Mechanische Tiere und zwiespältiger Gott
Natürlich bringt man die Tier-Maschinen von Künstler Christoph Blum aus dem bernischen Grossaffoltern gleich in Verbindung mit dem Überkünstler Tinguely. Es ist sozusagen Tinguely «in schön». Aber damit gibt sich ihr Kreator nicht zufrieden, es soll mehr als nur schön aussehen. Es soll mit Widersprüchen wie Tod und Leben auch irritieren.
«Das Ding kann nichts für sein Schicksal»
So zeigen die «Mechanimals» viel vom Wesen Blums, beispielweise, dass er sich viele Gedanken zum Leben und zum Schicksal macht und sagt: «Das Ding kann nichts für sein Schicksal.» Denn auch die Geschöpfe mit ihrer ganzen Konstruktion seien sehr durchdacht, die einzelnen Teile passen oft millimetergenau aufeinander.
Sie haben auch etwas Verspieltes und geben teilweise sogar Geräusche von sich. Die Herstellung geschieht in ungefähr 50 bis 200 Stunden, wobei Blum häufig die Grundkonstruktion selber herstellt. Viele Bestandteile sammelt er jedoch. Das kann schon mal Monate dauern, bis das passende Zwischen-Stück gefunden ist.
Livenet sah sich die Mechanimals an, tauschte mit Christoph Blum aus und erschrak beim ohrenbetäubenden Geräusch der «Wespe» (siehe Video auf Homepage).
Livenet: Teilen Sie bitte ein
paar Gedanken zur «Heuschrecke» mit uns. Gut erkennbar sind Teile wie Ess-Gabel
oder Flaschen-Deckel, die als Räder dienen.
Christoph Blum: Der
Körper besteht aus zwei Teilen: Das erste ist eine sechzehn Millimeter dicke
und etwa dreissig Zentimeter lange rostige Schraube mit Vierkantkopf, gefunden
auf einer Alp. Das zweite Teil ist der Hinterleib, geschnitzt aus einem Stück
Holz von einem Baum, den der Sturm Lothar 1999 umgeworfen hat. Das Besondere
daran ist, dass die Schraube jetzt keine Schraube mehr ist, sondern zu einem
Körper geworden ist. Dieses Umwandeln eines Gegenstandes war für mich eine
entscheidende Entdeckung.
Wie sah ein Moment göttlicher
Inspiration aus?
Die vielleicht
stärksten visuellen Eindrücke von Bildern, Grafik, Kunstgegenständen und Text-Elementen
habe ich in Träumen. Allesamt recht flüchtige Phänomene. Ich versuche mich zu
trainieren, um sie wahrzunehmen und festzuhalten. Doch bin ich zurückhaltend,
es als göttliche Inspiration einzuordnen. Ist es das?
Auf alle Fälle ereignen sich solche Dinge einfach, ohne mein Zutun.
Was schätzen Sie an Gott?
Das ist
eine schwierige Frage. Denn Gott ist für mich unfassbar, seine Gedanken kann
ich nicht nachvollziehen. Im Alten Testament befiehlt er den Menschen Dinge,
die ich mit einer christlichen Ethik nicht vereinbaren kann. Zum Beispiel
Josua: Er löschte mehrere Städte aus und tötete dabei alle Kinder, Frauen,
Männer und Tiere! Hingegen Jesus von Nazareth schätze ich sehr, vor allem, weil
er sich Menschen zuwendete, die in den etablierten Glaubens- und
Gesellschaftsformen nicht zurechtkamen. Da wird mir warm ums Herz.
Können Sie uns eine speziell
schwierige Situation in Ihrem Glaubensleben erzählen?
Meine Schwester ist im Alter von
neun Jahren an Krebs gestorben. Das hat mich verletzt und langfristig negativ
geprägt. Später, als Erwachsener, war ich über ein Jahr lang arbeitslos. Diese
Ereignisse führten zur Frage, warum Gott das Leid in der Welt zulässt, warum es
Dinge gibt, die eben nicht gut kommen. Es ist die Frage nach der Gerechtigkeit
Gottes – der Theodizee-Frage – auf die es meines und vieler anderen Menschen
Erachtens keine befriedigende Antwort gibt. Warum sollte ich einem solchen Gott
vertrauen?
Was soll Ihre Kunst bewirken?
Wichtig
ist mir das Ansprechen des Sinns für Schönheit. Bei Kindern sollen meine Werke auch Freude auslösen, bei
Erwachsenen zusätzlich auch noch Nachdenklichkeit und vielleicht Staunen.
Letztlich geht es um das Sein, um die Existenz, das Angenommensein trotz
aller Fehler und Unzulänglichkeiten.
Bitte beschreiben Sie uns eine
Begegnung, als jemand speziell von ihrer Kunst berührt und angesprochen wurde.
Erwähnenswert
finde ich zwei Begegnungen mit Kindern. Selber war ich bei diesen Begegnungen
nicht dabei, sie wurden mir erzählt: Ein kleines Mädchen fand Gefallen am
flauschigen Maulwurf mit den Veloritzel-Grabkrallen
und wollte ihn als Stofftier
verwenden. Das andere Kind sah in einem Geschäft den Pelikan, der dort
ausgestellt war. Es durfte mit dem Pelikan spielen und hatte so Freude daran,
dass die Mutter mit dem Kind das Geschäft fast nicht mehr verlassen konnte.
Was bedeutet Ihnen das Wiederverwerten von Weggeworfenem?
Recycling
passt in unsere heutige Zeit mit Müll im Meer, Dreck in der Luft und einem
entfesselten Kapitalismus. Das ist ein Motiv für mich. Das andere ist das
Ver-Werten, das Wert-Geben, eine Identität schaffen mit der Geschichte eines
Gegenstandes.
Zur Person:
Alter: 50
Familie: verheiratet, 4 Kinder
Wohnhaft in: Grossaffoltern
Beruf: Grafiker
Hobby: unter Anderem das Bauen der
Mechanimals, Kochen, essen, ein gutes Glas Wein, Lesen von Fachbüchern über Philosophie, Geschichte,
Kunst, Astrophysik und Romanen
Weitere
Anschauungs-Beispiele:
www.mechanimals.ch
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Datum: 26.07.2019
Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet