Schatten des Holocausts

«Es ist Zeit für Vergebung»

In seiner Kindheit wurde er verlassen, gehasst und gequält. Nach einem langen Heilungsprozess ruft der Holocaust-Überlebende Peter Loth heute zur Vergebung auf. Vergebung suchen, gewähren und annehmen: für ihn das Tor zum Leben.


Wenn wir vergeben, kommen wir ins Himmelreich: Peter Loth im Herbst 2006.

Als der Krieg 1945 zu Ende ging, wurde Peter Loth noch nicht zweijährig, von seiner jüdischen Mutter einer Polin überlassen. Bei einem russischen Angriff auf den Zug, der Richtung Vernichtungslager fuhr, konnte sie fliehen. Für die russischen Besetzer war der Knabe ein Deutscher. Sie steckten ihn ins Waisenhaus und misshandelten ihn. Als Peter die Mutter 14 Jahre später in Westdeutschland wieder sah, empfand er vor allem eines: Hass. «Sie weinte – und wir konnten uns nicht verständigen, da sie Deutsch, ich Polnisch sprach. Als sie mir die Narben an ihrem Körper zeigte, ihre verstümmelte Brust, empfand ich Mitgefühl. Wir umarmten uns. Sie bat mich: 'Mein lieber Peter, vergib mir!'»

Im Kreuzfeuer des Hasses

Mit 16 hatte Peter zum erstenmal eine Familie – doch für die Schrecken der Nazi-Jahre fanden er und seine Mutter keine Worte. Sie hatte einen schwarzen US-Soldaten geheiratet und zwei Mädchen, Barbara und Georgia, zur Welt gebracht. Der Stiefvater wurde in den Südosten der Vereinigten Staaten versetzt. Nach massiven Problemen an der deutschen Schule erlebte Peter dort – des Englischen kaum mächtig – erneut Ablehnung und Verachtung: Die Blacks wollten nichts mit ihm zu tun haben, die Weissen grenzten den «Juden» auch aus. Es war die Zeit der Bürgerrechtskämpfe. «Der Ku-Klux-Klan wartete auf mich!» Wieder wurde er geschlagen, von zwei Schulen gewiesen.


Peters Mutter Helena Loth

Allein

Später begann der Stiefvater zu trinken; oft misshandelte er seine Töchter. «Eines Abends ertrug ich es nicht mehr, ich ging mit den Fäusten auf ihn los. Da schlug er mit einer Kette brutal auf mich ein.» Peter sprang zum Fenster hinaus und lief davon. In dieser Nacht verlor er den Kontakt zu seiner Mutter. Ein Mann nahm sich seiner an und ermöglichte ihm, die Schule nachzuholen. In Vietnam verletzt, rappelte sich Peter Loth hoch und fand die Kurve in die amerikanische Normalität. Doch in seiner Seele war es schwarz.

Mit Gott wollte Peter lange nichts zu tun haben. Unlösbare Fragen quälten ihn: Warum hatte er überlebt, als andere Kinder getötet wurden? Warum hatte er so viel Hass auf sich gezogen? Ein Armeekamerad in Kalifornien fragte ihn als Götti an – und brachte ihn dazu, eine vierjährige Bibelschule zu besuchen. Das Alte Testament begeisterte ihn. Peter hatte geheiratet. Seine Frau brachte Zwillinge zur Welt. Als sie von seiner schwarzen Verwandtschaft erfuhr, liess sie sich auf der Stelle scheiden!


Düstere Jahre im Waisenhaus: Peter unterwegs mit einem Mädchen. Es wurde später vor seinen Augen getötet.

Mann ohne Kindheit

Die Organisation von Kathryn Kuhlmann stellte ihn als Prediger an – seine eigene Geschichte konnte Peter nicht erzählen, sie lag tief im Schmerz verschüttet. «Wann immer eine Erinnerung in mir aufblitzte – Waisenhaus, Misshandlung, Vergewaltigungen, Schläge, Folter –, war ich blockiert und lief davon, denn der Schmerz war zu gross. Mir war oft, als steckte jemand eine brennende Fackel in mich hinein.» Später heiratete Peter ein zweites Mal und zog zurück nach Kalifornien.

1992 hörte er Gott zu sich sagen, er solle ihn bezeugen. «Ich dachte zuerst, es sei ein Witz. Da zeigte mir Gott mein ganzes Leben – von jenem Augenblick rückwärts bis in den Leib meiner Mutter. Er gab mir Eindrücke dessen, was geschehen war, und beauftragte mich, davon zu reden. Aber wie sollte ich? Ich fürchtete mein Inneres blosszulegen. Gott sicherte mir zu, er werde immer bei mir sein. Und in dem Moment, da ich Ja sagte, konnte ich reden.»

Eine schmerzhafte Reise in die Kindheit begann, doch Peter Loth spürte nun Boden unter den Füssen. Seine Mutter und die Schwestern hatte er Jahrzehnte nicht mehr gesehen. Als Barbara eines Tages anrief, teilte sie ihm den Tod der Mutter mit. Sie trafen sich und nun erfuhr Peter, dass die Mutter ihn im KZ zur Welt gebracht hatte – sie hatte ihm dies immer verschwiegen! Er spürte, dass er nach Polen reisen musste. Ein Mann sagte ihm, Gott habe ihm gezeigt, dass er dahin zurückkehren müsse, um geheilt zu werden. «Er sagte, ohne diese Heilung würde ich niemals fähig sein, anderen zu dienen.»


Peters Halbschwestern Barbara und Georgia.

Gottes Geschenk: Vergebung am Ort des Schreckens

Es kam der Tag, da Peter Loth das KZ Stutthof bei Danzig besuchte – seinen Geburtsort, die Stätte des Grauens, an der seine Grossmutter vergast und seine Mutter gequält worden war. «Wir gingen ins Büro und sahen unseren Namen. Es tat so weh.» Wut und Trauer überwältigten ihn, als er am Eingang des Ofens stand, der seiner Grossmutter den Tod brachte. Er verspürte in sich Hass gegen alle – die Deutschen, die Österreicher, die Europäer insgesamt. «Da erschien mir Gott nochmals, brachte mich auf die Knie und sagte mir: 'Vergib ihnen!' Ich lernte buchstabieren, dass Gott mir meine Schuld vergeben konnte, wenn ich denen vergab, die an mir schuldig geworden waren» – der Zusammenhang, den auch das Gebet «Unser Vater» zum Ausdruck bringt.

Langer seelischer Prozess

Peter Loth begann zu vergeben – allen, die er bisher gehasst hatte. Es war ein langer Prozess. Allmählich wurde er innerlich ruhig. «Ich kann vergeben. Alles wurde mir geraubt, meine Kindheit, die Jugend – alles. Aber nun bin ich fähig zu vergeben. Heute bin ich unterwegs, um Menschen einzuladen, anderen zu vergeben, damit der Vater im Himmel ihnen ihre Schuld erlassen kann.»

Von Albträumen befreit

Schuld lastet in Mitteleuropa noch auf manchen Menschen. Denn, so Loth, die Schuld der Väter wirkt nach. Eine Frau in Österreich habe sich ihm als Enkelin von Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess vorgestellt. Verwandte von Eva Braun seien zu einer Veranstaltung gekommen und hätten um Vergebung gebeten. Peter Loth schildert eine Begegnung in Wien. Eine Frau eröffnete ihm, ihr Vater habe als SS-Arzt gearbeitet. Sie habe Albträume, in denen Kinder sie würgten. Die Frau bat ihn um Hilfe. Als er für sie betete, wurde sie ohnmächtig. «Nach 20 Minuten stand sie auf und sagte: 'Ich sehe sie nicht mehr, die Kinder!' Sie war so glücklich, dass sie vor Freude hätte tanzen mögen. Sie hatte den Schritt getan und für die Schuld ihres Vaters um Vergebung nachgesucht.»


Den Schmerz nochmals durchleiden: Der Besuch im KZ Stutthof war für Peters innere Heilung entscheidend.

Mit dem Herzen

Noch heute dauert die Verarbeitung der Horrorerlebnisse an: Wenn Peter Loth Vorträge hält, steigen Bilder in ihm auf; er übt Vergebung und spürt, dass etwas heil wird. «Wenn wir nicht vergeben, gelangen wir nichts ins Himmelreich. Jesus weist die Heuchler ab, die fromm reden, aber sich weigern zu vergeben.» Vergebung geschieht im Herzen, betont Loth: «Wer das mit dem Kopf leisten will, schafft es nicht. Wie ein Geschwür frisst die Unversöhnlichkeit sich durch den Menschen.»

Dies ist besonders gravierend, wenn der Groll sich gegen Vater oder Mutter richtet: «Wer von seinem Vater oder seiner Mutter verlassen wurde, muss sich entscheiden: Hegt er Bitterkeit in sich, Zorn und Wut – und gibt diese Gefühle seinen Kindern weiter? Oder vergibt er?» Immer wieder kommt Peter Loth darauf zurück: «Es ist Zeit für Vergebung. Kannst du das annehmen?»

Lesen Sie auch den ersten Teil von Peter Loths Geschichte:
Hass und Misshandlung überlebt

Datum: 26.01.2007
Autor: Peter Schmid
Quelle: Jesus.ch

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