Liederpfarrer wird 60

Clemens Bittlinger – Meister der frommen Gassenhauer

Seine Songs hören Millionen von Deutschen: Der Liederpfarrer Clemens Bittlinger feiert heute, am 8. August 2019, seinen 60. Geburtstag. Er ist auch ein Lichtblick für viele evangelikale Christen.
Liederpfarrer Clemens Bittlinger

«Wir wollen aufstehn, aufeinander zugehn» – in Kirchen, Klöstern und auf Festivals wird dieses Lied gesungen, in Kindergärten, Kulturzentren, Schulen, sogar Altersheimen, in Deutschland und weltweit. Millionen Klicks hat es bei YouTube: «Voneinander lernen, miteinander umzugehn.» Das muss ein Lied erstmal schaffen. Es stammt aus der Feder Clemens Bittlingers. Der hessische Pfarrer und Liedermacher steht seit 38 Jahren auf der Bühne, gibt in jedem Jahr rund 100 Konzerte – und wird in diesem Jahr 60 Jahre alt. Und er singt immer noch «Aufstehn, aufeinander zugehn...», das hat schon Kultstatus.

Für eine Osterrocknacht komponiert

Was viele nicht wissen: Bittlinger komponierte diesen Gassenhauer 1995 für eine Osterrocknacht im Privatfernsehen. «Die Show sollte auch eine Aktion gegen Ausgrenzung und Ausländerfeindlichkeit in Gang setzen», erzählt er, und verrät, dass er für das «Dab dab daba du daa dab» eine Anleihe aus einem Song der Band Purple Schulz übernommen hat, mit Erlaubnis selbstverständlich. Schnell trat der beherzte Rumtata-Song seinen Siegeszug an – auch durch Kirchengemeinden. Vielen traditionellen Kirchenmusikern war – und ist (!) – der Erfolg des Liedes ein Gräuel, zu schlicht und einfach.

Eine kirchenmusikalische Fachzeitschrift bemäkelte gar «das rhythmisch ekstatische Kleid» des Liedes. «Inzwischen reagiere ich gelassen auf solche Kritik», sagt Bittlinger. Der Grund für seine Gelassenheit: Wochenende für Wochenende merkt er, das Lied erreicht die Menschen und bringt sie tatsächlich zum Aufstehen – was herkömmliche Kirchenlieder nur selten schaffen. Die Kunst, Menschen zum Mitklatschen zu bringen, ist nur die eine Seite Bittlingers. «Sei behütet», ein ruhiges Segenslied, gehört ebenfalls bereits zu den Hits der neuen geistlichen Musik. Ergreifend, wenn Tausende Menschen es zusammen singen. So wie 1999 beim Abschlussgottesdienst des Kirchentages, ein Chor von 70'000 Menschen. Danach fuhr er in die Klink, um 19:52 Uhr wurde seine Tochter Enya geboren. Er hielt sie in den Armen und sang ihr «Sei behütet» vor. «Etwas Grösseres gibt es nicht», denkt er noch immer, wenn er zurückblickt.

Vater setzte sich für charismatische Bewegung ein

Obwohl er Pfarrer ist: Das Wort «Gott» kommt in Clemens Bittlingers Liedern gar nicht so oft vor. Missionarisch ist er dennoch. So wie sein Vater, Arnold Bittlinger, der war ebenfalls Pfarrer, er arbeitete im Volksmissionarischen Amt. Auf einer Studienreise durch die USA lernte er die dortige charismatische Bewegung kennen und sorgte dafür, dass sie in Deutschlands behäbigen Landeskirchen Fuss fassen konnte. Die Gottesdienste sollten lebendiger werden, dem Wehen des Geistes mehr Raum lassen. Clemens wuchs also in frommem Hause mit Neugier und weitem Horizont auf.

Mit 17, 18 wandte er sich vom elterlichen Style ab. Gleichzeitig merkte er: In der Christenwelt tut sich etwas. Neue, junge und unkonventionelle Liedermacher tauchten auf, spielten und sangen in einer ungekannten Weise vom Glauben: Siegfried Fietz, Arno und Andreas, Dieter Falk. Vom älteren Bruder lernte Clemens Gitarre. Begeistert hörte er die Musik von Reinhard Mey und Konstantin Wecker. Er schrieb erste Lieder, sein Vorsatz dabei: «Sei ehrlich. Versuch keine frommen Phrasen oder sowas unterzubringen und versuche, nicht auf jede Frage eine fromme Antwort zu finden.»

Schnell machte der smarte junge Liedermacher von sich reden. Sein erster Erfolg: Ein Lied, in dem er erzählt, was er in der Verhandlung zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gefragt wird: «Warum singst du nicht in Kambodscha?» Junge Christen horchten auf. Hier war einer fromm und gleichzeitig politisch eher links. Ein Lichtblick für viele evangelikale Christen, die auf einen Aufbruch auch in der evangelikalen Szene hofften.

Mischung aus Bruce Springsteen und Jürgen Fliege

Seitdem ist Clemens Bittlinger auf vielen Grenzen unterwegs und lässt sich nicht so recht einordnen. Musikalisch schwebt er zwischen Schlager, Pop und Chanson. Geistlich zwischen pietistischer Frömmigkeit und volkskirchlichem Mainstream-Glauben. Textlich zwischen politischem Liedermacher-Jargon, einfach einprägsamen Zeilen und dem, was Kritiker mit dem bösen Wort «Betroffenheitslyrik» bezeichnen. Bittlinger wirkt wie ein Einzelkämpfer, doch tritt er gerne auch mit anderen Menschen auf, die Wesentliches zu sagen haben.

Zum Beispiel mit Pater Anselm Grün und dem Astrophysiker Andreas Burkert. Die Wochenzeitung Die Zeit beschrieb Bittlinger kürzlich als Mischung aus Bruce Springsteen und Jürgen Fliege. Das passt: Im bunten Hemd und Dreitagebart spielt er die Klampfe, doch die Songs, die herauskommen, sind eher seicht und gefühlig. Mit dem Etikett «frommer Liedermacher» kann er nicht viel anfangen. «Ich stolpere Jesus hinterher», entgegnet er dann. In seinen Konzerten bekennt er sich zum Glauben und erklärt couragiert, was das für Folgen hat: Toleranz dem Fremden gegenüber zum Beispiel, egal ob es in Gestalt von Flüchtlingen auf uns zukommt oder von Menschen, die anders glauben oder sexuell anderes orientiert sind. Geduldig plädiert er für einen christlichen Glauben, der nicht ausgrenzt, sondern sich öffnet.

Das ist das Geheimnis, weshalb seine Konzerte meist ausverkauft sind. Wochenende für Wochenende tingelt er durch Kirchengemeinden zwischen den Alpen und Ostfriesland, spielt aber auch auf grossen christlichen Events und Kirchentagen. Dabei hält er mit seiner Meinung zu aktuellen gesellschaftlichen Themen nicht hinterm Berg. Frieden, rechte Populisten, Handy- und Tätowierwahn – es gibt kaum ein Thema, das Bittlinger auslässt. Sein neuester Streich: «F-F-F – Fridays for Future», ein Schunkel-Mitsinglied über die von Greta Thunberg ausgelöste Öko-Bewegung, sinnigerweise kinderchorfähig.

Uwe Birnstein ist ein in Bremen geborener Theologe, der ursprünglich einmal Pastor werden wollte, sich dann aber für den Journalismus und das Schreiben von Büchern («Margot Kässmann: Folge dem, was Dein Herz Dir rät») entschied.

Zum Originalartikel auf PRO:
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Das Lied «Aufstehn, aufeinander zugehn...» von Clemens Bittlinger

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Datum: 07.08.2019
Autor: Uwe Birnstein
Quelle: PRO Medienmagazin / www.pro-medienmagazin.de

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