„Gewisse Dimensionen religiöser Erfahrung können im Fernsehen nicht wiedergegeben werden“

Erwin Koller
SF DRS1

Nach dreissigjähriger Tätigkeit beim Schweizer Fernsehen DRS zieht sich der Leiter der Redaktion Sternstunden, Erwin Koller, in den Ruhestand zurück. Fritz Imhof befragte ihn zu seiner Arbeit beim Schweizer Fernsehen DRS und zu seinem Verhältnis zu den evangelischen Medienleuten und ihrer Sendung "Fenster zum Sonntag".

Fritz Imhof: Sie haben sich während 30 Jahren mit institutionalisierter Religion in diesem Lande beschäftigt. Stellen Sie in diesem Bereich Veränderungen fest?
Erwin Koller: In den 70er- und 80er-Jahren hatten die Kirchen eine stärkere Position in der Gesellschaft. Heute werden Sie zwar noch wohlwollend wahrgenommen, ihr institutionelles Gewicht in der Gesamtgesellschaft ist aber schwächer geworden. Dazu gibt es jedoch eine gegenläufige Bewegung: eine nicht übersehbare Wiederkunft des Religiösen. Der 11. September 2001 oder der Streit um die 15. Kerze von Zug (für den Attentäter) haben deutlich gemacht, wie stark das Bedürfnis nach religiösen Riten ist und wie aussagekräftig religiöse Symbole sein können. Religion ist nicht aus der Gesellschaft verschwunden. Sie hat aber neue Formen angenommen.

Ihre Arbeit beim SF DRS hat sich auf die landeskirchliche Kultur konzentriert. Die Freikirchen fühlten sich manchmal vernachlässigt. Was stört sie an der freikirchlichen Kultur?
In den letzten Jahren haben die Weltreligionen in der Programmarbeit ein zunehmendes Gewicht bekommen, wir haben aber freikirchliche Gottesdienstübertragungen gemacht, wenn auch eher am Rande. Freikirchliche und andere religiöse Strömungen bereiteten mir dann Mühe, wenn ihre Exponenten die eigene Überzeugung als die einzige Richtige hinstellten. In einem Medium, das für die Gesamtgesellschaft arbeitet, kann man intolerante und fundamentalistische Positionen nicht akzeptieren.

War das ein Grund, dass Sie sich seinerzeit gegen die Konzessionserteilung an die Alphavision gewehrt haben? Das bisherige weltanschaulich-politische Werbeverbot sei mit der Konzession völlig eingebrochen, schrieben Sie nach der Konzessionserteilung.
Ich stehe nach wie vor dazu, dass man weltanschaulich-politische Werbung in einem Sender mit Service public-Auftrag nicht gestatten soll – was dem Buchstaben nach immer noch gilt. Das dient dem Religionsfrieden und der Kultur der öffentlichen Auseinandersetzung. Ich habe den Bundesrat damals nicht verstanden, dass er diesen Aspekt nicht stärker gewichtet hat.

Haben sich Ihre Befürchtungen beim "Fenster zum Sonntag" bestätigt?
Um dazu präzisere Aussagen zu machen, müsste ich mich eingehender mit den Sendungen befassen. Generell habe ich den Eindruck, dass sich das "Fenster zum Sonntag" eine gewisse Zurückhaltung auferlegt, wohl im Bewusstsein, dass dies in einer pluralistischen Gesellschaft und Medienlandschaft angemessen ist. Einen missionarischen Eifer, wie er von amerikanischen "Fernsehkirchen" betrieben wird, habe ich hier nicht wahrgenommen.

Ihre Sendungen werden in freikirchlichen Kreisen oft als etwas intellektualistisch und damit einseitig wahrgenommen. Haben Sie dafür Verständnis?
Durchaus, das hat auch seine Gründe. Etwa mit dem gleichen Budget, mit dem das "Fenster zum Sonntag" eine halbe Stunde produziert, musste ich drei Stunden Sendungen machen. Ausser Gottesdienstübertragungen hatte ich beispielsweise keine Reportagemöglichkeiten. Dokumentarfilme konnte ich lediglich – aus dem Ausland – einkaufen, aber nicht selbst produzieren. Ich war im Wesentlichen auf Studioproduktionen beschränkt und konnte so Gäste einladen, welche die nötige Gewandtheit haben, um während einer halben Stunde über religiöse Themen zu reden. Das führte zu einer gewissen Intellektualisierung des Programms und die alltäglich gelebte Religiosität kam gelegentlich zu kurz. Allerdings können gewisse Dimensionen religiöser Erfahrung im Fernsehen auch nicht wiedergegeben werden. Der religiöse Vollzug kann letztlich medial nicht vermittelt werden.

Können Sie trotzdem in der freikirchlichen Form der christlichen Kirche auch eine Bereicherung sehen?
Ich äussere mich nicht gerne über Dinge, die ich nicht von innen kenne. Grundsätzlich anerkenne ich, dass es den Freikirchen gelingt, Menschen anzusprechen, ihre religiösen Bedürfnisse zu artikulieren und ihnen eine Form zu geben, gerade im Hinblick auf die Wiederkunft des Religiösen, die ich erwähnt habe. Das gelingt den Landeskirchen offensichtlich schlechter, sie leiden stärker unter der Säkularisierung. Die Freikirchen pflegen Formen, die die Gläubigen persönlich einbeziehen. Inhaltlich habe ich Mühe, wenn dieser Einbezug keine Weite atmet. Aber es ist nicht meine Sache, diese zu beurteilen. Wichtig scheint mir, dass sich auch die Freikirchen intellektuell redlich mit dieser Gesellschaft auseinandersetzen. Ich weiss aber aus der Erfahrung meiner Kinder, dass in diesen Kreisen viel echtes Leben am Werk ist und dass nicht überall nur Enge herrscht.

In welchem kirchlichen Milieu fühlen Sie sich selbst am wohlsten? Was muss ein Gottesdienst unbedingt enthalten, damit Sie sich wohl fühlen?
Für mich hat Gottesdienst mit Gebet zu tun und mit der Erfahrung, dass Gott präsent ist und zwar ein Gott, über den niemand verfügt und der grösser ist als unsere Vorstellungen und Begriffe. Zu einem Gottesdienst gehören Lesungen und eine zeitgemässe Interpretation der Bibel. Dazu eine Liturgie mit Texten und Musik, die auf den jahrhundertealten Reichtum kirchlicher Ausdrucksformen zurückgreift. Und es braucht Menschen, die das überzeugend und mit der nötigen spirituellen Tiefe den Gottesdienstbesuchern zugänglich machen.

Datum: 10.04.2003
Autor: Fritz Imhof
Quelle: idea Schweiz

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