Bühne frei für den Verräter

Ben Becker spielt «Ich, Judas»

Momentan spielt Schauspieler Ben Becker im Berliner Dom den Judas. Die Aufführung nach einer Rede von Walter Jens will den «Verräter» dabei in ein neues Licht stellen.
Ben Becker

Ben Becker (50) machte bereits vor einigen Jahren von sich reden, als er mit seinem Programm «Die Bibel» durch Deutschland tourte (Livenet berichtete). Nun hat er sich Walter Jens' Verteidigungsrede des Judas Ischariot und Texte von Amos Oz ausgesucht. Wortgewaltig und provozierend verkörpert er darin den Judas.

«Ich habe dich nicht verraten»

Mit einem lauten Schrei endet das Stück im Berliner Dom. «Nein», ruft Becker als Judas, «nein, ich habe dich nicht verraten!» Begleitet von der Orgel im Dom, die mal drohende Töne, mal Bach intoniert, verteidigt er sich in einem Monolog gegen den Vorwurf, den Herrn verraten zu haben. Nach der Logik des 2013 verstorbenen Literaturhistorikers Walter Jens unterstreicht er: «Judas ist ohne Jesus nichts» und ergänzt: «Ohne Judas ist Jesus nichts». Hat sich das Christentum im Fall von Judas ein Fehlurteil erlaubt? Jesus hätte doch ohne Judas gar nicht zum Erlöser werden können… Gedanken wie diese nimmt das Stück auf und stellt sie in grosser Dramatik seinem Publikum.

Pathos und Intensität

Laut Becker achtet John von Düffel, der das Stück inszeniert, darauf, «dass ich mich nicht im Pathos verrenne». Dabei trägt der Schauspieler allerdings gewohnt dick auf. «Ich, Judas» ist kein Stück der leisen Töne und zweifelnden Fragen. Bettina Markmeyer (epd) beschreibt Beckers Auftritt folgendermassen: «Barfuss, im langen weissen Mantel in die Farbe der Unschuld gekleidet, steht Becker auf dem Abendmahlstisch, der quer und als schiefe Ebene im Altarraum des Doms aufgebaut ist, und verlangt, 'dass mein Schuldspruch aufgehoben wird'… Durch Beckers Sprechkunst und Stimme erhalten die Texte von Walter Jens und Amoz Oz eine Intensität, die Schrecken und Abgründe der Judas-Geschichte offenbar werden lassen.»

Trotz der grossen Intensität und Betroffenheit bleiben allerdings Fragen offen: Warum wird Judas, anders als in der Bibel, als engster Freund und Vertrauter Jesu dargestellt? Warum wird seine Verurteilung in einen Topf mit Judenverfolgung und Holocaust geworfen? So bleibt am Schluss der Eindruck hängen, dass hier nach viel falscher Polemik gegen Judas eine genauso falsche Polemik für ihn betrieben wird.

Die Faszination des Bösen

Zu seiner Rolle als Judas befragt, gibt Becker selbst unumwunden zu, dass vom Bösen einfach eine grosse Faszination für ihn ausgeht. Laut Berliner Tagesspiegel sei dies auch seiner 15-jährigen Tochter aufgefallen: «'Die sagt immer zu mir: Papa, warum musst du immer den Bösen spielen?' Becker sagt, eine mögliche Antwort wäre: 'Ich kann nichts anderes.'» Auch im Rückblick auf sein Bibel-Programm erklärt der Schauspieler, besonders gläubig im christlichen Sinne sei er jedenfalls auch nach der Auseinandersetzung mit der Bibel nicht geworden.

Wer eine biblisch fundierte Auseinandersetzung mit der Person des Judas erwartet, wird sicher enttäuscht. Wer allerdings verschiedene philosophische Sichtweisen über den Umgang mit Schuld in einer sprachgewaltigen Form erleben will, der kommt bei «Ich, Judas» sicherlich auf seine Kosten.

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Datum: 23.11.2015
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / epd

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