Durch die meisten
Selbsthilfe-Bücher unserer Zeit zieht sich ein roter Faden: Du hast alle
Quellen, alle Reserven, alle Kraft und Erkenntnis in dir. Was macht das mit
uns?
Es klingt gut und baut uns offenbar auf: «Horche in dich
hinein. Du trägst alles, was du brauchst, in dir.» Wahrheit? Liegt in dir.
Erkenntnis? In dir drin. Probleme? «Du weisst eigentlich schon die Lösung,
horche nur in dich hinein.»
Abgesehen davon, dass (gefühlte) Tausende von Buchautoren
davon leben, Sie auf sich selbst zurückzuwerfen (Frage: warum lesen Sie sie
dann noch?): Stimmt das eigentlich? Sind wir so autonom, dass wir alles Wissen,
alle Erkenntnis und alle Lösungen in uns tragen?
Gnadenlos überlastet
Die grössten Lügen sind Halbwahrheiten, und das hier ist
vielleicht die gefährlichste Lüge unserer Zeit. Natürlich tragen wir einen
Schatz von Erfahrung, Erkenntnis und Verständnis in uns drin, und jeder Mensch
ist ein einmaliges Original mit Potential. Aber das ist nur die eine Hälfte der
Wahrheit. Wenn sie absolut gesetzt wird, kann das zu einer unglaublichen
Selbstüberschätzung, Selbstbelastung und Überforderung führen. Ich muss «meine»
Wahrheit erstens finden und sie dann zweitens gegen «deine» verteidigen, denn
du bist anders. Schon hier liegt der Keim für viele Konflikte.
Dazu kommt die ständige Anstrengung: Ich bin in meinen Lebensproblemen auf mich
zurückgeworfen, und die ganze Last meiner Existenz liegt auf mir selbst. Ich
muss meine ganze Energie dazu aufwenden, meine eigene Burg zu bewachen und
pausenlos in mir graben, auch wenn ich manchmal gar nichts finde. Was unser Ego
aufbauen soll, raubt uns am Ende unsere Kraft. Statt zu starken Menschen werden
wir zu hochempfindlichen Mimosen.
Die gefährliche
Halbwahrheit
«Die Lösung liegt in dir» ist darum eine gefährliche
Halbwahrheit. Genauso wichtig und richtig ist, dass wir auf das «Du» angelegt
sind, dass wir nur einen Teil des Wissens in uns haben und darum andere
Menschen – und auch Gott – uns Wichtiges zu sagen haben. «Meine Erkenntnis ist
Stückwerk», sagte ein sehr gescheiter Mann namens Paulus vor 2'000 Jahren. Und
ein Kollege von ihm namens Jakobus sagte: «Wahre Weisheit … lässt sich etwas
sagen.»
Man kann ohne Übertreibung sagen: «Die wahrhaft wichtigen Dinge im
Leben müssen uns gesagt werden.» Das hat der Schöpfer bewusst so eingerichtet.
Natürlich muss und kann ich nicht auf die Millionen von Stimmungen und
Meinungen hören, geschweige denn auf sie eingehen. Aber auf Menschen, die uns lieben,
sollten wir hören. Auch wenn sie uns heraus-fordern – heraus aus unserem
Schneckenhaus nämlich. Und vor allem auf einen Gott, der uns liebt, sollten wir
hören. Vielleicht wird sein Wort etwas ganz tief in Ihnen anklingen lassen (was
schon da war), vielleicht sagt er Ihnen aber auch Neues, das Sie hören müssen,
um heil zu werden. «Meta-noia», inneres Umdenken nennt Jesus das – und erklärt,
dass diese Haltung der entscheidende Schlüssel ist, Gottes Wirklichkeit zu
erleben (Markus, Kapitel 1, Vers 15).
Verabschieden Sie sich von dieser Lüge, die Ihre Persönlichkeit nur
scheinbar aufbaut, Sie in Wirklichkeit gnadenlos überfordert – Sie haben nicht
alle Kraft und alle Lösungen in sich. Welche Befreiung, sich nicht ständig
selbst vervollkommnen zu müssen! Sie dürfen offen und neugierig von anderen
lernen und vor allem von Gott abhängig werden, statt von Ihren eigenen Reserven
zu zehren.