Nach dem reumütigen Verbrecher ist der römische Hauptmann der zweite, der Jesus nach dessen Tod als Messias anerkennt. Festus beschreibt, wie er die Hinrichtung des «Königs der Juden» erlebt hat.
«Ich habe schon viele Menschen sterben gesehen», die leeren Blicke
von Hauptmann Festus irren ziellos über das Gelände. Kurz fixieren seine
Augen auch den Ort der Hinrichtung, dann springen sie davon wieder weg.
«Hart habe ich im römischen Reich gedient. Gegen einfallende,
abenteuerliche Horden im Osten habe ich gekämpft. Damals noch oft an
vorderster Front. Am Ende der Reise, am Ende der Kräfte haben wir uns
manchmal sogar gegen eine Übermacht durchgesetzt. Glauben Sie mir, das
waren wüste Schlachten. Es waren Gemetzel, wie man sie aus den Arenen
kennt.»
Festus nimmt einen tiefen Zug aus seinem Kelch und behält den Wein
ein paar Sekunden im Mund, geradeso als würde er das Nass kauen. Dann
schluckt er den gegorenen Saft hinunter. Wieder schweift sein Augenpaar
über das Gelände.
Lebensodem geraubt
«Oft habe ich den Feind persönlich mit meinem Schwert vernichtend
getroffen. Ich habe dem Feind tief in die Augen geblickt, wenn diese
starr wurden, während das kalte Metall meiner Waffe ihm den Lebensodem
raubte.» Festus Gesicht ist hart und unerbittlich. Bisher hatte er für
den Kaiser gekämpft. Die Befehle stellte er nie in Frage. Er war
aufgestiegen und hatte mit den kaiserlichen Truppen immer wieder
Eroberungskeile in die feindlichen Reihen geschlagen. Land und Gut hatte
er eingenommen. Für den Ruhm Roms.
Verbrecher wurden hingerichtet. Das war nichts Besonderes. Zur
Belustigung des Volkes wurden manche auch im Kolosseum von Löwen
zerfleischt oder aufeinander losgehetzt. Möge der Bessere gewinnen – und
dann ein andermal verlieren.
«Es hätte nie soweit kommen dürfen!»
«Der Aufruhr um diesen Jesus hier im Süden unseres Reichs, in
Jerusalem, spielte für mich keine Rolle. Ich bin hier stationiert, um
die Macht Roms zu sichern und unser Imperium weiter in den Süden
auszudehnen.» Er macht kein Geheimnis daraus, dass Nordägypten bald
nicht mehr der südlichste Teil sein soll. «Das wissen die Bewohner dort
auch und sie fürchten bereits jetzt den Moment, wenn unsere Truppen auch
vor ihren Toren stehen.»
Erst vor wenigen Stunden schloss Jesus von Nazareth seine irdischen
Augen. Wegen der gebieterischen Anordnung von Festus als letzter Akt im
wohl bizarrsten Gerichtsfall der Erdgeschichte – der Richter hat zuletzt
seine Hände im Wasser gewaschen, um damit zu betonen, dass er
unschuldig sei am Tod dieses Mannes.
Natürlich war da dieses tiefverwurzelte Aufbegehren unter den
Pharisäern. Doch letztlich regierten die römischen Statthalter und ihre
Soldaten mit eiserner Hand, ohne Probleme hätte dem Einhalt geboten
werden können. «Jesus begeisterte zwar die Massen, aber eine politische
Gefahr war er nie. Im Gegenteil, er sagte sogar, dass man die Steuern
bezahlen solle. Es hätte nie zu diesem Prozess kommen dürfen.»
Die Erde bebte...
Der Tod von Jesus wurde durch surrealistische Naturgewalten
begleitet. Die Erde bebte. Der Himmel verdunkelte sich. Und der Vorhang
im Tempel zerriss. «Ob es wohl doch der König der Juden war, den wir ans
Kreuz genagelt haben, schoss mir durch den Kopf. Die ganze Szenerie
überforderte mich. Ich sah sogar in die Augen des sterbenden Jesus.» Mit
zittriger Hand führt der Hauptmann den Kelch zum Mund, stellt ihn dann
aber ohne daran zu nippen wieder ab. «Sie waren so rein. So unschuldig.
So voller Liebe. Sie trafen mein Herz.»
Und dann schiessen Tränen in Festus' Augen. «Er sagte: 'Vater, vergib
ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.' Jeder andere Mensch hätte
vor diesem Jesus an dieses Kreuz gehört. Jeder.» Gebrochen rekapituliert
er: «Wir …, nein …, ich … ich habe den Sohn Gottes getötet.»