Islam-Lehrerin öffnet einer Christin das Tor nach Jericho

Karen Dunham. Über ein Jahr lebt und arbeitet die Amerikanerin nun schon im Flüchtlingslager.
Palästinensische Flüchtlingsfrau.
Blick aus einem der drei Lager.

Karen Dunham arbeitet in Jericho. Die Christin engagiert sich dort in mehreren Flüchtlingslagern. Livenet besuchte die Amerikanerin in dieser palästinensischen Stadt.

In der Jordansenke ist es fast immer heiss. Alles ist staubtrocken. Die Sonne scheint Überstunden zu schieben. Das ist Jericho, die tiefstgelegene Stadt der Welt. Ihre 16'000 Einwohner feiern sie auch als «älteste Stadt der Welt». Heute umfasst sie auch mehrere palästinensische Flüchtlingslager. In dieser abgeriegelten Ortschaft nahe dem Toten Meer lebt und arbeitet die Amerikanerin Karen Dunham.

Livenet: Karen Dunham, Sie leben hier in Jericho. Wie sind Sie als Amerikanerin hierhergekommen?
Karen Dunham: Ich war einmal zu Besuch in Israel. Dann bin ich zurückgekehrt, um Missionarin in Jerusalem zu werden. Vorher wäre ich in San Diego fast Fernseh-Predigerin geworden. Der Vertrag war bereits unter Dach und Fach. Aber dann hörte ich im Gebet, dass Gott mich nach Jerusalem schickte. Ich einigte mich mit den Fernseh-Leuten und machte mich auf den Weg. Als ich dann dort war, brach gerade der Irakkrieg aus. Ich sprach mit einem Priester. Er sagte zu mir: Wenn Du nach Jericho gehst und den Leuten zu essen gibst, dann gewinnst Du eine Stadt für Jesus.

Das traf mich im Herzen. Aber ich hatte keinen Ruf für die Westbank, sondern ich suchte einen Job und schaute, wo in Jerusalem ich mich engagieren konnte. Da lernte ich eine palästinensische Familie kennen – Christen. Ich hatte gar nicht gewusst, dass es das gibt.

Dann kam die Wende ...?
In gewissem Sinn schon, ja. Ich besuchte die Familie in Beit Jalla, und sie zeigten mir einen Film über zerschossene Autos und Häuser. Sie waren Christen und hatten mit dem Terrorismus nichts zu tun. Es brach mir das Herz, als ich mit dieser Familie zusammensass, mit palästinensischen Christen. Über diesen Besuch hat mir Gott die Augen aufgetan.

Als ich zurück in Jerusalem war, dachte ich, jetzt mache ich einen Trip nach Jericho und schau mich ’mal um. Aber als ich dann dort war, fürchteten sich die Leute vor mir, denn sie hielten mich für eine Jüdin oder eine Spionin. Es gab dort noch keine Amerikaner. Eine Islam-Lehrerin ging auf mich zu und zeigte mir eines der Flüchtlingslager. Ihr Bruder war dort Scheich.*

Das muss ziemlich verrückt ausgeschaut haben: ich allein mit meinem 16jährigen Sohn. Die Leute sind auf mich zugekommen und haben mich gefragt, wo denn mein Mann sei. Ich erzählte ihnen, er habe uns verlassen, als mein Sohn zwei Jahre alt war. Sie haben sehr darüber gestaunt, dass wir jetzt in diesem Camp leben wollten. Sie haben gelacht und konnten das gar nicht glauben.

Der Scheich öffnete also quasi die Türe zu Jericho?
Ja; genauer genommen: seine Schwester. Sie lehrt seit Jahren Islam in der Schule. Aber die Frauen nennt man nicht Scheich. Gott hat sie gebraucht, um uns die Türe in Jericho zu öffnen. Seitdem leben wir im Flüchtlingslager.

Da haben also die Schwester des Scheich und die israelische Regierung zusammengearbeitet ...
Ja. Als wir zum ersten Mal hierher kamen, hatten wir stundenlang ausserhalb von Jericho am Check-Point gewartet; wie alle anderen auch. Aber dann sind uns die Soldaten entgegengekommen und haben uns geholfen. Sie haben in die Hände geklatscht und gesagt: Wir sind so dankbar, dass ihr hier seid!

Wofür genau sind sie denn dankbar?
Weil wir den Leuten zu essen geben. Mit den Spenden, die wir bekommen, können wir vielen Leuten helfen. Über unsere Arbeit und die Menschen in den Camps haben wir auch eine DVD gemacht. Die Soldaten fragten uns, ob sie den Film sehen könnten. Selbstverständlich konnten sie das. Sie haben dann gesagt: Ihr seid die ersten, von denen wir wissen, dass sie auch wirklich helfen wollen. Dort am Check-Point zeigte mir einer der Soldaten Bilder von Entwicklungshelfern aus aller Welt, die sich angeblich in der Westbank für die Flüchtlinge einsetzen würden. Er fragte, ob ich je einen von diesen ihnen bei der Arbeit gesehen hätte. Ich musste gestehen: Nein. Ich lebe jetzt schon ein ganzes Jahr hier und hab noch keinen von ihnen zu Gesicht bekommen. Irgendwo muss da ein Knoten in der Pipeline sein. Sie meinen es bestimmt gut, aber irgendwo bleiben die Ressourcen stecken. Ich lebe ja mit den Leuten hier und sehe, dass sie keine Hilfe von irgendwem kriegen.

Und welche Hilfe bringen Sie?
Wir geben den Leuten Reis, Makkaroni, Mehl und zu trinken. Wenn jemand hungrig vorbeikommt, haben wir immer einen kleinen Sack Reis. Wir sagen ihnen, sie sollen ihre Kinder nicht hungern lassen. Die UNRWA, das UNO-Flüchtlingswerk für die Palästinenser, hatte einer zehnköpfigen Familie Reis gegeben. Für zweieinhalb Wochen hat es gereicht, dann war fertig. Auch das Budget des Roten Kreuzes reicht nicht. Es gibt kein Hilfswerk für Jericho.

* Scheich ist der Titel eines Islamlehrers in den Moscheen.

Lesen Sie morgen Teil 2: «Warum schenken Christen den Moslems etwas?»

Datum: 05.01.2005
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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