«Alte, weisse Männer» scheinen ein neues
gesellschaftliches Feindbild zu sein. Aber was ist, wenn ich selbst dazugehöre?
Und mich gar nicht so furchtbar finde? Wenn ich zwar das ein oder andere
Problem habe, aber deswegen doch kein Fall für die Seelsorge bin? Wenn ich
einfach nur 60 bin – oder etwas älter? Dann ist «Mann! Bin ich jetzt alt?!» von Andreas Malessa eine super Lektüre.
Bisher galt: Wenn ein Verleger ein Zeitschriftenprojekt
in den Sand setzen möchte, nennt er es konservativ «Senior» oder progressiv «55
plus» und richtet sich damit freudestrahlend an die sogenannten «Best Ager».
Sie werden es ihm danken – und die Zeitschrift nie im Leben kaufen. So sind sie… So sind wir… So bin ich. Aber jetzt hat Andreas Malessa ein Buch für diese
Zielgruppe geschrieben. Und wenn der 66-jährige Autor und Journalist solch ein
Thema anpackt, dann gibt es Grund zum Hoffen. Was ist dran an «Mann! Bin ich
jetzt alt?!»?
Es ist schwierig…
Das Wichtigste vorab: Dieses Buch ist weder
ein Selbstoptimierungsratgeber noch ein verlängertes Sprachrohr der Ehefrauen: «Siehst
du, ich habe dir gesagt, du solltest dich mehr bewegen…» Stattdessen ist es
eine hochspannende Bestandsaufnahme, die schon im Klappentext so angekündigt
wird: «Rund 40 Millionen Deutsche sind männlich. Am 31. Dezember 2019 waren 26,2 Prozent
von ihnen älter als 60. Alle Nicht-Mächtigen, Nicht-Reichen und Nicht-Notgeilen
unter ihnen – was brauchen die jetzt?»
Andreas Malessa zeigt darin die typisch männlichen
Spannungsfelder für Ältere: Das gesellschaftliche Bild sieht sie fit, aktiv und
gesellig «Möbel restaurieren, Tango tanzen lernen, Malkurse besuchen,
Halbmarathon laufen, Berge erklimmen und Weltmeere durchkreuzfahren», während
neben diesen Erfolgsstorys «Salben gegen Gelenkschmerzen, Tabletten gegen
Harndrang, Treppenlifte für Gehbehinderte» angeboten werden. Wie geht man(n)
mit diesen Widersprüchen um? Mit dem Alter, der neu gewonnen Zeit und dem
knapperen Geld? Und wie gelingt das in Würde?
Informativ und lustig
Malessas neustes Buch: Mann! Bin ich jetzt alt?!
Malessa erzählt nie, wie man sein könnte oder sollte.
Stattdessen begegnet er Männern quer durch die gesellschaftlichen Schichten. Er
spricht mit Jürgen, der Pfandflaschen sammelt, «obwohl, ick müsste ja nich»,
mit Josef, dem Oberstudienrat im Ruhestand, der sich jetzt vollzeitlich empört,
mit Karl, der sich von Gott gehalten weiss, obwohl in seinem Leben vieles
anders lief als geplant, und mit Giselher, dem ehemaligen Bordellbesitzer, der
Alte (Männer und Frauen!) als Kunden hatte. Es sind besondere Typen, die der
Journalist portraitiert. Und ihre Lebensgeschichten reichert er mit gut
recherchierten Zahlen und Fakten an, die sich nie in den Vordergrund drängen,
aber zeigen, dass Karl und Co keine Einzelschicksale sind. Bei aller Tiefe
fehlt diesen Begegnungen nie ein freundliches Augenzwinkern. Das tut den
Männern im Buch genauso gut wie den Lesern. Im Kampf um ihre Würde sitzen sie
im selben Boot.
Zu guter Letzt spricht Malessa die beiden grossen
Tabubereiche älterer Männer an: Sex und Religion. Er nimmt kein Blatt vor den
Mund und schafft es doch, konstruktive Gedanken ohne Peinlichkeiten
weiterzugeben. Die entsprechenden Abschnitte lesen sich, als ob sie einfach so
sein müssten. Wer sich allerdings schon durch verschwurbelte Fehlversuche
anderer Autoren gekämpft hat, wird diese Klarheit zu schätzen wissen. Übrigens:
Man muss kein Christ sein, um dieses Buch mit Genuss und Gewinn zu lesen.
Empfehlenswert
Die meisten Männerbücher – deswegen lesen Männer sie
auch so ungern – sind eigentlich für Frauen geschrieben. Dieses nicht. Obwohl
es gerade deshalb auch für Frauen hilfreich sein kann.
Die journalistische Herangehensweise an die einzelnen
Lebensgeschichten und Themen des Älterwerdens schafft gleichzeitig Distanz und
Nähe. Beim Lesen fühle ich mich nicht vereinnahmt, sondern verstanden. Ich
werde in keine Schublade gesteckt und merke trotzdem: Ich bin mit meinen Fragen
und meinem Erleben nicht allein. Das Buch überzeugt durch Ehrlichkeit, Respekt und
einen humorvollen Blick auf die kleinen Schwächen des Alltags.
Andreas Malessa schliesst seine Einleitung mit dem
Wunsch: «Und wenn Sie am Ende Befürworter geworden sind, Ihres Alters und Ihrer
Lebenslage, würde es mich freuen.» Ich denke, er hat Grund zur Freude: Genau
das bewirkt sein Buch bei mir – und wahrscheinlich noch vielen anderen Männern.