Zivilcourage

Der Prediger von Buchenwald

Der reformierte Theologe Paul Schneider starb vor 75 Jahren im KZ. Der eher zurückhaltende Pfarrer verzichtete auf seine Entlassung aus der Nazi-Gefangenschaft und blieb dort bis zu seinem Tod als «Prediger von Buchenwald». Damit ist er bis heute ein starkes Vorbild für konsequenten Glauben und Zivilcourage.
Paul Schneider (1920)

KZ Buchenwald. Wie jeden Morgen müssen die meisten Häftlinge zum Appell antreten. Da klettert einer der ihren an sein Zellenfenster im Arrestgebäude und ruft laut: «Kameraden, hört mich. So spricht der Herr: Ich bin die Auferstehung und das Leben …» Fast zwei Minuten predigt er, bis die Wächter in seine Zelle stürmen und ihn zum Schweigen bringen. Er kommt in Einzelhaft, wird geschlagen und bedroht, doch immer wieder erhebt Paul Schneider seine Stimme.

Wer ist dieser Mann?

Paul Schneider wird 1897 als Sohn eines Pfarrers im Hunsrück geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg studiert der schüchterne junge Mann Theologie. Danach sucht er zunächst den Kontakt zu Arbeitern, er schuftet mit ihnen am Hochofen. Zusammen mit der Berliner Stadtmission hilft er Alkoholikern. Schneider kommt währenddessen mit einer kirchlichen Erweckungsbewegung in Kontakt, die ihm hilft, eigene Zweifel auszuräumen und seinen Glauben zu festigen.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten denkt er kurz, dass die NS-orientierten «Deutschen Christen» eine Möglichkeit zur Volksmission böten, doch er distanziert sich schnell von ihnen.

Verwarnt, versetzt und verhaftet

Von jetzt an gerät Schneider immer wieder in Konflikt mit dem herrschenden Regime. Folgerichtig wird er Mitglied im Pfarrernotbund und der «Bekennenden Kirche». Öffentlich kritisiert er Joseph Goebbels, den Reichspropagandaminister. Bei der Beerdigung eines Hitlerjungen widerspricht er der Auffassung, dieser sei jetzt «in den himmlischen Sturm Horst Wessel eingegangen». Mehrfach wird Schneider verwarnt. Man lädt ihn vor und verhört ihn. Er wird versetzt, um seinen Einfluss zu verringern. Immer wieder erhält er zeitweise Kanzelverbot und wird auch verhaftet. 1937 bittet ihn seine Kirchgemeinde im Hunsrück zurückzukommen. Er tut es und hält dort einen Erntedankgottesdienst. Danach wird er verhaftet und kurz darauf ins KZ Buchenwald überstellt.

Der Prediger von Buchenwald

Weil Schneider in körperlich gutem Zustand im KZ ankommt, verkraftet er die Belastung der Zwangsarbeit zunächst gut – er hilft sogar Mitgefangenen. Bei einem Fahnenappell anlässlich des Führergeburtstages verweigert er den Hitlergruss und nimmt seine Mütze nicht ab. Er begründet das: «Dieses Verbrechersymbol grüsse ich nicht!» Daraufhin wird er öffentlich verprügelt und kommt für ein Jahr in Einzelhaft. Systematisch wird er hier gequält, doch nichts kann ihn davon abhalten, immer wieder sein Fenster als Kanzel zu benutzen und den Mitgefangenen Bibelverse, Durchhalteparolen oder sogar kurze Predigten zuzurufen.

Schneiders Anklage vor Gericht ist längst in sich zusammengebrochen. Man gibt ihm zu verstehen, dass er das KZ sofort verlassen könnte, wenn er ein Redeverbot akzeptieren würde, doch er lehnt ab und bleibt. Bereits als junger Mann notierte er in seinem Tagebuch: «So bleibt mir also nur, mein Leben ganz auf Gott, den Übervernünftigen und Wunderbaren, Allmächtigen und Grundgütigen zu legen. Von ihm will ich mir sagen lassen, was ich zu tun, wie ich zu leben habe; und auf alle eigene Massstäbe verzichten. Herr Gott, zeige du mir mein Ziel, das Ziel meines Lebens und meiner Arbeit!» Und Schneider sieht dieses KZ als seinen Platz an.

Tod und Wirkung darüber hinaus

Als es der KZ-Leitung klar wird, dass Paul Schneider nicht klein begeben wird, schicken sie ihn im Sommer 1939 in medizinische Behandlung, um die Folterspuren zu beseitigen – anschliessend wird er umgebracht. Seine Beerdigung sollte auf Anweisung der Gestapo in aller Stille stattfinden, doch niemand kann verhindern, dass Hunderte von Freunden, darunter viele Pfarrer der «Bekennenden Kirche», kommen. Die Nazis wollen ihn zum Schweigen bringen, doch das gelingt ihnen selbst durch seinen Tod nicht.

2002 stirbt Paul Schneiders Frau, die zeitlebens versöhnend in den Orten wirkt, wo sie zusammen gewohnt haben. Kurz vorher, im Alter von 93 Jahren hält sie fest: «Er war dazu ausersehen, das Evangelium zu verkündigen zu Zeit und Unzeit. Und das ist seit damals mein Trost.»

Datum: 03.04.2014
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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