit Armut gemacht. Fast jeder dritte Franzose betonte, für ihn seien viele Arztrechnungen zu hoch. Staatsoberhaupt Emanuel Macron macht beispielsweise acht Milliarden Euro für Arme locker und will mit dem «Plan Pauvreté» beweisen, dass er nicht nur für die Reichen da ist. Diese rund acht Milliarden Euro will die Regierung Macron in den kommenden vier Jahren für ihre Strategie gegen die Armut investieren. Endlich soll es Frühstück für Hunderttausende Schulkinder geben, die sonst hungrig in den Unterricht gehen würden; teilweise, weil die Mütter schon früh aus dem Haus gehen. Andererseits sieht Macron Arbeit und Beschäftigung als Topmittel im Kampf gegen Armut.

Schweiz hat schon alles aufgebraucht

Beim Aufsetzen dieses Artikels am 7. Mai 2019 hört man vom «Swiss Overshoot Day». Das heisst, alle Ressourcen fürs Jahr 2019 in der Schweiz sind theoretisch aufgebraucht – ab 8. Mai leben wir Schweizer auf Kosten der kommenden Generationen. Und der WWF ruft auf, den eigenen ökologischen Fussabdruck zu berechnen und zu sehen, wie man ressourcenschonender leben kann. Auch hier ist der Verbrauch der Reichen zu hoch, auf Kosten ärmerer Länder.

Tipps, um dem entgegenzuwirken

Was können wir selber machen, wie entgegenwirken? Tipps von «Stop Armut»:

  • Durch Abstimmen und Wählen auf mehr soziale und globale Gerechtigkeit hinwirken
  • In der Kirchenagenda Programmpunkte zu Gerechtigkeit und Armut vorschlagen
  • Für mehr globale Gerechtigkeit in Wirtschaft und Politik und für Menschen in Armut beten
  • Ein offenes Ohr und eine offene Tür bieten für Menschen, die Hilfe brauchen
  • Sich über Entwicklungs- und Nothilfeprojekte informieren und Ausgewählte unterstützen
  • Und ganz praktisch teilen: von Bohrmaschine über Auto bis zum Rasenmäher...

Erschaffen von Gerechtigkeit – ER schafft Gerechtigkeit

Solange die Ungerechtigkeit derart gross ist, werden Proteste nicht ab-, sondern zunehmen, das Volk geht auf die Strasse. Mehr ausgleichende Gerechtigkeit tut Not. Und wenn die Lage ähnlich bleibt, ist die Menschheit auf die Grosszügigkeit der Reichen angewiesen, damit dadurch ein Stück Linderung und Ausgleich geschieht.

Und wir brauchen die Hilfe Gottes und seine Ratschläge:

5. Mose, Kapitel 15, Vers 11: «Es wird immer Arme und Bedürftige in eurem Land geben. Deshalb befehle ich euch: Helft den Menschen grosszügig, die in Not geraten sind!»

2. Mose, Kapitel 22, Vers 24 «Wenn ihr einem Armen aus meinem Volk Geld leiht, sollt ihr euch nicht daran bereichern. Verlangt keine Zinsen von ihm!»

1. Samuel, Kapitel 2, Vers 8 «Dem Verachteten hilft er aus seiner Not. Er zieht den Armen aus dem Schmutz und stellt ihn dem Fürsten gleich, ja, er gibt ihm einen Ehrenplatz. Dem Herrn gehört die ganze Welt, auf ein festes Fundament hat er sie gegründet.»

Mehr Hinweise unter:
Stop Armut

Zum Thema:
«Massnahmen sind notwendig!»: Was tun gegen Foodwaste in der Schweiz?
Gentechnik 2019: Der Wert von Mensch und Mammut
Nach Jahrhundert-Trockenheit: Klimagerechtigkeit im Fokus der StopArmut-Konferenz 2018

Datum: 09.05.2019
Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet

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