Wer waren die Gnostiker?

Für die Gnostiker war Jesus nur scheinbar ein Mensch.

In den ersten Jahrhunderten nach Christus war der Gnostizismus im Mittelmeerraum eine vielschichtige, schwer fassbare geistige Bewegung. Der bekannte britische Theologe und Buchautor Nicky Gumbel vergleicht sie mit der New Age-Bewegung heute, da sie in Zirkeln lebte, ein besonderes esoterisches Bewusstsein vermittelte, keine zentrale Leitung aufwies und sich aus verschiedensten Strömungen speiste.

Gumbel schreibt: „Es gab zahllose Spielarten der Gnosis, aber im Kern handelte es sich um einen radikalen Dualismus zwischen dem Geistigen und dem Materiellen. Die materielle Welt galt als schlecht. Von dem unerkennbaren „höchsten Wesen“ ging eine Folge von Emanationen (Hervorbringungen) oder „Äonen“ aus – hohe Geistwesen, die mit dem „höchsten Wesen“ in Kontakt treten konnten. Einer der niedrigen „Äonen“, der nicht in unmittelbarem Kontakt mit dem „höchsten Wesen“ stand, war für die Erschaffung der Welt verantwortlich. Die Schöpfung war daher, wenn nicht eindeutig schlecht, dann doch zumindest wenig gelungen und ohne Erkenntnis – eine Sphäre, aus der die Menschheit sich lösen musste.

Der einzige Ausweg war „Gnosis“ – das geheime Wissen über den wahren Gott. Unter Erlösung verstand man die Überwindung der Unwissenheit durch Selbsterkenntnis. Christus hatte in diesem System die Funktion, als Abgesandter des höchsten Gottes aufzutreten und die „Gnosis“ zu bringen. Da er ein göttliches Wesen war, nahm er weder einen echten menschlichen Körper an noch starb er. Entweder war er nur für eine begrenzte Zeit in einen menschlichen Körper – Jesus – eingegangen oder er hatte lediglich eine täuschende menschliche Erscheinung angenommen.

Die Gnosis neigte zum so genannten Doketismus. „Doketismus“ kommt von dem griechischen Wort dokein, was „scheinen“ bedeutet. Als Doketismus bezeichnet man die Lehre, die die Menschlichkeit und das Leiden des irdischen Christus als blossen Schein und nicht als Realität ansieht, das heisst, Jesus schien bloss ein menschliches Wesen zu sein. Das ist eine Irrlehre, die schon im Neuen Testament selbst angegriffen wird (siehe 1. Johannes 4,1–3; 2. Johannes 7 und Kolosser 2,8 ff.). Obwohl diese Lehre also schon in neutestamentlicher Zeit auftaucht, erreichte sie ihren Höhepunkt erst in der folgenden Generation, vor allem unter den Gnos­tikern.“

Die christlichen Denker jener Zeit, die gegen die Gnosis kämpften, betonten ihre heidnischen Züge. Sie „bestanden darauf, dass der Schöpfergott kein anderer ist als der höchste Gott, darauf, dass die materielle Schöpfung gut ist, darauf, dass Jesus wirklich auf der Erde gelebt hat, und ganz besonders auf seiner Kreuzigung und Auferstehung. Sie erklären, dass der Mensch vom Bösen erlöst werden muss und nicht bloss aus einer bösen Umwelt.“

Quelle: Nicky Gumbel: Das Sakrileg unter der Lupe
Antworten auf Dan Browns Theorien, Asslar, 20062

Datum: 01.05.2005

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