Ich glaub ich spinne! - Spider-Man schlägt alle Rekorde

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Sam Raimi
Peter Parker/Spider-Man

Es gab mal eine Zeit, da waren sie hundertzwanzig Kilo schwer, zwei Meter hoch, einen Meter breit. In ihren Händen Raketenwerfer, Handgranaten und Maschinengewehre. An ihrer Seite eine dümmliche, dafür vollbusige junge Frau. Muskelbepackt, kaltblütig, wagemutig und unsterblich. Die Helden der 80er und 90er Jahre.

Diese Zeit ist vorbei. Der Held des neuen Jahrtausends stellt sich so vor: „Wenn dir jemand erzählt, ich sei ein ganz normaler Typ, völlig sorgenfrei, dann lügt er.“

Sam Raimi erkannte, dass das Publikum nicht mehr länger zu Terminator und Rambo aufsehen mochte, dass es genug hatte von Batman und Superman. Zu oft wurde der Wunschtraum, selber in die Rolle des Helden zu schlüpfen mit der Erkenntnis beendet, wie weit doch die Realität vom Erträumten entfernt ist. Raimi macht seinen Kinohelden menschlicher, natürlicher und holt ihn so deutlich näher zum Zuschauer.

Peter Parker ist ein schmächtiger junger Mann. Ein Versager. Einer von denen, die täglich den Schulbus verpassen, von den Mitschülern geplagt werden und bei den Mädchen nicht den Hauch einer Chance haben. Er ist ein Mensch, mit welchem viele von uns etwas gemeinsam haben.

Die Rolle eben dieses Menschen mit Tobey Maguire zu besetzen ist wohl einer der wichtigsten Pfeiler des Erfolges, welcher „Spider-Man“ momentan widerfährt. Zurecht bestand Regisseur Raimi darauf, Maguire die Rolle zu geben, obwohl mit Leonardo DiCaprio, Jude Law und Fredie Prinze Jr. weitaus bekanntere Interessenten vorhanden waren, noch dazu solche, die man sich viel besser in einem Actionfilm wie „Spider-Man“ vorstellen kann. Die Erwartungen an Maguire waren also hoch, und der zierliche 27-Jährige scheute keinen Aufwand ihnen gerecht zu werden. Er brilliert als scheuer Streber, verkauft seinen Persönlichkeitswandel genial und überzeugt als mutiger Spinnenmann.

Nachdem Peter Parker nämlich von einer gentechnisch veränderten Spinne gebissen worden ist, nimmt er deren Eigenschaften an. Seine Bewegungen werden weich, geschickt und unglaublich flink, seine Sinne können Gefahr wittern, sein Körper klettert dank winzigen Widerhacken an den Extremitäten glatte Glasfassaden empor und aus seinem Handgelenk schiessen weisse Spinnenfäden. Rasch lernt er, mit seinen neuen Fähigkeiten umzugehen und will als erstes daraus Geld machen. Zu diesem Zeitpunkt spricht sein Onkel, von welchem Peter erzogen wird, den Satz des Kinojahres: „Grosse Macht bringt grosse Verantwortung mit sich.“ Als der Onkel wenige Stunden darauf einem Raubmord zum Opfer fällt, entscheidet Peter, seine Fähigkeiten in den Dienst der Verbrechensbekämpfung zu stellen. Schnell wird der mysteriöse Unbekannte zum Schutzpatron New Yorks.

Höchste Zeit, über die Regeln eines Heldenepos zu sprechen: Regel Nummer eins: Jeder Held hat einen würdigen Gegenspieler. Im Falle von Spider-Man ist das der von Willem Dafoe hervorragend verkörperte Norman Osborn. Durch ein gewagtes Experiment bekommt dieser übermenschliche Kräfte, verfällt aber leider auch dem Wahnsinn. Mittels eines gestohlenen Gleiters wird er zum fliegenden Schrecken der Stadt. Nur Spider-Man kann ihn aufhalten.

So einfach ist das aber nicht, denn spätestens jetzt kommt Regel Nummer zwei zum Zug: Jeder Held führt ein Doppelleben, wobei er im Alltag von seiner Traumfrau nur als Freund behandelt, als Held aber von ihr geliebt wird. Um so verständlicher ist das Problem, wenn Kirsten Dunst als Mary Jane die weibliche Rolle innehat. Zu allem Überdruss ist sie auch noch die Freundin von Peters Zimmerkumpan, seinem besten Freund Harry (James Franco). Und um die Verstrickung zu vollenden, ist dessen Vater wiederum niemand anderes als Norman Osborn.

Spider-Man beendet also endgültig die Geschichte der stupiden Heldenepen. Zwar ist auch hier klar, wer im Kampf schlussendlich Sieger sein wird, aber dank der geschickt eingewobenen Nebengeschichten kann sich der Zuschauer das Ende nicht schon nach der Pause ausdenken. Tut er es doch, wird er überrascht sein, soviel will ich verraten. Noch nie zuvor ist es gelungen, eine phantastische Heldengestalt, noch dazu aus einem Comic, dem Publikum so sympathisch zu machen. Die Zuschauerrekorde sprechen für sich.

Datum: 15.06.2002
Autor: Silvio Krauss
Quelle: youthmag.ch

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