Ist Gott Brasilianer?

In fast jedem deutschen Stadion gibt es inzwischen einen Spieler, bei dessen Erscheinen die Fans seinen Namen mit dem Anhängsel „Fussballgott“ skandieren. Und immerhin, sogar das Plakat der derzeitigen EKD Werbekampagne „Sind Fussballer unsere wahren Götter?“ lässt sich vor diesem Hintergrund erklären. Denn die Abläufe in Fussballstadien sind längst als quasi liturgische Handlungen analysiert. Dazu bedauert man dann gern, dass Menschen die Defizite und Hoffnungen des eigenen Lebens auf ein Fussballspiel übertragen.

Schöner für die Kirchen wäre es natürlich, dies würde in Gottesdiensten passieren. Aber das Bedürfnis Emotionen und Gefühle auszuleben wird wohl nur selten mit dem christlichen Glauben in Zusammenhang gebracht. Gäbe es da nicht seit ein, zwei Jahren verstärkt den Auftritt zumeist südamerikanischer Fussballspieler für die das kein Problem zu sein scheint.

Auf ihren Unterhemden präsentieren sie Aufschriften wie „Jesus liebt dich“ oder „100% Jesus“, um nach einem Tor auf die Ursache ihres Erfolges hinzuweisen. Für aufgeklärte, deutsche Protestanten hat das natürlich zuerst etwas Folkloristisches. Und auch die theologische Auseinandersetzung damit geschieht zunächst kritisch, in dem Sinn, ob Gott denn hier nicht für bestimmte Ziele missbraucht wird, was ist mit den Gegnern, usw. Sicher haben diese Fragen ihre Berechtigung. Aber vielleicht hat der so oft beklagte Verlust der Sprachfähigkeit über den Glauben in unsren Breitengraden genau damit zu tun: Ohne einen fröhlichen, sicher manchmal einfachen und schlichten Glauben, der nicht alles vorher abwägt und beim problemorientierten Fragen stehen bleibt, werden wohl in Zukunft noch mehr Menschen in den Stadien oder vorm Fernseher denken, Gott sei Brasilianer. Spätestens nach der WM werden wir es genau wissen.

Datum: 14.06.2002
Autor: Torsten Amling

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