Schriftsteller Adrian Plass über Gefühle, die das Leben beeinflussen

Adrian Plass
“Tagebuch eines frommen Chaoten” - der Bestseller von Adrian Plass

“Humor ist ... die Lust zu lachen, wenn einem zum Heulen ist.” Diese persönliche Einsicht hat der englische Schriftsteller Adrian Plass einst in seinem Bestseller “Das Tagebuch eines frommen Chaoten” eingebunden. Sein letzter Roman “Das Wiedersehen” setzt sich tiefgründig mit Trauer und Ängsten auseinander.

Im Gespräch erklärt Adrian Plass, was Angst über einen Menschen aussagt und was Humor mit Traurigkeit zu tun hat.

Stefan Rüth: Laut einer Umfrage schätzen Ihre deutschen Leser Sie vor allem wegen Ihrer Ehrlichkeit. Angenommen Sie wären Ihr eigener Leser, welchen Eindruck würden Sie von Adrian Plass gewinnen?
Adrian Plass: Wahrscheinlich würde ich denken, dass Plass von sich ein wenig eingenommen ist, vielleicht so eine Art spitzfindiger, subtiler Angeber. Jemand sagte mir einmal, dass ihm meine Bücher vorkommen wie ein lang gezogenes persönliches Beichtgeheimnis. Damit liegt er wohl nicht ganz falsch. Für mich ist Schreiben eine Art Therapie, bei der man keinen Schmerz fühlt. Natürlich gibt es persönliche Wahrheiten oder Grundüberzeugungen, die man weiterzugeben versucht. Aber dazwischen liegen auch eine ganze Reihe von Schichten und Abstufungen – Dinge, über die man nicht spricht, und die man nicht einfach so preisgibt.

Und was würde Adrian Plass über seinen eigenen Humor denken?
Ich selbst habe Gefallen an dem Witz in meinen Büchern. Mein eigener Humor bringt mich immer wieder zum Lachen. Bridget, meine Frau, weiss zum Beispiel immer sehr genau, wenn ich an einem Buch sitze und etwas Lustiges geschrieben habe. Dann hört sie nämlich ein lautes Lachen von mir.

Mit Ihrem neuen Buch “Das Wiedersehen” scheinen Sie nun aber das Fach gewechselt zu haben, in Richtung “tiefgründige Literatur”. Sind sich Humor und Tragik am Ende näher, als allgemein angenommen?
Für mich sind Humor und Tragik eng miteinander verflochten. Sie existieren parallel – im wirklichen Leben wie auch in der Roman-Geschichte. Jeder kennt das: Man spricht gerade über den Tod und jemand kommt dazu, macht eine lustige Bemerkung und alle müssen lachen. Das passiert. So ist das Leben halt.

Wie beeinflussen uns diese beiden starken Stimmungen – Lachen und Trauer?
Zunächst denke ich, dass Gefühle, die mit Trauer oder Fröhlichkeit verbunden sind, nahe beieinander liegen und in ihrem Ausdruck sehr ähnlich sind. Beide rufen grosse Emotionen hervor. Sie öffnen Kanäle im Innern des Menschen und helfen uns dabei, uns zu artikulieren.

So benötige ich zum Beispiel zum Schreiben einen konkreten Anlass. Meist ein starkes Gefühl, das mich bewegt –, und es ist völlig gleich, ob es lustig oder dramatisch ist. Wenn ich ein Musikstück höre, dass mich inspiriert und emotional aufwühlt, wenn mir jemand einen Witz erzählt, durch den ich fröhlich werde, aber auch wenn mir jemand schreckliche Neuigkeiten mitteilt – kann ich viel besser und inspirierter schreiben. Einfach dadurch, dass ich etwas sehr Tiefes empfinde. Diese Gefühle öffnen mir eine Leitung, durch die dann Kreativität strömt.

Und wie verfolgen Sie dann die zunehmenden Meldungen über Terroranschläge in der Welt?
Nun, die haben den gleichen Effekt auf mich. Nicht, dass ich mir darum keine Sorgen mache. Im Gegenteil, ich bin besorgt und traurig. Aber wenn man ein hauptberuflicher Autor ist, macht sich der Kopf beinahe automatisch immer wieder kleine Notizen darüber, wie du dich fühlst, was du erlebst und was um dich herum geschieht. Es ist, als ob ein kleiner Mann ständig am Tisch sitzt und permanent Informationen in seinen Laptop eingibt. Und viele dieser kleinen Notizen fliessen letzendlich in das ein, was ich schreibe. Das trivialisiert Gefühle nicht, es dokumentiert sie vielmehr.

In welcher Rolle gefallen Sie sich denn besser – in der des tiefgründigen oder des humorvollen Schriftstellers?
Ich fühle mich stärker mit dem Humoristen verbunden. Und ob Sie es glauben oder nicht: Das “Tagebuch eines frommen Chaoten” ist eigentlich das ernsthafteste Buch, das ich bisher geschrieben habe. Als ein kleines lustiges Buch hatte es einen ungeheuer grossen Einfluss in England und in einigen anderen Ländern. Doch obwohl es so humorvoll ist, wurde es aus Schmerz und Frustration geboren. Und wahrscheinlich war es ihm genau deshalb möglich, den Schmerz und die Frustration von vielen anderen Menschen aufzufangen, die ähnliches erlebt haben. Es war ein nach aussen hin heiterer, aber für mich ein todernster Weg, mit meinen negativen Gefühlen, der Angst gegenüber der Kirche und dem Leben fertig zu werden. Aber wahrscheinlich werde ich mich nie wieder so unglücklich fühlen, um so etwas zu schreiben (lacht).

In “Das Wiedersehen” treffen sich ein paar alte Freunde, die sich seit 20 Jahren aus den Augen verloren haben und sich nun an einem einzigen Wochenende gegenseitig ihre grössten Ängte schildern sollen. Was sagt für Ihrer Meinung nach die Art der Angst über einen Menschen aus?
Ich denke, eine Antwort gibt der Charakter von Winston in George Orwells Roman “1984”. Winston fürchtete nichts mehr als Ratten. Und als die Bösen ihn am Ende in einen Käfig mit Ratten stecken, ist seine Angst davor grösser als seine Angst vor dem Tod. Sein Widerstand bricht und er bittet sie, dass sie an seiner Stelle lieber seine Freundin nehmen und ihr das antun sollen. Sie brachen ihn und seinen Geist, indem sie ihn mit seiner grössten Angst konfrontierten.

Die Leute in meinem Roman müssen sich der Realität ihres Lebens stellen. Sie kommen an den Punkt, wo sie sagen: “Ich höre auf, eine rational denkende Person zu sein, weil meine Angst so gross ist, dass sie mich überwältigt und mir die Fähigkeit nimmt, so zu leben wie ich es eigentlich sollte.”

Haben Sie persönlich ein Rezept gegen Angst?
Es ist wichtig, dass wir uns unserer Ängste bewusst werden. Und wenn man Christ ist, gehe ich davon aus, dass man seine Ängste ans Licht bringt, an Gottes Licht. Dabei können einem Freunde zur Seite stehen – aber nur gute Freunde, sehr gute Freunde (lacht). Denn wenn man Leuten, die man gar nicht richtig kennt, von seinen tiefen Ängsten erzählt, können allerlei Dinge passieren: Vielleicht bekommen sie Angst vor einem, oder sie verstehen etwas falsch. Und das kann sich dann negativ für das gemeinsame Leben in der Gemeinde auswirken. Wer seine Ängste zu offen mit Fremden teilt, verschlimmert alles nur. Dazu braucht man einen wirklich sehr guten Freund.

Was ist Ihrer Meinung nach die grösste Angst vieler Christen, besonders evangelikaler Prägung?
Vielleicht liege ich falsch, aber ich glaube, eine der Hauptängste ist, dass es keinen Gott gibt. Ich denke, dass nicht wenige Christen Angst haben, dass am Ende alles Unsinn ist. Sie befürchten, dass sie irgendwann den Deckel von der Schachtel nehmen und sich gar nichts darin befindet.

Das rührt daher, dass die christlichen Glaubenssätze auf den ersten Blick irgendwie schlicht erscheinen und man befürchtet, sie würden sich so mir nichts dir nichts in Nichts auflösen. Und wenn dann einer dieser Lehrsätze hinterfragt oder angegriffen wird, fühlen wir uns plötzlich verloren.

Dabei glauben wir doch eigentlich daran, dass Gott ganz nah bei uns ist und dass sein Reich kurz bevorsteht. Doch wenn dieses Wissen nicht tief in uns wurzelt und uns erfasst hat, werden wir von der kleinsten Brise der Veränderung oder aufkommenden Ängsten direkt umgepustet.

Gibt es Ängste, von denen Sie glauben, dass Gott sie uns nicht wegnimmt?
Ich denke, es gibt einige Ängste, die Gott bestehen lässt. Und es wäre doch auch sehr merkwürdig, wenn er abrupt die Persönlichkeit eines Menschen verändern würde. Ich für meinen Teil möchte auch gar keine “zaubermässige” Veränderung an mir erfahren, die mich schlagartig völlig umkrempeln würde. Ich liebe es, als Persönlichkeit langsam zu wachsen und mich in einem Prozess formen zu lassen, bei dem ich ich selber bleiben darf.

Wovor hat Adrian Plass am meisten Angst?
Plass Vor Vergessen und Ausgelöschtsein. Manche Leute fragen mich, ob ich lieber in die Hölle gehen oder einfach nur ausgelöscht im Nichts enden möchte. Und als der dumme Mensch, der ich bin, antworte ich: “Ich würde lieber in die Hölle gehen” (lacht).

Doch damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich will ich nicht in die Hölle! Aber ich finde den Gedanken widerwärtig, dass alles abrupt zu Ende sein soll. Das habe ich auch immer wieder in meinen Büchern angedeutet. Plötzlich soll all das Leben, Lieben, Denken, Fühlen, Essen, Trinken, Gehen, Fahren, Sprechen und der Sex und der gute Wein einfach weg sein? Furchtbar! Und so ist die Vorstellung, dass ich mit meinem Glauben falsch liegen könnte, eine Angst, die tief in mir verwurzelt ist.

Empfinden Sie sich mit Ihrer Art zu denken und zu schreiben manchmal als Aussenseiter?
Heute nicht mehr so sehr wie früher. Damals habe ich einfach über Dinge geschrieben, die viele Leute zwar gedacht haben, von denen sich aber niemand getraut hat, sie auszusprechen. Zum Beispiel Kommentare über die Kirche, oder wie Leute sich verhalten. Humorvoll habe ich das karikiert, worüber andere nur mit heruntergezogenen Mundwinkeln sprechen konnten. Und heute haben mich viele dieser Leute vielleicht verstanden.

Angenommen, Sie dürften als englischer Aussenseiter zwei Dinge im Ausland verändern – welche wären es?
Ich würde sicherstellen, dass das deutsche Fussballteam immer dem englischen Team unterlegen ist – und zwar so, dass es in einem harten, spannenden Match nur durch ein Tor unterlegen ist. Und ich würde dafür Sorge tragen, dass es in Hotels die Möglichkeit gibt, den Tee so zuzubereiten wie es in England üblich ist. Das finde ich, sind zwei sehr wichtige Dinge (lacht).

Zur Person

Adrian Plass lebt mit seiner Frau Bridget und seinen vier Kindern in Sussex/England. Nach einer abgebrochenen Schauspielausbildung nahm er eine Arbeitsstelle in einem Haus für sozial geschädigte Kinder an. Später war er Mitglied in einer christlichen Abendsendung. Zum Schreiben kam er vor rund 20 Jahren aufgrund einer Lebenskrise.

Der fromme Chaot

1987 erschien zunächst in England das “Tagebuch eines frommen Chaoten”. Darin hat hat viele seiner negativen Erfahrungen mit Kirche, Glauben und dem Leben auf eine heitere Art und Weise verarbeitet. Nach anfänglich harscher Kritik, entpuppte sich sein britischer Humor als einzigartiger Stil, christlichen Verschrobenheiten liebevoll den Spiegel vorzuhalten. Mittlerweile zählt zu den beliebtesten christlichen Autoren der Gegenwart, seine Bücher geniessen nahezu “Kultstatus”. Wie in seinen Büchern begeistert er auch auf Vortragsabenden immer wieder durch seine erfrischend-humorvolle Ehrlichkeit.

Der Roman

David, ein Evangelist, der den Tod seiner Frau nicht verwinden kann, lässt sich vor einer alten Bekannten zu einem besonderen Ereignis einladen: Mit ein paar alten Freunden wollen sie zwei Tage zusammen in einem alten Haus verbringen. Schnell kommen die Verletzungen und Ängste aller Beteiligten zum Vorschein ...

“Das Wiedersehen” ist ein sensibler und zugleich herausfordernder Roman über tief greifende Themen wie Glaube, Liebe, Leid, Angst und – die Angst vor der Angst (230 S., Brendow Verlag, Moers, EUR 16,90).

Bücher von Adrian Plass:
www.shop.livenet.ch/index.html?a=17017&k=2

Datum: 22.01.2004
Autor: Stefan Rüth
Quelle: Neues Leben

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