Christen im Fussballfieber

Christen im Fussballfieber

Jubelschreie dringen in der Mittagszeit aus Kirchen und Gemeindehäusern. Wurde hier laut und enthusiastisch gebetet? Nein: ein Tor für Deutschland bei der Fussball-WM in Japan und Südkorea. Szenen, die sich tatsächlich abspielen, ist die Fussball-Begeisterung bei vielen Christen doch enorm. Bei den meisten kirchlichen Einrichtungen ist es allerdings nicht so dramatisch. Im Kirchenamt der EKD in Hannover etwa steht ein Übertragungsraum zur Verfügung, wo die Fussballfans unter den rund 200 Mitarbeitern gemeinsam mitfiebern können. Die Zeit muss natürlich nachgearbeitet werden, wie EKD-Sprecher Hannes Schoeb anfügt.

Zurückhaltender ist man im Rheinischen Landeskirchenamt in Düsseldorf. Dort gibt es keine gemeinsame Übertragung: “Ich gehe davon aus, dass jeder Fussballfan im Kirchenamt das tut, was er tun muss”, sagt Sprecher Jens-Peter Iven. Die Kirchenleitung selbst lässt sich durch die Fussball-WM nicht aus dem Konzept bringen. Präses Manfred Kock leitete während des Spiels Deutschland gegen Kamerun eine Sitzung und sogar am Samstagmorgen beim Spiel gegen Paraguay ist die Kirchenleitung komplett auf Visite im Kirchenkreis Wuppertal-Elberfeld. Hier ist man offenbar ebenso pflichtbewusst wie der Geschäftsführende Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz, der während des Spiels gegen Kamerun auch unbeirrt tagte.

Gesprächsthema Nummer Eins

Bei der Akademie für Weltmission in Korntal haben die 50 Studenten den Unterricht nach hinten verschoben und beim Evangeliums-Rundfunk in Wetzlar kann man jedes deutsche Tor im Haus anhand der Geräuschkulisse verfolgen, so der fussballbegeisterte Öffentlichkeitsreferent Michael von Ende. Der ERF hat einen “Fussball-Raum” fürs gemeinsames Zuschauen eingerichtet. Doch auch hier muss nachgearbeitet werden.

Besondere evangelistische “Fussball-Partys” wie bei der WM 1998 führt der ERF diesmal nicht durch. Bei den Schweizer Christen hält sich die WM-Begeisterung in Grenzen, denn wenn die eigene Mannschaft nicht dabei ist, macht es eben nur halb so viel Freude.

Beim grössten pietistischen Schweizer Werk, der Pilgermission St. Chrischona mit Sitz in Bettingen bei Basel gibt es darum keine WM-Übertragung für alle gemeinsam. Gleichwohl die WM Gesprächsthema Nummer Eins. “Man neckt die deutschen Studenten beim Mittagessen, weil die selbst nicht von der Stärke ihrer Mannschaft überzeugt sind”, so Chrischona-Sprecher Andrea Vonlanthen, “doch die nehmen es gelassen hin.” Das Ausscheiden des Nachbarlandes Frankreichs, wo man die Schweizer Sympathien vermuten würde, hat hier keine grossen Klagen hervorgerufen.

Fussball-Männerfrühstück

Gab es bei der Fussball-WM 1998 viele Kirchengemeinden, die mit Live-Übertragungen auf Grossbildleinwänden die Fussball-Fans in die Gemeindehäuser locken wollten und mit einem Rahmenprogramm auch noch etwas vom christlichen Glauben vermitteln wollten, so ist dies wegen der ungünstigen Spielzeiten morgens und mittags in Korea und Japan kaum möglich. Immerhin, manche christliche Männer nutzen die Gunst der Stunde, um endlich ein Gegenstück zu den beliebten Frauenfrühstückstreffen aufzubauen: das “Fussball-Männerfrühstück” so beispielsweise in der Landeskirchlichen Gemeinschaft Marburg-Süd. Dort kommen die Männer am Samstag um Punkt halb neun zusammen, um das Achtelfinal-Spiel Deutschland gegen Paraguay zu sehen.

300000 Fussball-Traktate

Mit “König Fussball” über den Glauben ins Gespräch kommen. Das ist auch das Anliegen missionarischer Initiativen zur WM. Die Marburger Blätter-Mission hatte eigens einen evangelistischen Farbprospekt “Fussball – mehr als ein Spiel” aufgelegt, der reissenden Absatz gefunden hat. “Selten ist etwas so gut gelaufen”, berichtet der Leiter des evangelikalen Medien-Werkes, Jürgen Mette: “Wir mussten bereits dreimal nachdrucken.” Insgesamt wurden 300.000 Exemplare an Gemeinden, Werke und Einzelpersonen verteilt. Wenn Deutschland spielt, sitzt die Mannschaft in den Büros des Marburger Medienhauses komplett vor dem Fernseher.

Das Buch zur WM

So wie die Blättermission bemühen sich auch andere, die WM evangelistisch zu nutzen. Ins Zeug gelegt hat sich der Journalist David Kadel, der zur WM das Buch “Fussball Gott” herausgab, mit Geschichten und Zeugnissen vom prominenten Fussballern und Sportlern. Sein Buch rutschte im Mai gleich in die christliche Bestseller-Liste. Der Gerth-Verlag (Asslar) hat die erste Auflage von 10.000 Exemplaren fast verkauft, eine zweite Auflage soll in Kürze in Druck gehen.

Der 34jährige Kadel war schon immer fussballbegeistert. Als er 1991 Christ wurde, begann er als Journalist das Thema Fussball von einer ganz anderen Seite zu beleuchten. Vor acht Jahren drehte er einen Film über das Thema “Fussball und Glauben” mit Fussball-Profis wie Jorginho, Wynton Rufer und Heiko Herrlich.

Später folgte der zweite Streifen mit Kuffour, Sergio, Ratinho, Heinen und Bode. Kadel ist dankbar, dass es heute eine ganze Reihe von Fussball-Profis gibt, die ihre Fans damit überraschen, dass sie sich in erster Linie an Jesus Christus orientieren, anstatt ihr Leben nur auf Erfolgen und Konsum zu gründen.

In dem Buch erzählen auch Nationalstürmer Marco Bode und Gerald Asamoah, dass sie regelmässig in der Bibel lesen würden. Zusammen mit dem früheren Eintracht-Frankfurt-Spieler Dirk Heinen leitet Kadel einen Hauskreis, zu dem Spieler des Frankfurter Vereins kommen: von Amateuren bis zu Profis. Der Hauskreis findet abwechselnd bei Heinens oder Eintracht-Spieler Jens Rasiejewski zuhause statt – fetzige Musik inklusive, mit Heinen am Schlagzeug, Rasiejewski an der Gitarre und Kadel als Sänger.

Aus einem Projekt mit Autogrammkarten christlicher Spieler, die auch ein kurzes persönliches Wort über ihre Beziehung zu Gott enthielten, entstand schliesslich die Idee zu dem Fussball-Buch. Kadel, der in Wiesbaden einer amerikanischen Baptistengemeinde angehört, wollte die Lebensgeschichten der Spieler einmal in einer ausführlichen Form veröffentlichen. Der Titel “Fussball Gott” ist für Kadel eine Provokation und gleichzeitig eine Konzession an die Sprache der Fans, da nun einmal ständig von Spielern, Medien und Fans davon geredet werde. Kadel möchte schliesslich vor allem Menschen zum Lesen animieren, die “mit dem Glauben nichts am Hut haben”. “Natürlich gibt es keinen Fussball Gott”, so Kadel “es wäre dringend nötig, dass die Fussballer das einmal deutlich sagen, damit das Gerede davon aufhört.” Das hat bis jetzt nur einer getan: Nationaltorwart Oliver Kahn, der sagte, dass es nur einen Gott gebe, den Gott der Christen.

Ortswechsel: In Japan sind auch Christen aus Deutschland aktiv bei missionarischen Einsätzen. Für die Allianz-Mission des Bundes Freier evangelischer Gemeinden (Dietzhölztal/Mittelhessen) koordiniert das Missionarsehepaar Dorothea und Jörg Eymann einen WM-Einsatz in Nagoya in der Mitte Japans, zu dem 13 ehrenamtliche Mitarbeiter für drei Wochen aus Deutschland gekommen sind. Sie laden zu Live-Übertragungen der Spiele von Japan und Deutschland in ein Gemeindehaus ein. 80.000 Flugblätter haben sie drucken lassen, die die Helfer auf der Strasse und vor Schulen verteilt haben. Eine Beilage für die örtliche Zeitung wurde aus “fadenscheinigen” Gründen, wie sie sagen, abgelehnt.

Zu Beginn jeder Veranstaltung hält ein japanischer Pastor eine kurze Ansprache, später berichten Missionare aus Deutschland über ihren Glauben. Bei den japanischen Spielen kommen jeweils rund 80-90 Gäste, mehr als man erwartet hat, so Dorothea Eymann. Davon hätten etwa die Hälfte noch nie eine Kirche von innen gesehen. Manche hätten auch vorher angerufen und gefragt, ob man Christ sein müsse, um an den Veranstaltungen teilzunehmen. Ein erster Schritt zum Christentum sei getan. Die Deutschen bieten den Gästen ein abwechslungsreiches Programm: mal wird ein “Deutscher Abend” veranstaltet, mal gibt es Musik-Einlagen oder ein deftiges Abendessen.

Das andere WM-Land Südkorea ist auf Unterstützung durch ausländische Missionare nicht angewiesen. Die Christen des Landes haben es selbst in die Hand genommen, verteilen Schriften vor den Stadien. In vielen Kirchen werden die Spiele übertragen. Manche Christen sind allerdings auch enttäuscht von ihrer Fussballmannschaft, in der die Hälfte der Spieler Christen sind, so wie einer der Torschützen beim Spiel gegen Polen, Yoo Sang Chul. Nach seinem Tor kniete er nicht nieder, wie es die Christen erwartet hätten.

Die Bibelgesellschaften von Japan und Südkorea verteilen das Lukas-Evangelium in zehn Sprachen an Spieler, Fans und Betreuer. Auf das eigentliche WM-Gelände dürfen sie freilich eigentlich nicht, denn religiöse Werbung ist nach den Statuten der Fussballbundes bei der WM nicht erlaubt.

Sind eigentlich alle Christen fussballbegeistert? Nein, ein Teil einer Freikirche leistet tapfer Widerstand: Die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK) setzte dem ersten Spiel der deutschen Nationalmannschaft bewusst zeitgleich in Wiesbaden ein kirchenmusikalisches Projekt mit 80 Sängern entgegen, wie sie in einer Pressemitteilung bekanntgibt: Brahms gegen WM. Die SELK sah sich als Sieger: “Kirchenmusik behält gegenüber Fussball die Oberhand” titelte sie, denn es habe nur zwei Ausfälle von “absoluten Fussball-Fans” unter den Sängern gegeben.

Datum: 17.06.2002
Autor: Eckhard Nickig
Quelle: idea Deutschland

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