Multikonfessionelle Schweiz

Schweizer Religionslandschaft im Umbruch

Wohnbevölerkung nach Religion. Dominierende Religion. Bild: BFS
Evangelische Freikirchen und übrige protestantische Gemeinschaften(Wohnbevölkerung nach Religion). Bild: BFS
Keine Zugehörigkeit (Wohnbevölkerung nach Religion). Bild: BFS
Islam (Wohnbevölkerung nach Religion). Bild: BFS
Evangelische Freikirchen und übrige protestantische Gemeinschaften(Wohnbevölkerung nach Religion). Bild: BFS
Römisch-katholisch (Wohnbevölkerung nach Religion). Bild: BFS
Evangelische Freikrichen und übrige protestantische Gemeinschaften, absolut

Die multikonfessionelle Schweiz gehört zu den wenigen Ländern Europas, die in der Volkszählung die Frage zur Religionszugehörigkeit stellen. Die Frage ist alt und geht bereits auf die erste eidgenössische Volkszählung von 1850 zurück. Bis 1900 wurde nur nach den Konfessionen Katholisch, Protestantisch und Israelitisch gefragt. Die "anderen Konfessionen" wurden ab 1860 in einer Restgruppe zusammengefasst. Es wurde damals davon ausgegangen, dass alle Einwohner einer Konfession zugehören. 1900 wurde die Möglichkeit eingeführt, die "anderen Konfessionen" zu präzisieren. 1920 wurden die Christkatholiken erstmals getrennt von den Römisch-Katholiken erfasst und 1960 wurden im Volkszählungsfragebogen die neuen Rubriken "ohne Konfessionszugehörigkeit" und "ohne Angabe" eingeführt.

Durch die Säkularisierung hat die Bedeutung der Konfessionszugehörigkeit abgenommen. Doch gilt sie nach wie vor als wichtiger Indikator für Einstellungen, Werte und das Verständnis des sozialen Wandels. Für die Kirchen und Religionsgemeinschaften der Schweiz sind die Daten der Volkszählung meist die einzige Informationsquelle über Entwicklung und Struktur der Kirchenangehörigen. Durch die Zunahme der in der Schweiz traditionell nur schwach oder nicht vertretenen Religionen hat die Frage nach der Religionszugehörigkeit wieder eine grosse Aktualität erhalten.

41,8 % der Bevölkerung bezeichnen sich in der eidgenössischen Volkszählung 2000 als römischkatholisch, 33,0% als evangelisch-reformiert. Die beiden grossen Landeskirchen haben gegenüber 1990 nicht nur relativ sondern auch absolut an Anhängern verloren. Konstant blieb der Anteil der evangelischen Freikirchen und der übrigen protestantischen Gemeinschaften (2,2%), der
jüdischen Glaubensgemeinschaft (0,2%) und der Christkatholiken (0,2%). Stark zugenommen haben jene Personen, die sich keiner Kirche oder Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen (11,1%) sowie die "neuen Religionsgruppen" (7,1%). Dies zeigen die Auswertungen der Volkszählung 2000
durch das Bundesamt für Statistik (BFS).

Die rückläufige Bedeutung der Landeskirchen der Schweiz hat drei Gründe. Erstens fühlt sich eine zunehmende Zahl von Schweizerinnen und Schweizern keiner bestimmten Kirche oder Religionsgemeinschaft mehr zugehörig. Zweitens kommen die Migrantinnen und Migranten aus Ländern mit anderen religiösen Traditionen. Drittens betrifft die demografische Alterung auch die
Landeskirchen. Die evangelisch-reformierte Bevölkerung der Schweiz ist besonders stark gealtert.

Konfessionslosigkeit als Lebensstil

11,1 % der Wohnbevölkerung bezeichnen sich als keiner bestimmten Kirche oder Religionsgemeinschaft mehr zugehörig, das sind 300'000 mehr als 1990 Anteil: 7,4%). 1970 hatte der Anteil der Konfessionslosen an der Bevölkerung erst 1,1% ausgemacht. Weitaus am niedrigsten ist er bei den Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren (im Alter der Firmung bzw. Konfirmation) sowie im Alter ab 65 und mehr.

Besonders hoch ist er bei den 30- bis 50-jährigen, die im Zenit ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aktivität stehen. Männer bezeichnen sich häufiger als keiner Kirche oder Religionsgemeinschaft zugehörig als Frauen.

Zwischen den Kantonen und Regionen der Schweiz bestehen sehr grosse Unterschiede. Im städtischen Gebiet ist der Anteil der Konfessionslosen doppelt so hoch wie in den ländlichen Regionen. Und in der französischen Schweiz ist er deutlich höher als in der deutschen und italienischen Schweiz. Ein Bogen der starken Säkularisierung zieht sich von Genf hinauf über die Waadt, Neuenburg, die Region Solothurn, Basel, den Aargau, die Stadt Zürich bis nach Schaffhausen. Am meisten Konfessionslose hat der Kanton Basel-Stadt mit 31,0%, gefolgt von Genf mit 23,0% und Neuenburg mit 22,0%. Am niedrigsten ist der Anteil mit 2 bis 6% in den katholischen Kantonen der Innerschweiz, in St. Gallen, Appenzell Innerrhoden, im Jura, in Freiburg, im Wallis sowie im gemischtkonfessionellen Graubünden.

Pluralisierung der Religionsgemeinschaften durch Migration

41,8 % der Bevölkerung bezeichnen sich als römisch-katholisch (1990: 46,2%), 33,0% als evangelischreformiert (1990: 38,5%). Die beiden grossen Landeskirchen haben gegenüber 1990 nicht nur relativ sondern auch absolut an Mitgliedern verloren (- 363'000 Personen). Konstant blieb der Anteil der evangelischen Freikirchen und der übrigen protestantischen Gemeinschaften (2,2%) sowie der jüdischen Glaubensgemeinschaft (0,2%) und der Christkatholiken (0,2%).

7,1% der Bevölkerung geben an, einer anderen Kirche oder Religionsgemeinschaft anzugehören. 1970 waren es erst 0,7% gewesen, 1990 3,7%. Den grössten Anteil dieser "neuen Religionsgruppen", die in der Schweiz in der Vergangenheit nicht oder nur schwach vertreten waren, stellen die Angehörigen islamischer Glaubensgemeinschaften mit 4,3 % (311'000 Personen) sowie jene christlich-orthodoxer Kirchen mit 1,8% (132'000 Personen). Es folgen die Hindus (28'000 Personen oder 0,4%) und die Buddhisten (21'000 Personen oder 0,3%).

Immer mehr Menschen fühlen sich auch synkretistischen Religionen verbunden, die christliche Glaubensvorstellungen mit solchen aus anderen Religionen verbinden. Diese Pluralisierung ist in erster Linie eine Folge der Migrationen. Von den Personen mit Schweizerischer Staatsangehörigkeit geben nur 1,6% eine der "neuen Religionsgruppen" an, bei den Ausländerinnen und Ausländern sind es 28,1%. Die Verdoppelung der Zahl der Muslime und der Angehörigen christlichorthodoxer Kirchen seit 1990 ist auf die Immigration aus Bosnien-Herzegowina, Serbien, Mazedonien und dem Kosovo seit dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien zurückzuführen. Die Albaner aus dem Kosovo und Mazedonien, die heute die grösste muslimische Gruppe in der Schweiz darstellen, definieren sich allerdings in erster Linie sprachlich-ethnisch und nicht über die Religionszugehörigkeit.

Die Angehörigen der "neuen Religionsgruppen" konzentrieren sich in der Nordwestschweiz, im Grossraum Zürich und in der Ostschweiz. Am höchsten ist ihr Anteil in Basel-Stadt (10,8%), in Glarus und St. Gallen (je 9,8%), Zürich und Schaffhausen (je 9,0%) sowie im Aargau und Thurgau (je 8,5%). In der ganzen lateinischen Schweiz sind die "neuen Religionsgruppen" mit einem Anteil von zwischen 2,7% im Jura und 7,1% in Genf hingegen weit unterdurchschnittlich vertreten (Tessin: 4,6%).

Unterschiedliche Demografie der Religionsgemeinschaften

Die Zugehörigkeit zu einer Kirche oder Religionsgemeinschaft wird meist vonden Eltern auf die Kinder übertragen. Die demografische Struktur einer Religionsgemeinschaft hat daher einen Einfluss auf ihre zahlenmässige Entwicklung. Die Evangelisch-Reformierte und die Christkatholische Kirche, die sich nicht durch Zuwanderung aus dem Ausland erneuern konnten, sind besonders stark gealtert. Bei den Evangelisch-Reformierten sind 26,2% der Kirchenmitglieder 60-jährig und älter, 28,0% sind zwischen 40- und 60-jährig.

Die evangelischen Freikirchen sowie andere protestantische Gemeinschaften sind wesentlich jünger, stärker familienorientiert und haben mehr Kinder. Nur 18,2 % sind über 60-jährig. Diese Gruppen haben auch deutlich mehr ausländische Mitglieder integriert als die Evangelisch-Reformierte Landeskirche.

Die demografische Struktur der Römisch-Katholiken hat sich durch Immigration aus Südeuropa stark verjüngt. Die über 60-jährigen machen 20,2% der Gläubigen aus, die 40- bis 59-jährigen 27,4%. Allerdings sind die Kinderzahlen der Römisch-Katholiken ebenfalls auf das tiefe Niveau der
evangelisch-reformierten Bevölkerung gesunken. Die Generationen der Kinder sind nur halb so gross wie jene der Eltern, so dass sich die Alterung künftig deutlich beschleunigen wird.

Die Angehörigen der "neuen Religionsgruppen" weisen eine ganz andere demografische Struktur auf als die Landeskirchen und die Gruppe der konfessionslosen. Es sind junge Leute, mit einem Anteil an über 60-jährigen von nur 4,6%. Die Kinderzahl in den Familien ist vergleichsweise hoch und die Generationen der Kinder sind fast so gross wie jene der Eltern. Diese Gruppen haben daher ein wesentlich grösseres Wachstumspotential.

Alte Religionsgrenzen verschwinden, neue Scheidelinien entstehen

Durch die Zunahme der Personen ohne Konfession, die wachsende Bedeutung der nicht traditionellen Religionen, die geografische Mobilität und die Zunahme der Mischheiraten haben sich die alten religiösen Grenzen der Schweiz weiter aufgelöst. In einem breiten, mehrheitlich städtischen Gürtel, der vom Genfersee entlang der Jurakette bis zum Bodensee und ins St. Galler Rheintal reicht, gibt es keine deutlich dominierenden Kirchen und Religionsgemeinschaften mehr.

cDie Protestanten sind nur noch im Kanton Bern dominierend (insbesondere im Emmental und im westlichen Berner-Oberland), vereinzelt in Graubünden und bei Schaffhausen, die Römisch-Katholiken in Freiburg, im Jura, im Wallis, im Tessin, in Appenzell Innerhoden und in der Innerschweiz ausserhalb des Raums Luzern.

Die Gebiete ohne konfessionelle Dominanz sind aber nicht homogen. Eine neue Scheidelinie ist entstanden.

Die französische Schweiz weist sowohl einen hohen Anteil an Personen auf, die sich zu keiner Kirche oder Religionsgemeinschaft mehr zugehörig fühlen, sowie einen niedrigen Anteil an "neuen Religionsgruppen". In der Nordwest- und Nordostschweiz sind die "neuen Religionsgruppen" als Folge der Migrationen besonders stark verbreitet. Im Raum Basel, der eine Brückenfunktion einnimmt, überlagern sich die beiden Zonen.

Ein Interview dazu unter dem Titel: "Eine Gesellschaft von Individuen auf der Suche nach Heimat" finden Sie bei der nächsten Meldung.

Anmerkung

(Livenet) Aus Sicht der evangelischen Freikirchen ist die Erhebung ihrer Mitglieder zu tief. Der Verband evangelischer Freikirchen und Gemeinden in der Schweiz (VFG) geht von einer Zahl von 150'000 Mitgliedern und Freunden aus. Die Differenz führt daher, dass nicht alle Freikirchen eine offizielle Mitgliedschaft haben.

Detailinfos: Tabelle

Quelle: BFS

Datum: 31.01.2003

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