Pierre Tschanz

«Die Hoffnung ist stärker als die Angst»

Pierre Tschanz bereiste fast alle Länder, in denen Christen diskriminiert werden. Weil er Bibeln in die Sowjetunion schmuggelte, wurde er als CIA-Agent verdächtigt. Die Begegnungen mit verfolgten Christen prägten sein Leben. Er sagt: «Die verfolgte Kirche braucht uns. Aber wir können auch viel von ihr lernen.» Wir bringen eine gekürzte Fassung des Gesprächs mit idea Spektrum Schweiz.
Pierre Tschanz

«idea Spektrum»: Pierre Tschanz, warum sollen sich Schweizer Christen mit der verfolgten Kirche befassen?
Pierre Tschanz: Weil viele Christen, die diskriminiert werden und in der Verfolgung leben, Vorbilder im Glauben sind. Sie haben die Feuerprobe bestanden.

Zeichnen Sie uns jetzt ein Idealbild?
Nein, idealisieren will ich die verfolgten Christen nicht. Es sind Menschen wie wir. Ein grosser Unterschied ist, dass sie sich trotz enormer Konsequenzen für ein Leben im Glauben entschieden haben. Man könnte sogar sagen, sie haben sich bewusst in diese Lage gebracht. Jesus selbst spricht in diesem Zusammenhang Klartext: «Der Knecht ist nicht grösser als sein Herr. Haben sie mich verfolgt, so werden sie euch auch verfolgen», nach Johannes, Kapitel 15, Vers 20.

Haben wir der verfolgten Kirche gegenüber einen Auftrag?
Wenn ein Glied des Leibes Christi leidet, leiden die anderen Glieder mit. Die Bibel setzt voraus, dass wir uns um diejenigen kümmern, die um ihres Glaubens Willen leiden. Jesus erinnert daran in Matthäus, Kapitel 25: «Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich besucht.»

Übrigens: Die Evangelien reden viel über Verfolgung und Angst. Doch über allem steht der Zuspruch des Herrn: «Seid getrost, ich habe die Welt überwunden.» Das Nichtvergessensein, das Gebet, der Besuch – das ist für Christen in der Verfolgung entscheidend wichtig.

Nun kann aber nicht jeder nach Nordkorea reisen und dort Christen besuchen...
Das nicht. Aber zur Zeit des Eisernen Vorhangs reisten viele Freiwillige mit Bibeln in den Ostblock. Mit grosser innerer Überzeugung, oft sogar auf eigene Rechnung. Ich persönlich war dutzendfach bei verfolgten Christen in Algerien, habe dort gepredigt. Auch die Staatspolizei war dabei. Inzwischen darf ich nicht mehr einreisen. Aber in der Zeit des Terrorismus waren solche Besuche für die Christen eine lebenswichtige Ermutigung.

Was ist Ihnen in der Begegnung mit Christen in der Verfolgung besonders aufgefallen?
Ihre gelebte Beziehung zu Jesus Christus, ihre Bereitschaft zum Gebet, ihre Liebe zur Schrift. In Algerien begegnete ich jungen Menschen, die in der Bibel lasen, so oft sie nur konnten. Sie suchten die Massstäbe und den Willen Gottes. Bevor sie Christen wurden, hatten sie kaum etwas gelesen! Vor kurzem – in Mauretanien – sagte mir ein Mann: «Wenn ich in der Bibel lese, weiss ich, dass diese Worte die Wahrheit sind.» Begegnungen mit von Gott erfüllten Menschen bauen geistlich auf.

Sie brachten Hilfe und wurden selbst beschenkt?
Tatsächlich – obwohl ich manchmal auch harte Worte gebrauchte. Im algerischen Bürgerkrieg starben Zehntausende. Es war ein Jahrzehnt des Terrors. Trotzdem sagte ich jungen algerischen Christen, sie sollten ihre Gedanken an das Auswandern aufgeben, um in ihrem Land das Evangelium zu bezeugen.

Wie haben sie reagiert?
Einige reagierten verärgert und meinten, ich hätte gut reden. Doch versprach ich ihnen immer wieder, sie so gut wie möglich in ihrem Auftrag zu unterstützen.

Ihr neues Buch heisst «Angst. Von verfolgten Christen lernen». Warum dieses Thema?
Seit langem befasse ich mich mit dem Phänomen der Angst. Ich bin als Offizier zur See gefahren. Stürme haben mich schon immer beschäftigt und Menschen, die Ausserordentliches wagten, ebenfalls.

Wie ist das mit den Christen im Westen? Wir werden nicht verfolgt und haben trotzdem Probleme, uns fröhlich zu Christus zu bekennen. Was bedroht uns?
Es ist nie leicht, Christus zu verkündigen. Das ist immer mit Risiko verbunden. Es braucht dazu Glaube, Mut und Weisheit. Wer es wagt, Christus als den einzigen Retter der Welt zu bezeichnen, gerät heute in der Öffentlichkeit unter Druck. In unserer Gesellschaft wächst die Kluft zwischen göttlicher Offenbarung und menschlicher Toleranz.

Aber wir dürfen das Bekenntnis nicht aufgeben. Das Wort der Wahrheit gehört in die Welt. Unsere Hoffnung ist stärker als jede Angst. Gott schenkt einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

Wer sind Ihre Vorbilder?
Zum Beispiel Gerhard Hamm, ein russischer Evangelist, Brother Andrew oder Pater Calciu. Von anderen kenne ich nicht einmal den Namen. Da war zum Beispiel ein Pakistani. Ich traf ihn in einem christlichen Zentrum in einer abgelegenen Bergregion. Es stellte sich heraus, dass er Englischlehrer war. Aber seit er Christ war, lebte er auf der Strasse. Er hatte seine Familie, seinen Job, seine Reputation und sein Haus verloren. Ab und zu hütete er Schafe und wenn sich die Gelegenheit bot, erzählte er von Jesus. Dieser Mann beeindruckte durch den grossen inneren Frieden, den er ausstrahlte. Am anderen Tag wollte ich ihn nochmals besuchen, um ihm etwas Geld mitzugeben. Doch er war bereits verschwunden.

In Peru traf ich Alfredo, der unter den Terroristen des «leuchtenden Pfad» das Evangelium verkündigte. Er trug einen schweren Filmprojektor tagelang durch Terroristengebiete in den Anden, um einen christlichen Film zu zeigen – und Menschen fanden im Dutzend zum Glauben. Solche Begegnungen bleiben unvergesslich.

Pierre Tschanz, 68, arbeitete von 1982 bis 2009 in leitender Funktion bei der Organisation Open Doors. Heute lebt er mit seiner Frau in Lausanne und ist als Prediger und Referent zur Unterstützung verfolgter Christen in islamischen Ländern unterwegs. Ende 1998 war Tschanz zusammen mit Frank Probst, dem damaligen Sekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz, die treibende Kraft, einen Sonntag für die verfolgte Kirche einzuführen. Dadurch wurde das Thema der verfolgten Gemeinde in der Schweiz bekannter.

Das vollständige Interview lesen Sie im «ideaSpektrum Schweiz».

Datum: 12.11.2012
Autor: Rolf Höneisen
Quelle: Livenet

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