Nichts als Gummi – das Bundesamt überzeugt von der (begrenzten) Wirkung seiner Stop-Aids-Plakate

Eines der Aids-Plakate des Bundesamtes für Gesundheit.
Plakate der Schweizerischen Evangelischen Allianz

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die Aids-Hilfe Schweiz provozieren mit den neusten knallig gelben Plakaten zur Aids-Abwehr einmal mehr wertkonservatie und christliche Kreise. Doch das macht dem verantwortlichen Beamten kein Bauchweh - im Gegenteil.

Roger Staub, Leiter der Sektion Aids des BAG, sagte der Neuen Zürcher Zeitung, man habe diesmal auch einflussreiche Organisationen und Personen angepeilt. Der Grossverteiler Migros wolle nun tatsächlich einem Plakat Folge geben und Präservative - "damit sie nicht vergessen gehen" - an sechs Orten neben der Kasse anbieten.

Die Kampagne werde "extrem gut akzeptiert", vor allem von jungen, sexuell aktiven Menschen, sagte Staub. Zu den Kritikern gehörten die Schweizer Bischöfe. Sie ärgerten sich über den Spruch "Grüss Gott, Herr Pfarrer, wenn Rom es schon nicht gerne hört, dass Sie über Verhütung sprechen, reden Sie doch über Präservative". Das Bundesamt habe "das Plakat nach einem intensiven Gespräch zurückgezogen".

Treue beim BAG kein Thema, aber Botschaften in 18 Sprachen

Die Schweizerische Evangelische Allianz SEA (die keine staatlichen Mittel hat) reagierte anders: Sie liess 120 Plakate mit dem Satz "Liebes Bundesamt, Treue ist der beste Gummi" auf rosa Hintergrund aufhängen. Laut Staub hätte das BAG gern mit dem Spruch geantwortet (tat es aber doch nicht): "Liebe Kirchen, zum Glück hält der Gummi, was man sich von der Treue versprochen hat".

Für Staub muss eine Plakatkampagne "in gewisses Mass von Diskussion, von Betroffenheit, von Ärger auslösen, sonst ist sie nicht gut gemacht". Er erinnert an den (in seiner primitiven Sprache tatsächlich einzigartig eingängigen) Slogan von 1996 "Ohne Dings kein Bums" - und an Heidi vor der Alphütte. Diesmal sei man erneut optisch sehr präsent - und das in 18 verschiedenen Sprachen. Wer in der Schweiz reist, begegnet den Plakaten auch auf Arabisch...

Lustprinzip: Ein Drittel der jungen Schweizer verschmäht Kondome...

Die Wirkung seiner Kampagnen misst das BAG an den jährlichen Präservativ-Verkaufszahlen: Diese seien von 7,6 Millionen Stück im Jahre 1986 auf 18,1 Millionen Stück 2002 gestiegen. Bei Stichproben bejahten die allermeisten Befragten die Notwendigkeit der Stop-Aids-Kampagnen. Und drittens versuche man regelmässig zu eruieren, welcher Anteil der Leute beim Partnerwechsel Präservative brauchen.

Roger Staub findet, das Ergebnis gebe dem BAG Recht: "Diese Zahlen sind von einem tiefen Niveau relativ schnell angestiegen, haben Mitte der 1990er Jahre etwa 65 bis 70 Prozent bei den 18- bis 30-Jährigen und etwas mehr als 50 Prozent bei den 30- bis 45-Jährigen erreicht und sind seither stabil."

Diese ‚Stabilität' bedeutet, dass Zehntausende mit einem neuen Partner ohne Gummi Liebe machen: Sie haben zwar nichts gegen die BAG-Sprüche einzuwenden, aber halten sich gleichwohl nicht daran. Die saloppen Sprüche zur tödlichen Gefahr prallen am Lustprinzip ab. Für Hansjörg Leutwyler von der SEA ist die begrenzte Reichweite der letzten Jahre ein starkes Indiz dafür, dass der Staat ebenso Treue - die ethische Dimension -thematisieren müsste, um zu einem gesunden Verhalten zu motivieren.

...und es stecken sich wieder mehr Personen an

Das BAG verzichtet bisher darauf und muss feststellen (die NZZ bringt es zur Sprache), dass die Neuansteckungen im letzten Jahr um erschreckende 25 Prozent zugenommen haben. Dieser Sprung, vor allem bei schwulen Männern schweizerischer Herkunft und bei Migranten, ist laut Staub auf den irrigen Glauben zurückzuführen, Aids sei nicht mehr tödlich. Gerade in der Schwulenszene hätten wirksame Medikamente die Todesangst "eliminiert". Und man habe sich an die Seuche gewöhnt und sehe sie infolge der Medienberichte vor allem in Afrika grassieren.

Aids - nicht messbares Leid

Das BAG hat heute mit 9,5 Millionen deutlicher weniger Geld zur Verfügung (16 Millionen vor zehn Jahren), sagt der für die Aids-Bekämpfung zuständig Beamte. Bei der Prävention wolle indes man keine Abstriche machen: "Für die Gesellschaft ist es viel billiger, wenn sich der Einzelne vor Aids schützt, als wenn nachher eine Behandlung bezahlt werden muss. Und für den Einzelnen ist es gesünder, sich nicht zu infizieren, als mit HIV und Medikamenten zu leben. Überhaupt nicht messbar ist das Leid, das durch eine Ansteckung entsteht. Eine HIV-Infektion ist auch heute noch immer ein Drama."

"Treue soll wieder zum Thema werden" - Artikel zur SEA-Plakataktion:
www.livenet.ch/www/index.php/D/article/186/8295/
www.livenet.ch/www/index.php/D/article/186/8551/

Datum: 06.09.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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