Allianz hat Zukunft

Die Christen sind zur Einheit aufgerufen

Thomas C. Oden

Auf die laufende Gebetswoche der Evangelischen Allianz folgt im Januar gleich die Gebetswoche für die Einheit der Christen. Beide Wochen führen Christen aus verschiedenen Kirchen zusammen. Das Nebeneinander gibt Anlass zur Frage, welchen Beitrag zum Miteinander der Christen die Genfer ökumenische Bewegung einerseits und die weltweite Evangelische Allianz anderseits insgesamt leisten.

Eine Voraussetzung für glaubwürdiges christliches Leben ist Einheit: Jesus diente den Menschen, indem er eins war mit dem Vater. Er rang am Ende seines Wirkens darum, dass die neuartige Gemeinschaft, die er unter seinen Freunden begründet hatte, erhalten bliebe. Er betete, dass ihre Einheit durch den Geist Gottes vertieft würde. Wenn sie Jesus wahrhaft nachfolgen, seinem Vorbild nachleben, haben Christen auch heute für diese Gemeinschaft der Gläubigen zu beten und daran zu arbeiten, sagt der bedeutende amerikanische Theologe Thomas C. Oden.

Globale Netzwerke

Was vor 2000 Jahren durch Jesus von Nazareth begann, mit zwölf Männern und wenigen Frauen, ist heute die grösste Religionsgemeinschaft der Welt. Aber: Die eine Gemeinschaft, die die Apostel als Zeugen der Auferstehung von Jesus begründeten, zerfiel nach wenigen Generationen in Teile. Die Kirchengeschichte hat eine fast unübersehbare Vielfalt von Gemeinschaften, von Kirchen entstehen lassen, unter anderem weil bestehende Kirchen sich erneuernden Impulsen regelmässig verschlossen. Sie grenzten Abweichler und Erneuerer aus, taten sie in den Bann, verbrannten sie und vernichteten ihre Schriften. Einige Kirchen nehmen sich selbst so wichtig, dass sie anderen das Kirche-Sein absprechen.

Dagegen haben vor allem evangelische Christen im 19. und 20. Jahrhundert den Auftrag von Jesus neu ernst genommen, an der Einheit der Christen zu arbeiten. Nach zwei Weltkriegen wollten diese Christen erst recht beitragen zum Brückenbau zwischen Völkern und Kulturen und das Evangelium global miteinander zur Geltung bringen. 1948 wurde der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) gegründet. Die römisch-katholische Kirche blieb ihm fern. Seit Jahren steckt der ÖRK mit Sitz in Genf tief in der Krise, nicht nur finanziell. Die orthodoxen Mitglied-Kirchen gehen zunehmend auf Distanz.

Welche Einheit für heute und morgen?

Dies bringt erneut die doppelte Frage aufs Tapet: Worin besteht die Einheit der Christen? Wie ist dafür zu arbeiten? Der US-Theologe Thomas C. Oden, Professor für Theologie und Ethik an der renommierten Drew-Universität, weist darauf hin, dass Christen unter Einheit ganz verschiedene Dinge verstehen. Und Oden findet, dass gewisse Bemühungen um Einheit dem ursprünglichen, in der Bibel dargelegten Verständnis von Einheit eher entsprechen als andere. (Der Aufsatz Odens findet sich in AIM, der Monatszeitschrift der Indischen Evangelischen Allianz vom November 2002.)

Der amerikanische Theologe kennt sowohl die Genfer Oekumene (er verfolgte schon die Vollversammlung in Evanston 1954) als auch das globale Netzwerk der Nicht-Katholiken, die Weltweite Evangelische Allianz WEA. Er hat die letzte Vollversammlung des ÖRK 1998 in Simbabwe wie auch die Generalversammlung der WEA in Malaysia 2001 erlebt. Indem er ÖRK und WEA voneinander abhebt, zeigt Oden auf, was dem Zusammenhalt, der Zusammenarbeit und der Einheit der Christen förderlich ist.

Organisationen verbinden - Christen miteinander aktivieren

Der ÖRK in Genf ist eine Organisation von traditionellen Kirchen, so genannten Denominationen, die "unter dem Trennenden leiden". Seine Aufgabe ist laut Oden, Kirchenführungen in einen förmlichen Dialog zu bringen, der zu sichtbarer Einheit führt. Die Weltweite Evangelische Allianz WEA dagegen ist ein Verbund von nationalen und regionalen Kirchenverbänden und Allianzen und evangelischen Missionen und Werken. Sie zielt auf lose Arbeitsgemeinschaft, so dass die Beteiligten miteinander tätig sind in der Verkündigung des Evangeliums und im Aufbau nationaler Bewegungen. Im Raum der nationalen Allianzen steht nicht das organisatorische Verbinden im Vordergrund. Laut Oden gehen die Allianz-Christen davon aus, "dass die Zeit der Denominationen vorbei ist. Sie ziehen die Vielfalt christlicher Arbeit gemäss dem Auftrag von Christus vor und vertrauen darauf, dass der Heilige Geist dem Leib von Christus (der gesamten Kirche; Red.) Einheit bringt."

Der ÖRK beansprucht das Etikett ‚ökumenisch' für sich allein, als die einzige Organisation von Protestanten, die mit den Orthodoxen den Dialog pflegt. Laut Thomas Oden zu Unrecht. Er kritisiert, dass der ÖRK oft "evangelische Anliegen, Missionen, Initiativen und ihr spektakuläres Wachstum ignoriert". Die Genfer Bewegung habe kaum zur Kenntnis genommen, dass die wachsende Hälfte der weltweiten Christenheit nicht einer liberalen, modernistischen Theologie verpflichtet, sondern bekenntnishaft evangelisch (‚evangelikal'), charismatisch und pfingstkirchlich geprägt sei.

Aus diesen dynamischen Strömungen habe der ÖRK zwar einige Vertreter in seine Komitees berufen, doch deswegen könne er noch lange nicht beanspruchen, sie einzuschliessen. "Die (bibelorientierten) Evangelischen haben in ÖRK-Angelegenheiten praktisch nichts zu sagen... Unter den Bürokraten des ÖRK besteht weiterhin starker Widerstand gegen evangelisches Zeugnis, das zur Umkehr ruft."

Evangelisch inspirierte Anfänge der Genfer Bewegung

Dabei waren es vor 150 Jahren Vertreter evangelischer Missionsbewegungen, die ökumenisch zu denken begannen. Diese evangelischen Christen prägten die Frühzeit der ökumenischen Bewegung mit, sagt Oden, aber "Vertreter der liberalen Theologie übernahmen ihre Leitung und verbrauchten ihr Kapital, ihr Ansehen und ihre Stützsysteme mit vermeintlich prophetischen politischen Stellungnahmen".

Die Macht in Genf hatten während vieler Jahre linke Ideologen, die Sympathien für marxistische Regimes und Befreiungsbewegungen pflegten, "über verschiedene Befreiungstheologien phantasierten und Illusionen über globale antikapitalistische Revolutionen hegten". Darüber hinaus habe der ÖRK laut Oden Formen sexueller Befreiung befürwortet, welche bibelorientierte Evangelische wie auch gute Orthodoxe und Katholiken nicht mit gutem Gewissen bejahren könnten.

Thomas Oden beschreibt den ÖRK als hierarchische Organisation, die Kirchenführungen (jede mit ihrer eigenen Bürokratie) zusammenbringen will. Den Allianz-Christen dagegen widerstrebt zentrale Kontrolle; sie setzen auf örtliche Initiativen, die auf dem Boden der biblischen Aufträge zur Verkündigung und zum Dienst an den Menschen wachsen (Oden spricht von Vertrauen in ‚Grassroots-Leiterschaft'). Weil die Weltweite Evangelische Allianz WEA fast keinen Apparat habe, sei sie viel flexibler; sie habe weniger Eigenes zu verteidigen. "Sie sieht ihre Aufgabe nicht in der Kontrolle oder Koordination von Leitern, sondern will die vielfältigen Gaben des Heiligen Geistes in Aktion unterstützen. Evangelische Missionen sind im allgemeinen flexibler, weniger hierarchisch und weniger bürokratisch. Daher erscheint die Weltweite Evangelische Allianz besser positioniert als der ÖRK, um die wirkungsvolle Proklamation des Evangeliums im 21. Jahrhundert zu unterstützen."

Unterstützung für Mächtige - Ermutigung für Gewerbetreibende

Thomas Oden hat an den letzten Vollversammlungen der beiden Bewegungen teilgenommen. Der ÖRK habe 1998 in Harare seine Unterstützung für den korrupten Diktator von Simbabwe bekräftigt und den Schuldenerlass für die ärmsten Länder in einer Weise befürwortet, die dem Missbrauch von Entwicklungsgeldern durch Regierungen Vorschub leistete. Die WEA habe sich in Kuala Lumpur auch für Entschuldung ausgesprochen, aber diese mit Strategien der Förderung von Kleinstunternehmern verbunden. Und sie habe den muslimischen Staatschef Malaysias zu einer klärenden Stellungnahme zur Religionsfreiheit veranlasst.

Allianz-Christen sollten die Kirchengeschichte kennen

Allerdings kritisiert Thomas Oden nicht nur eine Seite. "Weder der ÖRK noch die WEA verkörpern angemessen das Gebet unseres Herrn, dass wir ‚alle eins sein' sollen." Der Genfer Weltkirchenrat habe den Schatz einer plausiblen ökumenischen Vision verspielt. Die WEA anderseits, in der die Eigenständigkeit der einzelnen Gemeinden hochgehalten werde (Kongregationalismus), habe die "historische Vision von der Einheit der Christen noch nicht genügend erfasst". Die Evangelischen seien sich auch noch nicht bewusst, wie ihr Zeugnis in der Kirchengeschichte (der Geschichte der ‚alten' Kirchen) verwurzelt sei.

Ganzheitlicher Dienst an den Menschen braucht klare Lehre

Nach Odens Einschätzung verbinden die Christen unter dem Dach der evangelischen Allianz die Verkündigung des Evangeliums zunehmend mit ganzheitlichem Dienst an den Menschen, mit Hilfstätigkeit. Zwar will der ÖRK dies auch, sagt Oden, aber er gründe das praktische Handeln der Christen nicht in einer leuchtstarken Lehre der Offenbarung der ewigen Wahrheit durch Gott. Auch die persönliche Beziehung der Gläubigen zu Christus stehe in der Genfer Oekumene nicht im Vordergrund.

Die Evangelischen sehen die Einheit der Christen allein in der Wahrheit des Evangeliums begründet, des Kernstücks der Bibel, die sie als Gottes Wort ernst nehmen. Dagegen widerstrebt es Genfer Ökumenikern (laut Oden ‚stark infiziert vom postmodernen Relativismus-Käfer'), sich mit Themen wie der Wahrheit der Heiligen Schrift zu befassen.

Weniger Berührungsängste

Oden sieht die Vormachtstellung des ÖRK abbröckeln. Zum einen markieren immer mehr orthodoxe Vertreter Distanz zu Grundlinien der Genfer Ökumene, zum zweiten erkennt heute der Vatikan die WEA als bedeutenden Gesprächspartner an. Es berührt den erfahrenen Beobachter der ökumenischen Szene seltsam, dass Allianz-Evangelische mit Katholiken eher im Gespräch sind als mit liberalen Protestanten. "Die ökumenischen Initiativen auf orthodoxer und römisch-katholischer Seite erkennen neuerdings, dass sie mit Evangelischen, die die klassische christliche Lehre hochhalten, viel mehr gemeinsam haben als mit liberalen Ökumenikern. Sie beginnen zu realisieren, dass sie viel zu viel Energie in einen begrenzten Dialog mit dem schmal abgestützten ÖRK gesteckt haben."

Was können evangelische Christen für die Einheit des Leibes von Christus tun? Thomas C. Oden fordert in seinem Aufsatz auf zum Dialog mit denen, die nicht abgefallen sind vom Glauben. "Es kann keinen billigen Frieden des vermeintlichen Dialogs mit denen geben, die vom Glauben abgefallen sind oder sich rasch zum Abfall hin bewegen, indem sie in sexuellen und politischen Aktivismus, in Pantheismus oder in die Lehre der Allversöhnung verfallen" (Pantheisten unterscheiden Gott nicht von der Welt). Allerdings bewahrheitet sich auch in den Kirchen von heute das Gleichnis Jesu vom Weizen und dem Unkraut, die miteinander aufwachsen bis zur Reife. Oden, der sich im Lauf seines Lebens vom modernistisch-liberalen zum orthodox-evangelischen Theologen gewandelt hat, plädiert für offene Augen: Christen sollen in allen Kirchen wahrzunehmen versuchen, was der Heilige Geist wirkt.

Webseiten:
World Evangelical Alliance
Ökumenischer Rat der Kirchen
Schweizerische Evangelische Allianz
Deutsche Evangelische Allianz

Datum: 09.01.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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