Psychologe: Stars sind "Ersatz" für Heilige

Hände
Verehrung über den Tod hinaus.
Diego Maradona auf dem Höhepunkt seiner Karierre.
Jesus

Der moderne Starkult ersetzt nach Überzeugung des Kasseler Wissenschaftlers Michael Rappe für viele die Heiligenverehrung früherer Zeiten. Die Fans der Stars benutzten ihre Idole als "säkularisierte Ersatzheilige", schreibt der Dozent für Poptheorie in der in Weinheim erscheinenden Zeitschrift "Psychologie Heute".

Manche Fan-Gemeinden erinnerten an Orden oder Bruderschaften. Nach dem Tod eines Stars entwickeln dessen Anhänger Rappe zufolge Verehrungsformen, die an die Heiligenverehrung in katholischen Ländern erinnern. So pilgeren bis heute Fans von Elvis Presley an dessen Grab.

Harmlose Formen des Starkults sind nach seiner Erkenntnis vor allem in Jugendzimmern anzutreffen. Eine US-amerikanische Studie unterscheidet laut "Psychologie heute" drei Grade eines "Star-Anhimmelungssyndroms". Beim ersten Grad zeigen die Fans gesellschaftliches Interesse an ihrem Star. Bei der nächsten Stufe entwickeln sie eine emotionale Beziehung zu ihm. Beim letzten Intensitätsgrad bestimmt die Verehrung des Idols weite Lebensbereiche. Von einer ernsten Erkrankung sprechen die Psychologen, wenn der Verehrer in dem Wahn lebt, seine Gefühle beruhten auf Gegenseitigkeit.

"Maradona-Kirche"

400 Fans hatten sich letzes Jahr für den argentinischen Fussballstars Diego Maradona etwas Absurdes einfallen lassen. Sie gründeten eine "Kirche Maradonas". Der Beiname der Gruppierung, "La Mano de Dios" ("Hand Gottes"), ist auf das Tor von Maradona beim 1:0 im WM-Viertelfinale zurückzuführen, das Maradona per Hand erzielt hat und dass er selbst mit der "Hand Gottes" erklärt hatte.

Der Zweck der Vereinigung ist die Vereehrung Maradonas. Besonders absurd: Es gibt ein neues Zeitsystem, das mit dem Geburtsjahr von Maradona beginnt, nämlich 1960. Alle Jahre nach 1960 werden mit der Abkürzung "DD" versehen, was im Spanischen für "seit Diego" steht. Für die bedingungslosen Anhänger Maradonas, die ihrer Begeisterung religiöse Züge verleihen, begann an diesem Tag das Jahr 43 nach Diegos Geburt. "Wir sind alle römisch-katholisch", versicherte Alejandro Veron, Mitbegründer der Maradona-Kirche. "Wir haben einen Gott der Vernunft, das ist Christus, und einen Gott des Herzens, das ist Diego."

Auch "10 Gebote" sind vorgesehen: Sie beginnen mit dem Spruch von Maradona: "Der Ball wird nicht befleckt". Als "Bibel" haben die Sektenmitglieder die Memoiren von Maradona aus dem Jahr 2000 vorgesehen: "Yo soy el Diego de la gente" ("Ich bin der Diego des Volkes").

Zurzeit sorgt Maradona jedoch für andere Schlagzeilen: Nach einer lebensbedrohlichen Krise hat sich der Zustand von Diego Maradona stabilisiert. Entgegen ersten Vermutungen sollen die Herz-Probleme des einstigen Fussball-Idols nicht durch Drogen verursacht worden sein, sondern durch eine Herzmuskelschwäche. Trotzdem – ein vergänglicher Star.

Starkult als Ersatzreligion

Wie wird man in der heutigen Zeit überhaupt berühmt? Früher wurde man durch bestimmte Taten etwas Besonderes; wenn man beispielsweise eine revolutionäre Erfindung machte, oder viel Gutes für die Menschen tat.

Heutzutage zählen drei Aspekte bei den Jugendlichen, die Zielgruppe Nummer 1 der Unterhaltungsindustrie sind. Erstens: Man ist wirklich gut auf seinem Gebiet; das ist vor allem noch bei Sportlern ein wichtiges Kriterium. Zweitens: Man hat die bestechende Mischung aus Schönheit, Ausstrahlung und Sex-Appeal, auf die die Kids abfahren. Und Drittens: Man ist ein "Rebell", mit dem sich die Teens identifizieren können.

Stars werden oft als "Idole" bezeichnet. In Lexika findet man unter dem Begriff die Bedeutung "Götzenbild" und "Abgott". "Seinen" Star also als Idol zu bezeichnen, trifft meiner Meinung nach den Sachverhalt sehr gut. Denn man macht bei der Starliebe im Grunde nichts anderes, als aus dem Star einen Abgott zu schaffen. Egal, was er sagt, man hält jedes seiner Worte für eine Offenbarung. Alles, was er macht, ist toll; es gibt kein Foto, auf dem er nicht "süss" ist. Man kauft sich jede CD, jedes Video, auf dem er zu sehen ist, und alle Zeitschriften, in denen auch nur ein winziger Schnipsel über ihn steht. Man tapeziert sein Zimmer mit Postern des Stars und manche Fans bauen sich einen "Altar" auf, mit einem Foto von ihm, Kerzen drumherum.

Dauerhafte Vorbilder

Einige verlieren jeglichen Bezug zur Realität. Man hofft die ganze Zeit, dass man von seinem Idol bemerkt wird. Man versucht alles, um an ihn heranzukommen. Der Star steht im Mittelpunkt des Lebens, alles andere wird ihm untergeordnet. Wie bei einer krankhaften Sucht dreht sich jeder Gedanke nur um ihn. Von Aussenstehenden wird man nie verstanden, von der besten Freundin nur dann, wenn sie für den Gleichen schwärmt. Man isoliert sich freiwillig von Freunden, Familie und Schule.

Idole sind nicht fassbar. Viele leben mit ihnen ohne sie zu wirklich zu kennen oder zu erreichen, beten sie an. Solche Idole überdauern aber nicht Jahrtausende, manche nicht einmal Jahre oder gar Wochen. Sie sind austauschbar, schnell verbraucht, künstlich geschaffene Gebilde einfallsreicher Geschäftsleute.

Für viele Jugendliche ist Gott weit weg, zu weit. Und Gott ist umstritten. Sie wachsen in einer Gesellschaft auf, die von der Wissenschaft dominiert wird und die Religion kommt oft zu kurz. Stars sind einem näher und lassen einem vom besseren Leben träumen, in der jeder schön und gesund ist, viele Freunde hat und von allen geliebt wird.

Du sollst keine falschen Popstars verehren“

„Du sollst keine falschen Popstars verehren“ ist eines von fünf „elften Geboten“, die Methodisten in Grossbritannien kürzlich prämiert haben. Sie hatten einen Wettbewerb ausgeschrieben, um zu erfahren, was kirchenferne Menschen über Gott denken. Als Anregung verteilten sie 250.000 Bierdeckel in 250 Kneipen und 500.000 Postkarten in Cafés, Kinos und Hochschulen. Aus den rund 2.000 eingesandten Vorschlägen wählte die Kirche die fünf besten aus und prämierte sie mit jeweils einem Handy mit eingebauter Kamera.

Eigene Defizite ausgleichen

Für die Fans scheint es, als sei dem Idol alles vergönnt, was sie selber nicht haben. Das Idol ist begehrt und umschwärmt, es sieht gut aus und hat einen makellosen Körper, der dem jeweiligen Schönheitsideal der Zeit entspricht. Die Verehrung eines Idols kann auch dazu dienen, das eigene mangelnde Selbstwertgefühl zu steigern. Sie kann aber auch dazu führen von den eigenen Fähigkeiten abzulenken, diese geringer zu schätzen, weil man nicht so ist wie das Idol.

Vielleicht aber teilen sie mit den Kultfiguren diesen Wunsch nach öffentlicher Beachtung. Und vielleicht ist diese Sucht nach öffentlicher Beachtung Anzeichen für ein schweres gesellschaftliches Defizit: dass viele Menschen einfach zu wenig Beachtung erfahren, zu wenig Achtung.

In den Superstars und Kultfiguren feiern die Fans auch ihren eigenen Wunsch nach Achtung und Beachtung – und sie drücken damit auch das Defizit an wirklichen Vorbildern aus. Vielleicht ist es ja bezeichnend, dass das Wort "Respekt" gegenwärtig einer der wichtigsten Begriffe der Jugendsprache ist, obwohl doch gerade durch Respektlosigkeit Aufmerksamkeit erzielt wird. Ich glaube, dass gerade viele junge Menschen den Mangel an Respekt, den Mangel an Aufmerksamkeit und an Achtung sehr tief spüren.

Starkult ist in dem Sinne also sehr wohl eine Ersatzreligion, die aber nicht lange von Dauer ist, da beim Erwachsenwerden die bedingungslose Liebe für den Star verloren geht und man sich eher auf sein persönliches Umfeld konzentriert.

Es gibt aber auch Vorbilder welche Jahrhunderte überdauern: Jesus zum Beispiel.

Datum: 21.04.2004
Autor: Bruno Graber
Quelle: Livenet.ch

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