Hippe Autoren und alte Wege zu einem erfüllten Liebesleben
Die Autoren Tobias Teichen (links) und Christian Rossmanith (Bild: Instagram / Instantane)
Tobias Teichen ist Pastor der ICF München. Zusammen
mit Christian Rossmanith hat er ein Buch für junge Menschen und deren
verantwortlichen Umgang mit Sexualität verfasst: «Love Sex God. Der etwas
andere Weg». Wie zeitgemäss, biblisch und hilfreich ist der Ratgeber geworden?
Ratgeber zum Thema Sex gibt es wie Sand am Meer – und
gleichzeitig gibt es viel zu wenig davon. Jedenfalls zu wenig gute. Bücher,
die ehrlich und gleichzeitig herausfordernd sind. Zeitgemäss und in einem
gesunden Gottesbild geerdet. Heilsam, ermutigend, informativ und praktikabel
sollten sie sein. Okay, das ist ein hoher Anspruch. Aber in der Regel liegt der
Anspruch von christlichen Autorinnen und Autoren an ihr Zielpublikum sogar noch
höher.
Was hat «Love Sex God» zu bieten? Lohnen sich die 176
Seiten? Und wenn ja, für wen?
Optik und Inhalt
Das Buch richtet sich an junge Menschen um die 18 Jahre.
Es arbeitet mit Bildern und Farben. Vertiefungstexte sind an den Schluss
ausgegliedert. Die Abschnitte sind kurz, die Sprache ist ICF-typisch
«denglisch»-locker, «Reminder» und «Actionsteps» in Boxen runden die Texte ab.
Damit ist das Buch zwar leicht lesbar, behält aber das Flair eines Schulbuchs.
Die inhaltliche Aufmachung als Dialog zwischen «Senior-Bro-Pastor» Teichen und
Christian Rossmanith bereichert das Lesen deutlich. Allerdings hätte ein wenig
mehr Spannung zwischen den beiden dem Buch gutgetan. So schliessen sie sich meistens
mit einem freundlichen «ganz meiner Meinung» an den Vorredner an.
Pro
Es ist wohltuend, ein christliches Buch zum Thema Sex
aufzuschlagen, das Dinge beim Namen nennt, ohne derb zu werden. Der Orgasmus
wird auch so genannt, und das Hohelied mit seinen erotisch-lyrischen Versen
wird nicht vergeistlicht. Zwischendrin macht sich manchmal der Gedanke breit:
So offen sollten auch Predigten zum Thema sein – und genau das waren sie in der
ICF wohl auch, denn die Buchinhalte bildeten den Rahmen der Predigtreihe «Let's talk about sex, baby».
Die Autoren packen das Thema Nummer eins in einer
offenen und kommunikativen Art an: Sie regen dazu an, mit anderen über Fragen
zu sprechen, sich unterstützende Menschen an die Seite zu holen und nicht
zuletzt betonen sie mehrfach: «Lass Gott an deine Fragestellungen heran.» Und
sie fordern deutlich heraus, auch dann auf ihn zu hören, wenn seine Aussagen
nicht mit den eigenen Vorerwartungen übereinstimmen.
Auch die Ehrlichkeit der beiden Männer überzeugt. Sie
malen keine Heiligenbilder von sich selbst, sondern zeigen sich auch in ihren
Schwächen und ihrem Versagen.
Contra
Am Anfang des Buchs schreibt Tobias Teichen: «Mit dem
Wissen von heute hätte ich damals aber einen anderen Weg gewählt.» Das sagt er
als Kind christlicher Eltern und hinterlässt damit die Frage, ob Wissen bei
Thema Sex wirklich alles ist. Denn zusammen mit seinem Co-Autor bringt er
nichts Neues. Er spricht von Bindung durch Sexualität, von Reinheit und dem
verantwortlichen Umgang mit der Kraft des Geschlechtstriebs. So bleibt bei
manchen Aussagen ein schaler Nachgeschmack. Sie klingen nach: «Ich hab's nicht
geschafft, aber du solltest das hinbekommen…»
Das Buch ist auch von unnötigen Einseitigkeiten
geprägt. Das beginnt damit, dass es sich fast ausschliesslich an junge Männer
richtet. Frauen kommen im ganzen Buch nur in Nebensätzen vor. Wenn das aussen
draufstände, wäre es zumindest transparent und man könnte auf das Buch von Frau
Teichen und ihrer Freundin warten, aber so wird ein zentrales menschliches
Thema auf eine Art und Weise besprochen, die 50 Prozent der Leserschaft
ausschliesst.
Auch das Herangehen bleibt sehr schwarz-weiss. Das
einzige beschriebene Gegenbild zum Warten mit Sex bis zur Ehe ist das völlig
unkontrollierte und egoistische Ausleben mit vielen Partnerinnen. Doch
dazwischen gibt es noch sehr viel mehr… Natürlich möchten Teichen und
Rossmanith ihre völlig legitime Haltung zu Sexualität weitergeben, doch sie
wird nicht schlüssiger, wenn sie Widersprüche dazu nur als Karikatur
darstellen.
Ähnliches gilt für die «missing links». Am Ende des
Buchs ist eine relativ umfangreiche Fussnotensammlung mit Links zum Beispiel zu
Timothy Keller, von dem die Autoren stark profitiert haben. Wenn sie mit
mündigen Leserinnen und Lesern rechnen würden, könnten die Autoren allerdings
auch Gegenpositionen mit aufnehmen – zum Beispiel die von Rolf Krüger, der in
seinem intelligent-provokativen Blogbeitrag «Sex vor der Ehe? Ja, bitte!» manches aus einer
anderen, ebenfalls christlichen Warte, betrachtet. Oder sie könnten Artikel,
die explizit im Buch genannt werden, wenigstens verlinken. «Monogamie. Die grosse Lüge» ist ein Text aus
der ZEIT. Man muss nicht mit der Autorin übereinstimmen, aber wenn sie auf
Seite 46 kritisiert wird, möchten manche Lesende das vielleicht genauso
nachvollziehen wie Kellers Predigten.
Fazit
Wer seine konservativ-christliche Sicht zu Sex vor und
in der Ehe bestätigt sehen will, der findet dies in lockerer Sprache in «Love
Sex God». Eine tiefere Auseinandersetzung, die auch andere Positionen und
Ausgangssituationen ernst nimmt, wäre auch im Rahmen des dünnen Buchs möglich
gewesen, war aber leider nicht gewollt. So bleibt es bei einem mittelmässigen
Neuaufguss des Themas.
Symptomatisch für die zeitliche Verortung des Inhalts
ist dabei das Beispiel aus Jane Austens «Stolz und Vorurteil» (Seite 85). Ist
dies wirklich das Musterbeispiel für einen achtungsvollen Umgang miteinander –
oder vielmehr die Glorifizierung eines Verhaltens aus dem frühen 19.
Jahrhundert, das durchaus auch seine negativen Schlagseiten hat?