Was ist überhaupt noch „normal“?

Zollstock
Pädophil

Von der Norm abweichendes Verhalten wird immer salonfähiger und sprachlich umdefiniert. Dieser Trend setzt sich ungemindert fort, wenn wir den Hinweisen in Anne Hendershotts Buch, “Die Politik der Abweichung” (“The Politics of Deviance), Glauben schenken wollen.

In ihrem Buch vertritt die Soziologieprofessorin an der Universität von San Diego die These: “Das Widerstreben der Soziologen gegen das Eingeständnis, dass man moralische Urteile fällen muss, wenn man ein Thema wie Abweichung bespricht, zeigt, wie weit diese Disziplin von ihren Ursprüngen abgewichen ist.”

Hendershott stellt fest, dass noch bis vor kurzem Soziologen sich mit Fragen der Gesellschaftsordnung und des Gemeinwohls beschäftigten. Bis zu den 1960er Jahren habe es dazu gehört, dass man daran festhielt, dass die Stabilität einer Gesellschaft auf einer sittlichen Ordnung beruht. “Zu diesem Begriff einer sittlichen Ordnung gehört untrennbar eine gemeinsame Vorstellung davon, was eine Abweichung (von der Norm) ist, und die Bereitschaft dazu, festzustellen, wo die Grenzen des rechten Verhaltens sind”, schreibt Hendershott.

“Abweichung” wird umdefiniert

Abweichung als ein Begriff helfe dabei, den Rahmen zu definieren, innerhalb dessen eine Gruppe einen Sinn für ihre eigene kulturelle Identität und Gesellschaftsordnung entwickeln kann. Dies sei kein starrer Prozess, fügt sie hinzu. In der Tat könne die Infragestellung geltender Normen, zum Beispiel, wenn Menschen gesellschaftlich akzeptiertem Rassismus entgegen treten, positiv sein.

Heute werde jedoch “Abweichung” umdefiniert. Vor ungefähr 20 Jahren habe man begonnen, die Kurse über von der Norm abweichendes Verhalten in den akademischen Programmen vieler Soziologiefakultäten zu streichen, und die meisten der heutigen Soziologielehrbücher lehnten es ab, überhaupt irgend ein Verhalten als abweichend zu definieren.

Kultur des “Opferseins”

Der Wandel in der akademischen Welt habe seinerseits die Medien und die Ansichten der Allgemeinheit beeinflusst. Ein Beispiel dafür sei die Art, wie die Drogensucht beurteilt werde. Es sei heute allgemein üblich, Sucht “als einen Zustand zu betrachten, in dem die Konsumenten eines Suchtmittels von einer Krankheit befallen sind, die sie ohne ihre eigene Schuld erworben haben”, schreibt Hendershott dazu.

Die Medien wiederholten in Filmen, Dokumentarberichten und aktuellen Artikeln in Magazinen, dass die Drogensucht eine Krankheit, eine Art Allergie sei und dass die Drogenabhängigkeit eine Antwort darauf sei, wie das Gehirn einer Person auf die betreffende Chemikalie reagiere. Ignoriert werde oft bei dieser Art von Analyse die Verantwortung der Person für den Entschluss, mit dem Drogennehmen anzufangen.

Der nächste Schritt, fährt Hendershott fort, bestehe darin, dass Drogenabhängige dazu übergingen, den Drogenkonsum als ein Menschenrecht einzufordern und zu behaupten, die Regierung sei verpflichtet, das Süchtigsein sicherer zu machen. Daher die Entscheidung in einigen Ländern, Fixerstuben (‚injecting rooms‘) mit sterilen Nadeln zur Verfügung zu stellen-- und auf jeden Versuch, die Abhängigen von ihren Gewohnheiten abzubringen, zu verzichten.

Pädophile nur „Grenzüberschreiter”?

Sodann wendet sich Hendershott dem Thema Pädophilie zu. In derselben Zeit, in der katholische Priester wegen ihrer Missbrauchshandlungen an den Pranger gestellt würden, seien akademische Gruppen eifrig damit beschäftigt, die so genannte “intergenerational intimacy (Generationen übergreifende Intimität) zu propagieren.

Eine Essaysammlung aus dem Jahr 1991, “Generationen übergreifende Intimität zwischen Männern (Male Intergenerational Intimacy): Historische, soziopsychologische und rechtliche Perspektiven”, sei von einer internationalen Gruppe von Gelehrten verfasst worden, von denen viele nicht unbedeutende Lehrstühle inne hätten. In Arbeiten wie diesen würden Pädophile nicht mehr als Menschen mit abnormem Verhalten (deviants) gesehen sondern “Grenzüberschreiter” (border crossers) genannt. Viele der Essays seien bemüht, sexuelle Praktiken Minderjähriger als etwas Normales darzustellen, indem sie eine neutrale Terminologie vorschlügen, mit dem Ziel, die “Voreingenommenheit gegenüber der Pädophilie” zu beseitigen.

Im Jahr 1994 habe die “American Psychiatric Association” (Amerikanische Psychiatrische Vereinigung) ihr “Diagnostisches und Statistisches Handbuch” dahingehend revidiert, dass weder die Pädophilie noch der Kindesmissbrauch in sich notwendigerweise ein Indikator für eine “psychological disorder” (psychische Störung) wäre. Um sich als psychisch gestört zu qualifizieren, müssten die Belästiger sich bei ihren Handlungen “beunruhigt und unbehaglich” bei ihren Handlungen fühlen oder bei ihrer Arbeit oder in ihren gesellschaftlichen Beziehungen “beeinträchtigt” sein.

Später, im Jahr 1998, behauptete eine von der Amerikanischen Psychologischen Vereinigung veröffentlichte Studie, sexueller Missbrauch von Kindern verursache keine emotionale Störungen bei den Opfern und keine aussergewöhnlichen psychischen Probleme im Erwachsenenalter.

Heterosexuelle Beziehungen unter Teenagern seien ebenfalls umdefiniert worden. In dem Buch werden Textbeispiele zitiert, nach denen sexuelle Promiskuität unter Jugendlichen heute als vollkommen normal angesehen werde. Nach dieser Sicht liege das wirkliche Problem bei Programmen, die für Abstinenz eintreten. Befürworter der Promiskuität behaupteten, solche Programme seien es, die zu abweichendem Verhalten und zu Intoleranz beitrügen und dazu, dass versäumt werde, Empfängnisverhütungsmittel zu benutzen, was gefährlich sei.

Selbstmord respektieren?

Ein weiteres Feld für Umdefinierungsversuche sei der Selbstmord. Sich das Leben zu nehmen, schreibt Hendershott, sei zwar traditionell als ein abweichender, unnormaler Akt gesehen worden, weil er das Leben des Menschen abwerte. Euthanasieverfechter versuchten jedoch, die herrschenden Einstellungen zu ändern, indem sie den Selbstmord als eine Sache der freien Entscheidung, “choice,” darstellten und von “dem Recht auf Sterben” sprächen.

Und auf der akademischen Ebene sei es zunehmend üblich, von zwei Arten von Selbstmord zu reden: von solchen Selbstmorden, die verhindert werden müssten, und von “rationalen” Selbstmorden, die respektiert und sogar unterstützt werden sollten. Zu der Zeit, als das Buch geschrieben wurde, habe es im Internet ungefähr 100.000 Web-Sites gegeben, die dem Thema Selbstmord gewidmet waren.


“Gut” und “böse” bleiben auf der Strecke

Die Sprechweise über menschliches Verhalten zu verändern sei Teil einer umfassenderen Kampagne, die das Ziel habe, die Vorstellungen zu verändern, schliesst Hendershott. In der Suizid-Debatte sei die Ersetzung von Begriffen wie “gestört” oder “verrückt” durch “Würde” und “Autonomie” ein wichtiger Schritt. Sie weist besonders darauf hin, dass wir in einem Zeitalter der Experten leben, deren Ansichten so vorgebracht werden, als seien sie glaubwürdiger und vertrauenswürdiger als jene der traditionellen Moral die von der Bibel abgeleitet wurden. Kombiniert damit sei der Einfluss von Kulturrelativisten, welche die Abschaffung der Begriffe “gut” und “böse” fordern.

Aber, warnt Hendershott, eine Gesellschaft, die “sich weigert, von der Norm abweichende Handlungen, die unser gesunder Menschenverstand als destruktiv erkennt, als solche anzuerkennen und zu verbieten, ist eine Gesellschaft, welche die Fähigkeit verloren hat, sich dem Bösen entgegenzustellen, das uns alle zu entmenschlichen vermag.”

Den Massstab verloren

Die Frage des Pilatus lautete: “Was ist Wahrheit?” Jesus schwieg, hatte er doch schon früher die Frage beantwortet: „ Ich bin die Wahrheit!...“. Der Zusammenhang zwischen Wahrheit, dem Guten und der Freiheit wird oft übersehen. Zu oft wird die Wahrheit nicht angenommen und allein der jeder Objektivität beraubten Freiheit wird die Aufgabe zugedacht, autonom entscheiden zu können, was gut und was böse ist. Die Verteidigung objektiver Grundsätze wird oft als intolerant angesehen oder der Vorwurf wird erhoben, die Komplexität der besonderen Situation eines Individuums werde nicht genug berücksichtigt.

Der Umsturz aller Werte führt jedoch ins Chaos. Grenzen festzusetzen für das, was akzeptables Verhalten ist, die das Böse verbieten, ist ein wertvoller Dienst. Wenn eine Gesellschaft keinen Massstab mehr akzeptiert, dann kann im Prinzip jeder auf sein selbstgebasteltes Weltbild pochen. Die Folge: Herkömmliche Gesetze und Ordnungen lösen sich wie Zucker im Wasser auf.

Wir leben in einer Zeit, in der „autoritäre Strukturen“ abgebaut werden (10 Gebote in der Bibel), so verlieren diese Empfehlungen Gottes, ihren normativen Charakter. Was bleibt ist Situationsethik: Die Umstände bestimmen den Wert einer Handlung. Ohne Autorität Gottes bleibt zuletzt nur noch das Chaos der Gefühle und Meinungen übrig.

Quelle: Zenit/Livenet

Datum: 25.10.2003

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