«Skandal im Sperrbezirk»

Josephine Butler, die Schutzpatronin der Prostituierten

Es muss ein seltsamer Anblick gewesen sein, als Josephine Butler das erste Mal vor einem Bordell stand. Die gutbürgerliche Frau passte hier offensichtlich nicht hin. Aber
Zu einer Zeit, wo Sexualität und Prostitution in der Öffentlichkeit kein Thema waren, machte Josephine Butler eines daraus.
Josephine Butler

zu einer Zeit, wo Sexualität und Prostitution in der Öffentlichkeit kein Thema waren, machte sie eines daraus, und engagierte sich vehement für die Frauen, die dort arbeiteten. Im viktorianischen England wurde sie so zur «Schutzpatronin der Prostituierten».Josephine Butler (1828-1906) war Hausfrau und Mutter. Darüber hinaus engagierte sich die Christin für die Abschaffung der Sklaverei und schliesslich gegen die unmenschliche Situation der Prostituierten im viktorianischen England. Ihre Zeitgenossin Florence Nightingale, die die moderne Krankenpflege begründete, ist bis heute bekannt. Josephine Butler kennt fast niemand mehr – ein Umstand, den Kimi Harris von Christianity Today mit einem Bericht über die spannende Frau ändern wollte. Dieser Artikel fusst unter anderem auf ihren Informationen.

Eine Stimme für die Sprachlosen

Rotlichtviertel und Bordelle sind bis heute keine Vorzeigegegenden. Sie leben vom Schweigen, von verschlossenen Türen – und natürlich von zahllosen Frauen, die dort «anschaffen». Zur Zeit Josephine Butlers war die Lage noch prekärer als heute: Prostituierte wurden wie Gegenstände benutzt, aber gleichzeitig kriminalisiert. Minderjährige mussten sich bereits verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Josephine setzte sich über viele Widerstände und gesellschaftliche Konventionen hinweg, um überhaupt einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Es hiess: «Da geht man nicht hin», aber sie ging nicht nur zu den Bordellen, sondern auch hinein. Man sagte: «Mit denen redet man nicht», aber sie suchte den Kontakt, lernte viele Frauen und ihre Schicksale persönlich kennen. Und sie lud sie zu einem Leben mit Gott ein. Es hiess: «Den Mädchen hier drinnen geht es gut, so sind sie wenigstens weg von der Strasse», aber sie sah die vielen Minderjährigen, die hier weggesperrt wurden. Sie erhob ihre Stimme für die, die selbst sprachlos waren und klagte an: «Die Hölle hat ihren Rachen aufgerissen», schrieb sie. «Ich stehe genau in der Gegenwart der Kräfte des Bösen. Und ich sehe und höre die Schwaden des Abgrunds.»

Wie kam diese gebildete und kultivierte Frau, die mit einem anglikanischen Priester verheiratet war, in Bordelle? Warum trat sie gegen alle Konventionen für die Frauen dort ein mit dem, was sie selbst als «heilige Rebellion» bezeichnete?

Zweimal persönlich betroffen

Josephine war definitiv keine typisch viktorianische Frau. Schon für ihren Vater war sie immer ein gleichwertiges Gegenüber. Der Anwalt nahm sie mit hinein in seinen Kampf gegen Sklaverei. Als sie den Geistlichen und Gelehrten George Butler heiratete, behandelte er sie genauso und unterstützte ihr Engagement mit aller Kraft. Noch wichtiger war ihr allerdings die Haltung von Jesus gegenüber Frauen – seine Einfühlsamkeit und sein Respekt, den er selbst solchen mit zweifelhaftem Lebenswandel entgegenbrachte, prägten die junge Frau stark.

Josephine litt unter der gesellschaftlichen Doppelmoral. In ihrer Nachbarschaft hatte ein angesehener Mann «ein sehr junges Mädchen» geschwängert. Mittellos und alleingelassen sah dieses keinen anderen Ausweg und brachte in seiner Verzweiflung ihr Kind um. Das Mädchen kam ins Gefängnis, dem einflussreichen Vater geschah gar nichts. Josephine raste vor Wut. Sie sah die Schuld des Mädchens, aber sie sah auch die Gründe dafür. Nachdem das Mädchen seine Strafe verbüsst hatte, stellten Josephine und ihr Mann es als Hausmädchen an.

Ein zweiter Grund für ihr Engagement war das eigene Leid: Ihre Tochter stürzte beim Spielen von einer Treppe und kam dabei ums Leben. Josephine litt sehr darunter und wollte unbedingt etwas Sinnvolles tun, um ihren Schmerz zu bekämpfen. Schnell fand sie zu den Prostituierten, die als Abschaum der Gesellschaft galten. Sie sah ihre Not und begegnete ihnen mit Mitgefühl und Respekt. Josephine half ihnen bei alltäglichen Problemen, sie initiierte Krankenhäuser, wo sie behandelt werden konnten, Wohnheime, in denen sie eine Berufsausbildung machen konnten, und sie nahm sogar einige bei sich zu Hause auf – in ein normales Bürgerhaus mit Söhnen im Teenageralter.

Gegen Doppelmoral

Schnell wurde Josephine auch mit der rechtlichen Situation konfrontiert. Damals galten die «Contagious Diseases Acts» (Gesetze über ansteckende Krankheiten). Weil Geschlechtskrankheiten, besonders im Militär, weit verbreitet waren, wollte der Staat handeln. Als alleinige Schuldige galten Frauen und besonders Prostituierte. Das Gesetz ermöglichte nun, dass jede verdächtige Frau jederzeit von der Polizei aufgegriffen und mehrere Tage lang interniert werden konnte. Bei einer zwangsweisen gynäkologischen Untersuchung sollte deutlich werden, ob sie erkrankt war oder nicht. Auch Nicht-Prostituierte litten unter der behördlichen Willkür – oft mit dramatischen Folgen: Mindestens eine Frau nahm sich das Leben. Sie hatte ihre Arbeit verloren, nachdem sie fünf Tage unschuldig im Gefängnis gesessen hatte, bevor man sie wieder freiliess. Dies erzeugte ersten gesellschaftlichen Widerstand, doch für die Prostituierten ergriff zunächst niemand Partei. Ihre «Unanständigkeit» machte sie zu allein Schuldigen, während ihre Freier ja nur taten, was scheinbar in der Natur des Mannes lag…

Als sich einige Frauen trafen, um gegen diese Doppelmoral zu protestieren, suchten sie eine Frontfrau, eine Rednerin. Sie fanden Josephine Butler. Die mutige und willensstarke Frau hatte eine starke Ausstrahlung. Ihr fehlte Erfahrung, doch das machte sie mit ihrem Feuer wett. Ihr Mann und sie wussten, dass sich das Engagement für Prostituierte negativ auf ihren Ruf und seine Karriere auswirken würde, doch das hinderte sie nicht. 16 Jahre lang kämpfte, reiste und redete Josephine, und schliesslich wurden die «Contagious Diseases Acts» aufgehoben.

Und Josephine ging noch weiter: Sie verlangte, dass das gesetzliche Mindestalter für Prostituierte angehoben würde – von 13 (!) auf 16 Jahre. Sie arbeitete politisch gegen das, was sie als «weisse Sklaverei» bezeichnete. Sie forderte Abgeordnete, die ihre Arbeit kritisierten, auf, doch einfach «eine eigene Tochter zur Verfügung zu stellen», wenn «Prostitution eine echte Notwendigkeit» wäre. Und sie nahm die Frauen immer wieder mit den Zusagen von Jesus gegen die Gesellschaft in Schutz: «Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und die Huren kommen eher in das Reich Gottes als ihr!» (Matthäus, Kapitel 21, Vers 31).

Eine notwendige Arbeit – bis heute

Einer der Leitsätze von Josephine Butler gegen ihre übermächtigen Gegner war: «Gott und eine Frau – das ist die Mehrheit!» Zu Lebzeiten galt sie als «die angesehenste Engländerin des 19. Jahrhunderts», doch trotz all ihrer Erfolge rächte sich ihr «ungehöriger» Einsatz: Sie wurde vergessen. Die Historikerin Elizabeth Longford meint: «Sie setzte sich nicht für die richtigen Frauen ein.» Aber ihr Freund James Stuart ergänzt: «Die Welt ist insgesamt besser, weil sie gelebt hat. Und die Saat, die sie ausgestreut hat, kann niemals vergehen.»

Doch das bedeutet nicht, dass Josephines Aufgabe vollendet wäre: Immer noch werden Frauen und Mädchen verkauft und missbraucht, leben in Abhängigkeit bis hin zu sexueller Sklaverei. Immer noch werden Frauen und Mädchen als Ware behandelt und schwer traumatisiert durch meistens Männer, die meinen: «Das war schon immer so. Und wenn ich es nicht täte, dann tut es ein anderer…»

Gut, dass es auch heute Menschen wie Josephine gibt, die lieber ihren eigenen Ruf ruinieren, als zuzulassen, dass Frauen noch länger missbraucht werden. Diese «Anwälte» brauchen einen langen Atem, sie brauchen die Liebe Gottes. Und sie brauchen die Überzeugung von Josephine Butler: «Ich werde so hart wie die Wahrheit und so kompromisslos wie die Gerechtigkeit sein. Es ist mir ernst… und man wird mich hören!»

Unter diesen Adressen finden Sie weitere Infos zum Thema, lernen Sie Präventionsmassnahmen kennen und erhalten Hilfe, wenn Sie oder Menschen aus Ihrer Umgebung konkret betroffen sind:
Love Is More
Netzwerk gegen Menschenhandel
Act212

Zum Thema:
Gefangen im Rotlichtmilieu: Die Gesichter hinter der Prostitution
Darlene Pawlik: «Ich war eine Zwangsprostituierte»
Shannon von Scheele: «Warum ich mich gegen Menschenhandel engagiere»

Datum: 12.11.2018
Autor: Hauke Burgarth / Kimi Harris
Quelle: Livenet / Christianity Today

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