Vor 150 Jahren

Geistlicher bei Matterhorn-Erstbesteigung abgestürzt

«Wir steigen auf das Matterhorn – mal von hinten mal von vorn!», so lautet ein fröhlicher Gassenhauer. Gar nicht lustig war das, was sich bei der Erstbesteigung des Alpengipfels vor 150 Jahren abspielte. Im «Matterhorn Museum» von Zermatt liegt es wie eine Reliquie unter Glas und auf rotem Samt gebettet: Jenes dünne Seil, an dem das Leben von vier Menschen hing – und das im entscheidenden Moment nicht hielt, was es versprach.
Das Zermatt Matterhorn
Der Seilriss bei der Erstbesteigung des Matterhorns gemäss Gustav Doré (Bildausschnitt)

Das Unglück ereignete sich am Matterhorn vor 150 Jahren, am 14. Juli 1865. Es machte den 4'478 Meter hohen Gipfel an der schweizerisch-italienischen Grenze sowie Zermatt, das Dorf zu seinen Füssen, zu einer Pilgerstätte für Bergsteiger.
Zusammen mit dem Briten Edward Whymper sowie Bergführer Peter Taugwalder und dessen Sohn standen Taugwalders französischer Kollege Michel Croz, Whympers Landsleute Lord Francis Douglas, Robert Hadow und Charles Hudson ganz oben auf der markanten Felspyramide – als erste Menschen überhaupt.

«Ich sehe es jede Nacht»

Der ehrgeizige Whymper hatte die Gruppe bei dem Gipfelsturm angeführt; gemeinsam verspotteten sie die italienischen Kletterer um Jean-Antoine Carrell, denen sie mit ihrer Parforce-Tour knapp zuvorgekommen waren. Beim Abstieg passierte es: Der junge Robert Hadow, wenig erfahren im Hochgebirge, strauchelte, stürzte auf den vorangehenden Croz, und riss ihn mitsamt Douglas und Hudson in den Tod.

Whymper sollte diesen Moment nie vergessen: «In jeder Nacht, verstehst du, sehe ich meine Kameraden vom Matterhorn auf ihren Rücken rutschend, ihre Arme ausgestreckt, einer nach dem anderen, in perfekter Anordnung mit gleichen Abständen – Croz der Führer zuerst, dann Hadow, dann Hudson und zuletzt Douglas. Ja, ich werde sie immer sehen…» Dem Emporkömmling aus England, der später seinen Begleitern wenig gentlemanlike die Schuld für das Unglück in die Schuhe schob, nutzte es wenig, dass die Welt ihrerseits nur noch ihn als Matterhorn-Bezwinger sah.

Ein Mann Gottes mit sportlichen Ambitionen

Dabei verrät ein Blick auf Whympers Mitstreiter einiges über den Bergsport jener Tage, den damals vor allem die Briten nach vorne brachten. Mit dem anglikanischen Geistlichen Charles Hudson wagte sogar ein Mann Gottes den Aufstieg in himmlische Sphären – was ihn übrigens auf Seiten der italienischen Konkurrenz mit dem katholischen Priester Ame Gorret verband. Hudson jedenfalls, so verrät es das «Oxford Dictionary of National Biography», war schon in früher Jugend ein ebenso zäher wie verwegener Sportsmann. In «gewöhnlichen Schuhen» sprang er angeblich 6,70 Meter weit; mit 24 absolvierte er bei seinem zweiten Winterurlaub in Genf einen 24-Stunden-Gewaltmarsch von 138 Kilometern.

Als Militärgeistlicher nahm Hudson am Krimkrieg teil. Nach dem Fall von Sewastopol durchquerte er 1855 Armenien mit dem Ansinnen, den biblischen Berg Ararat zu erklimmen. Das Vorhaben scheiterte, aber der Priester fühlte sich fortan zu Höherem berufen. Als einer der fähigsten Bergsteiger seiner Generation wurde Hudson 1859 in den kurz zuvor gegründeten britischen Alpine Club gewählt, den weltweit ältesten Zusammenschluss dieser Art.

«Eine grosse viktorianische Tragödie»

Wann immer es die Zeit erlaubte, ging der Geistliche ins Gebirge – auch nach seiner Hochzeit mit Emily Antoinette Mylne im Juni 1862. Drei Jahre später dann der Sturz in den Abgrund – über 1400 Meter. Hudsons «schrecklich verstümmelte Gebeine», so heisst es, habe man nur noch anhand seines Geldbeutels und eines Briefs an Emily identifizieren können.

Mit der «grossen viktorianischen Tragödie», wie sie Ronald William Clark in seinem Buch «The Day the Rope broke» (»Der Tag, an dem das Seil riss») beschrieb, endete das sogenannte Goldene Zeitalter des Alpinismus mit den Erstbesteigungen der grossen Alpengipfel. Wenn es nach Queen Victoria gegangen wäre, hätten die britischen Bergfans ihre Siebensachen gleich komplett einmotten können. Mit Blick auf den mit Hudson verunglückten Lord Douglas klagte sie, es sei schon zuviel wertvolles blaues Blut am Matterhorn vergossen worden. Die Leiche des Lords ist bis heute nicht aufgetaucht. Hudsons Gebeine liegen seit 1913 in der «Englischen Kirche» von Zermatt.

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Datum: 15.07.2015
Autor: Joachim Heinz
Quelle: kath.ch

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