Hat Jesus Maria Magdalena geheiratet?

Nachdem Brown Konstantin so dargestellt hat, dass nicht einmal Helena, seine eigene Mutter, ihn wiedererkannt hätte, geht er zu Maria Magdalena über. Sie sei die Hauptanwärterin auf die Rolle der "Frau an der Seite Jesu" gewesen. Brown schreibt:

"Die Kirche (stand) vor der Notwendigkeit, die Welt davon zu überzeugen, dass Jesus der Sohn Gottes und nicht etwa ein sterblicher Prophet war. Aus diesem Grund waren sämtliche weltlichen Aspekte des Lebens Jesu aus den Evangelien gestrichen worden. Doch sehr zum Leidwesen der damaligen Bearbeiter tauchte immer wieder ein Störfaktor in den Evangelien auf, nämlich Maria Magdalena - oder genauer, dass Jesus mit Maria Magdalena verheiratet war … Es handelt sich hier um eine historisch verbürgte Tatsache" (S. 335).

Nüchtern betrachtet hat Jesus überhaupt nicht geheiratet. Seit Jahren gefallen sich jedoch sensationsgierige Wissenschaftler und diejenigen, die ihr Gedankengut in Romanen unters Volk bringen, in der Rolle von Müttern, die versuchen, einen abgöttisch geliebten Sohn zu verheiraten. Wenn es nun aber wenigstens die Spur eines antiken Beweises dafür geben würde, dass Jesus möglicherweise verheiratet war, dann würde ich als Historiker diesen Beweis gegenüber der Tatsache abwägen müssen, dass solche Informationen in keiner einzigen Schriftstelle oder frühkirchlichen Überlieferung zu finden sind. Genau diese Spur gibt es in historischen Quellen jedoch nicht - nicht einmal ein Fünkchen eines Beweises. Doch nehmen wir einmal an, dass man erwarten könnte, solche Behauptungen in den bizarren apokryphen Evangelien des 2. Jahrhunderts zu finden. Dies sind Quellen, die Angehörige des Jesus-Seminars und andere radikale Gruppierungen unter allen Umständen nachträglich aufwerten wollen. Fazit: Selbst dort gibt es keinen Hinweis darauf, dass Jesus je verheiratet war.

Auf Sensationen abzielende Autoren scheren sich jedoch nicht um die Wahrheit, die sich leicht manipulieren lässt. Sie behaupten das Gegenteil. Einer von ihnen brachte als "Beleg" für Jesu Ehe den Tatbestand vor, dass das Verheiratetsein von jüdischen Männern nach der rabbinischen Tradition geradezu erwartet wurde. Dieser "Beweis" spielt auch in Dan Browns Theorie, wonach Jesus verheiratet gewesen sei, eine wichtige Rolle. Dennoch begeht man einen logischen Fehler, wenn man behauptet, dass Jesus kein Single geblieben sein könne, weil der Ehestand für Männer seiner Stellung gewissermassen dazugehörte.

Ausserdem gestatteten die Rabbis Ausnahmen für diejenigen, die unverheiratet bleiben wollten. Dabei gab es ganze Untergruppen im Judentum, die zölibatär lebten, wie z.B. eine Richtung der Essener oder die ägyptischen Therapeuten, die von Philo her bekannt sind. Auch blieben viele der grossen Propheten wie Jeremia oder der in der Wüste lebende Prophet Banus, der Josephus unterwies, unverheiratet. Dazu zählte ebenso Johannes der Täufer. Jesus stand mit dem letztgenannten Gottesmann in Verbindung, als er sich zu Beginn seines irdischen Dienstes in der Wüste aufhielt.

Trotzdem finden wir heute endlose Variationen zu dem Thema "Jesu Ehe mit Maria Magdalena". Darin tauchen natürlich auch ihr Kind bzw. ihre Kinder auf. Nehmen wir z.B. Der Heilige Gral und seine Erben - ein Werk, auf das sich viele der in Sakrileg präsentierten Theorien stützen. Ihm zufolge floh Maria nach Frankreich, während sie von Jesus ein Kind erwartete. Dort brachte sie es zur Welt - ein Mädchen namens Sarah, das zur Stammmutter der Merowinger-Dynastie in Frankreich wurde. Kommen diese Behauptungen aus frühen, originalen Quellen? Wohl kaum, denn diese Version der Familiengeschichte Jesu tauchte erstmalig im 9. Jahrhundert n.Chr. auf!

Brown belässt es diesbezüglich nicht bei seiner übernommenen Theorie von Jesus als Ehemann und Vater, sondern legt mit weiteren bizarren Behauptungen nach:

"Jesus war sozusagen der erste Feminist. Er wollte, dass die Zukunft seiner Kirche in den Händen von Maria Magdalena liegt. … Sie stammte aus dem Hause Benjamin … von königlichem Blut" (S. 340-341).

In Wirklichkeit gibt es überhaupt keinen Bericht darüber, welchem jüdischen Stamm Maria angehörte. Auch wird nirgendwo etwas darüber gesagt, dass jemand, der aus dem Stamm Benjamin kam, dadurch von königlichem Blut war. Ausserdem gibt es nichts, was darauf hindeutet, dass Jesus statt der Apostel Maria beauftragte, die Urgemeinde zu führen.

Das Hauptargument für Browns Beweis zugunsten einer Ehe Jesu mit Maria Magdalena geht auf das apokryphe Philippus-Evangelium zurück. In einer entsprechenden Stelle heisst es angeblich, dass Jesus Maria als seine "Gefährtin" küsst. Dies bedeutet nach Brown "im Aramäischen" "Gattin oder Ehefrau":

"Und die Gefährtin des Erlösers war Maria Magdalena. Christus liebte sie mehr als seine Jünger und küsste sie oft auf den Mund. Die Jünger waren darüber erzürnt und verliehen ihrer Enttäuschung Ausdruck. Sie sprachen zu ihm: ›Warum liebst du sie mehr als uns?‹" (S. 337)

Dieser angeblich hieb- und stichfeste Beweis hält keinerlei Prüfung stand. Wenn Jesus eine Frau gehabt hätte, wäre es undenkbar gewesen, dass seine Jünger sie kritisierten - ungeachtet dessen, wie sehr sie diese Beziehung auch missbilligen mochten. Und Brown leistet sich hier einen weiteren Schnitzer: Das Philippus-Evangelium wurde nicht, wie er behauptete, auf Aramäisch, sondern auf Griechisch geschrieben. Und dieses Philippus-Evangelium ist unter den apokryphen Evangelien sehr spät anzusetzen. Da es nämlich auf das 3. Jahrhundert datiert wird, waren bei seiner Abfassung seit der Zeit Jesu ca. 200 Jahre vergangen. Wissenschaftler verwerfen es als Werk, das keine authentischen, historisch zuverlässigen Erinnerungen (wie etwa die kanonischen Evangelien) enthalte. Es gehöre nicht nur zu den späten gnostisch-apokryphen Schriften, die von der frühchristlichen Kirche verworfen wurden, sondern sei auch apokryph in jenem wörtlichen Sinne, den man dem Begriff heute beilege: "unecht, gefälscht, nachgemacht".

Das Gleiche gilt für das andere Dokument, auf das Brown bei seiner Hypothese vom verheirateten Jesus Bezug nimmt. Es handelt sich um das Evangelium der Maria Magdalena, das ebenfalls zu spät verfasst ist, als dass es glaubwürdig sein könnte. Und selbst wenn diese beiden Schriften authentisch wären, ist in keiner ausdrücklich davon die Rede, dass Jesus tatsächlich verheiratet war. Und dennoch wartet Browns Gestalt Teabing mit einer schamlosen Übertreibung auf: "Ich möchte Sie nicht mit endlosen Verweisen auf die Verbindung von Jesus und Maria Magdalena langweilen" (S. 339). Doch derartige Verweise kann man an einer Hand abzählen: ganze zwei! Beide Werke müssen spät datiert werden, wobei sogar sie nicht explizit von einer "Verbindung" zwischen Jesus und Maria berichten!

Warum gibt es in der gesamten Kirchengeschichte keinerlei Unterlagen über Jesu Ehe? Dan Brown behauptet ganz im Sinne revisionistischer Autoren vor ihm, dass die Kirche dieses Beweismaterial in einem gross angelegten verabredeten Stillschweigen unterdrückt habe. Dies sensibilisiert natürlich allerorts die Freunde von Verschwörungstheorien jenes Schlags, deren Fantasie sich bei UFO-Sichtungen und Invasionen intergalaktischer Ausserirdischer entfaltet und denen die Aktivitäten der Trilateralen Kommission suspekt sind (Anmerkung des Übersetzers: "Trilaterale Kommission" = 1973 auf Betreiben von David Rockefeller gegründete Organisation, die aus 200 ständigen Kommissaren besteht. Sie rekrutieren sich aus allen gesellschaftsrelevanten Schichten der USA, Europas und Japans und besetzen die strategischen Schlüsselpositionen in Staat und Gesellschaft sowie in internationalen Gremien. Die erklärte Absicht der Kommission ist die Neue Weltordnung.). "Was gibt es Schöneres als Verschwörungstheorien?" (S. 233), schreibt Brown bewusst, womit er eindeutig die Meinung vieler wiedergibt. Aus diesem Grund kann er mit der unverschämten Lüge, dass Jesu Ehe "eine historisch verbürgte Tatsache" (S. 335) sei, ungeschoren davonkommen. Die reinen Fakten: Es gibt keine geschichtliche Darstellung dieser angeblichen "Tatsachen", keinen diesbezüglichen Bericht!

Während wir keinerlei Spur eines historischen Beweises dafür haben, dass Jesus je verheiratet war, besitzen wir andererseits überzeugende Beweise dafür, dass das Gegenteil zutrifft. Sogar die radikalsten Revisionisten stimmen mit korrekt arbeitenden Bibelauslegern darin überein, dass die Schriften von Paulus unsere frühesten - und daher glaubwürdigsten - Zeugnisse des christlichen Glaubens bilden. In 1. Korinther 9,5 verteidigte Paulus sein Recht, verheiratet zu sein - ein Vorrecht, das er nie in Anspruch nahm: "Haben wir etwa kein Recht, eine Schwester als Frau mitzunehmen wie die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kephas [Petrus]?" Wenn nun aber Jesus selbst je verheiratet gewesen wäre, hätte Paulus mit Sicherheit diesen Tatbestand als allerwichtigsten Präzedenzfall angeführt. Im Vergleich dazu wäre es gar nicht nötig gewesen, alle anderen untergeordneten Beispiele wie dasjenige des Petrus und der anderen Apostel zu erwähnen. Angesichts von 1. Korinther 9,5 kann man die Fiktion vom verheirateten Jesus fraglos zu Grabe tragen.

Doch was wäre, wenn es tatsächlich irgendeinen handfesten Beweis für Jesu Ehe geben würde? Man kann kaum der Versuchung widerstehen, darüber zu spekulieren, ob Jesu Auftrag für die Welt im Falle seines tatsächlichen Verheiratetseins gefährdet worden wäre. Wer heiratet, bleibt zweifellos im Rahmen einer göttlichen Ordnung und sündigt nicht. Daher stellt sich die Frage: Hätte Christus dies nicht auch tun können? Die Hauptheldin in Sakrileg antwortet beispielsweise auf diese Frage: "Wäre mir egal" (S. 339) - eine Antwort, der viele Leser zustimmen könnten. Doch warum gehen zwei Menschen eine Ehe ein? Unter anderem deshalb, weil sie Kinder haben wollen. Und genau hier wäre ein ungeheuere - sogar kosmische Dimensionen erreichendes - Problem entstanden, wenn Jesus mit Maria Magdalena tatsächlich Nachkommen gezeugt hätte. Theologen wären jahrhundertelang darüber uneins gewesen, ob solche Kinder Anteil an Jesu Göttlichkeit gehabt hätten oder nicht. Und wie wäre es wiederum bei deren Kindern und Enkelkindern gewesen? Es hätte ein grosses theologisches Durcheinander gegeben. Dass Christus ehelos blieb, war tatsächlich äusserst klug!

Autor: Paul L. Maier
Quelle: Dan Browns Sakrileg, Hank Hanegraaff & Paul L. Maier, CLV , ISBN 3-89397-553-5

Datum: 06.03.2006
Quelle: Fossilien: Stumme Zeugen der Vergangenheit

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