Martin Schär, Männerforum

Männerstimme zu «me too»

Wenn Belästigungs-Fälle bekannt werden, zeigt der Mahnfinger jeweils auf die betroffenen Personen oder Organisation. Mit den Hollywood-Anklagen kam eine kräftige und wichtige Welle in Bewegung, welche das gesamte Ausmass nur erahnen lässt. Was sagt der Präsident des Männerforums zu «me too»?
#metoo (Symbolbild)
Martin Schär ist der neue Präsident des «Männerforums».

Es ist ein unsägliches Leid, das hinter all den gemeldeten Fällen steht und gibt nur eine grobe Idee, wie hoch die Dunkelziffer dahinter sein könnte. Dem stummen Leiden wurde mit «me too» eine wichtige Stimme verliehen.

Nach Hollywood zogen die Enthüllungen grosse Kreise in Politik, Sportorganisationen und anderen. Während viele das jeweilige Umfeld anprangern, sehen andere die ganze Männerwelt als sexuelle Missetäter.

Im nahen Umfeld

Dabei sollte man sich bewusst sein, dass allgemein mehr als die Hälfte der gemeldeten sexuellen Übergriffe in der Schweiz innerhalb der eigenen Familie geschehen – leider!

Dazu ein paar Zahlen: Im Jahr 2016 kam es zu 17'685 Straftaten, die dem Bereich der häuslichen Gewalt zugerechnet wurden. In 48,8% der Fälle häuslicher Gewalt bestand zwischen geschädigter und beschuldigter Person eine Paarbeziehung; in 25,8% der Fälle handelte es sich um eine ehemalige Partnerschaft. Der Anteil angezeigter häuslicher Gewalt von Eltern gegen Kinder oder von Kindern gegen die eigenen Eltern beträgt 15,4%. Im Bereich der Sexualdelikte im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt wurden 359 sexuelle Handlungen mit Kindern, 210 Vergewaltigungen und 214 sexuelle Nötigungen verzeichnet (Quelle: Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann / EBG).

Nun fangen Frauen an zu sprechen und die Männer sind verunsichert. Wie soll sich das Umfeld verhalten, das verdächtige Zeichen beobachtet? «Mann» fragt sich, darf er noch Komplimente zu Kleidern und zum Aussehen machen? Wie sollen Männer damit umgehen? Wir haben bei Martin Schär, dem neuen «Männerforum»-Präsidenten nachgefragt.

Livenet: Martin Schär, wie erleben Sie als Mann die «me too»-Bewegung und ihre Dynamik?
Martin Schär: Vermutlich braucht es in unserer Informationsflut solche «Aufschreie» oder «Weckrufe», dass sie überhaupt gehört werden. Ich finde es gut, wenn solche Missstände ans Licht kommen und enttabuisiert werden. Von der Dynamik hat es schon viel verloren. Was in den Medien nicht mehr so präsent ist, verliert an Schwung.

Die Spannung steigt, weil einerseits freie Sexualität, Ausleben von Fantasien etc. propagiert wird und andererseits mehr Regeln gefordert werden. Wie sehen Sie das?
Wo Menschen zusammenleben, braucht es Regeln. An und für sich muss man nicht weit suchen. In der Bibel gibt es genügend Anweisungen, wie man sich verhalten soll. Diese sind aktueller denn je. Wichtig finde ich, dass ich mich als Mann von gewissen Tendenzen in Sachen Sexualität klar distanziere und abgrenze.

Die Männerwelt ist schon seit längerem verunsichert; wie soll sich der postmoderne Mann in den gesellschaftlichen Rollen und Ansprüchen bewegen?
Mir kommt immer wieder die Szene von Adam in den Sinn. Als Adam von den verbotenen Früchten gegessen hatte, versteckte er sich hinter den Bäumen im Garten. Als Gott ihn gefunden hatte, fragte er ihn, ob er Früchte von dem verbotenen Baum gegessen habe. Die Antwort von Adam: «Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum und ich ass».

Zwei Sachen: erstens versteckte sich Adam im Garten. Er steht nicht dazu, dass er einen Fehler gemacht hast. Zweitens schiebt er dann die Schuld auch noch Eva zu. Ein absolutes «No Go». Was heisst das nun für mich heute? Ich übernehme Verantwortung. Ich bringe mich ein in die Gesellschaft, in die Kirche. Und ich versuche, mich tagtäglich am Wort Gottes zu orientieren. Ich lasse mich von meiner Frau oder meinen Freunden korrigieren, wo dies notwendig ist. Die Verunsicherung bei den Männern verstehe ich. Aber gerade in verbindlichen Männerfreundschaften kann einiges gerade gerückt und korrigiert werden. Dazu gehört, sich gegenseitig Rechenschaft abzulegen, zu ermahnen, einander zu ermutigen – ein Austausch von Mann zu Mann eben.

Es geht ja um Grenz-Überschreitungen, also nicht, dass sich der Mann völlig verändern muss. Wie soll sich der postmoderne Mann gegenüber Frauen verhalten? Frauen boxen und Männer umarmen Bäume, ist das die Lösung?
Wertschätzung und Respekt vom Mann gegenüber der Frau finde ich das Wichtigste. Der Mann soll sich gegenüber der Frau so verhalten, wie auch er gerne behandelt werden möchte. Wie abgedroschen es auch klingen mag. Aber die Bibelstelle aus Markus, Kapitel 12, Vers 31: «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist wichtiger als diese beiden.» gilt immer noch. Ich will, dass meine Grenzen respektiert werden und mein Vertrauen nicht missbraucht wird. Wenn ich das will, dann will dies auch mein Gegenüber.

Früherkennung und Sensibilisierung sind jeweils wichtig. Wie kann man den Anfängen wehren, wo sexuelle Übergriffe beginnen, auch gerade in der Familie und im Alltag?
Auf keinen Fall verschweigen. In einem Gespräch wäre es allenfalls sinnvoll, eine Person direkt anzusprechen. Im Büroalltag kann ich einen Arbeitskollegen auf sein Verhalten aufmerksam machen und damit versuchen, korrigierend einzugreifen. Eine Möglichkeit ist, sich an eine Vertrauensperson zu wenden. Sicher ist situativ zu beurteilen, was die beste Reaktion ist. Totschweigen wäre aber sicher der falsche Weg. Es muss möglich sein, auf Missstände hinzuweisen, ohne dass Repressalien befürchtet werden müssen.

Die enorme Polarisierung und Verallgemeinerung ist wenig hilfreich; auch zum Beispiel der Titel der Kulturplatzsendung von SRF: «Was ist mit den Männern los?» Wie könnte ein gesundes, wertschätzendes Miteinander aussehen?
Indem man sich gegenseitig den nötigen Respekt und die Wertschätzung gibt oder indem man darüber spricht, was Sexismus überhaupt ist und nicht nur pauschalisiert. Indem der Mann seine Identität in Jesus Christus hat und nicht seine Männlichkeit an einem falschen Ort oder durch ein falsches Machtgehabe zu befriedigen sucht. So oft erlebe ich das Miteinander von Mann und Frau als gute gegenseitige Ergänzung. Und nochmals: «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!»

Zur Person:

Alter: 44
Zivilstand: verheiratet und vier Jungs
Wohnort: Büren zum Hof
Beruf: Prozessmanager Finanzen bei der SBB
Hobbys: Bücher lesen (insbesondere Biografien), Musik hören und machen, Familie, Männerarbeit

Zum Thema:
#MeToo: Sexuelle Belästigung im Fokus der Öffentlichkeit
20. Männertag in Aarau: Es braucht mehr geistliche Väter!
Tearfund-Umfrage: Glaube schützt Frauen vor häuslicher Gewalt

Datum: 04.01.2018
Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet

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