Ein Platz für Unangepasste

Tina und Daniel Wälchli
Youlife - das Haus

Das Ehepaar Wälchli hat sich ganz der Betreuung von auffälligen Jugendlichen verschrieben: vor einem Jahr eröffneten sie in Gränichen im Kanton Aargau eine betreute Wohngemeinschaft für 12 bis 18-jährige. Anicia Rütti war in ihrem Haus mit dem Namen "Youlife" zu Besuch.

"Es ist schon eine Lebensphilosophie", sagt Daniel Wälchli, als er mir den kleinen Raum zeigt, in dem er und seine Frau die wenigen Gegenstände aufbewahren, die nach der Auflösung ihres eigenen Haushaltes noch übrig geblieben sind. Ein 24-Stunden-Job sei es, sagt auch seine Frau Tina. Ihre Wohnung befindet sich momentan im Youlife selber und ist nur behelfsmässig abgetrennt.

Als das Ehepaar beschloss, sich selbstständig zu machen und eine betreute Wohngemeinschaft für sozial- und verhaltensauffällige Jugendliche zu eröffnen, hatten einige Menschen in ihrem Umfeld Bedenken. "Am Anfang war da schon Stirnrunzeln- so nach dem Motto ,wenn das mal gut kommt'", erzählt Daniel Wälchli. Beide hatten vorher im psychiatrischen Bereich gearbeitet - Tina als Psychiatrie-Schwester, Daniel als psychiatrischer Pfleger. Er ist zusätzlich Alterspfleger und Heimleiter und lässt sich zum Systemtherapeuten ausbilden.

Im Oktober 03 konnten sie die ersten Jugendlichen aufnehmen. "Herrgott, du weisches", pflegten sie schlicht zu beten, wenn es finanziell schwierig wurde, erzählen sie mit einem kleinen Schmunzeln.

Tiere als Integrationsfaktor

Zusammen mit einem Sozialpädagogen und einer Schulnachhilfe betreuen sie im geschützten Milieu des Hauses an der Oberfeldstrasse in Gränichen AG aktuell vier Jugendliche von 14-16 Jahren, die von Sozialdiensten eingewiesen wurden. Hausaufgaben und Proben-Resultate werden protokolliert und kontrolliert, und jeden Tag schätzen die Teenies ihre Leistung in Bezug auf Eigenkreativität, Selbstständigkeit oder Zimmerordnung selbst ein. Neben verschiedenen Ämtlis in und ums Haus können sie sich im Bastelraum betätigen, Billard oder Darts spielen oder Musik machen. Ein wichtiger Integrationsfaktor sind die verschiedenen Tiere, die in der Wohngemeinschaft mitleben - wenn es einem Jugendlichen nicht gut geht, lässt Daniel schon mal die zwei Katzen über Nacht bei ihm. Jede Woche findet neben anderen Gruppenaktivitäten eine Oskarverleihung statt, in der die Person, die Gruppe oder die Leistung der Woche nach einer eingehenden Diskussion mit einer Oskarfigur geehrt wird.

"Sie hat die Fähigkeiten, die ich nicht habe, und umgekehrt", erklärt Daniel Wälchli auf die Frage, wie es sei, als Ehepaar so eng miteinander zu arbeiten und zu wohnen. Beide haben aber das Bedürfnis, wieder mehr Distanz und Rückzugsmöglichkeiten von ihrem Arbeitsort zu gewinnen, und werden deshalb bald aus dem Haus ausziehen. Dadurch werden sie auch zwei Plätze mehr anbieten können, die beide schon besetzt sind, sobald Youlife die Bewilligung des Kantons erhält. Neben der Betreuung der Jugendlichen in der Wohngemeinschaft bieten sie auch Familiencoaching für das direkte Umfeld der Jugendlichen an.

Sie möchte den Jugendlichen helfen, sich wieder in ihr soziales Gefüge einpassen zu können, und ihnen eine echte Liebe vorleben, sagt Tina Wälchli. Es gibt im Alltag des Hauses keine christlichen Rituale, die auch als solche benannt werden - wenn aber jemand ein Gespräch über den Glauben sucht, bieten Wälchlis es an.

"Immer wieder schöne Momente"

Obwohl beide über viel Erfahrung im Psychiatrie-Bereich verfügen und sie deshalb nichts so schnell aus der Ruhe bringt, wie Tina Wälchli lachend erklärt, gab es auch schon Situationen, als sie froh waren, Rückhalt in ihrem Glauben suchen zu können.

Im Gegenzug gebe es mit jedem Jugendlichen immer wieder schöne Momente. Wie zum Beispiel ein 14-jähriger Junge, der am Vorabend per Notaufnahme von seinen verzweifelten Eltern im Youlife platziert wurde, der am nächsten Morgen lächelt und fröhlich mit den Hunden spielt.

Im Verlauf unseres Gesprächs spricht Daniel Wälchli den Punkt an, der trifft, was er und seine Frau mit ihrer intensiven, zu einem grossen Teil diakonischen Arbeit erreichen: "Wir können säen, aber nicht unbedingt ernten."

Datum: 27.09.2004
Quelle: revolution-one.ch

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