Lara Croft & Co.

tombraider

PC-Heimspiele werden immer besser, realistischer aber auch brutaler. Michael Schumacher endlich einmal zeigen wie man wirklich eine schnellste Runde fährt oder Brasiliens Goalie Claudio Taffarel auch bei Sonnenschein im Regen stehen zu lassen ist ganz nett. Geschmacklos sind dagegen diejenigen Games in denen diverse Gegner, inklusive dem Spezies Mensch, regelrecht niedergemäht werden; und dies sind besonders bei den brandneuen Spielen nicht wenige - wie an der "E3" (Electronic Entertaintment Expo) in Atlanta eindrücklich zu sehen war.

In 57 von den 216 wichtigsten Spielen die an der "E3" (grösste Fachmesse der Welt) vorgestellt wurden, geht es mit MG's, Handgranaten, Flammen- und Säurewerfern und Schwertern ins Gemetzel. Diese Zahl wurde nicht mit jedem Spiel in dem ein Schuss via Colt seinen Besitzer wechselt herbeigezogen sondern äusserst gnädig auf die wirklich brutalen Softwareneuheiten reduziert; wie zum Beispiel im Rollenspiel "Fallout 2" (erscheint Ende 98) worin man dem Gegner beispielsweise mittels Flammenwerfer das Fleisch von den Knochen pustet - das Skelett taumelt einige Schritte rückwärts, kracht gegen eine Backsteinmauer und zerfällt in seine Einzelteile.

Nicht mitgezählt sind Spiele in denen mit einem Roboter andere "Blechmänner" umgenietet werden ("Starship Troopers", "Daikatana", etc.), man andere Raumschiffe und Galaxien zerberstend durch das All zieht ("Babylon 5", "Starcon", usw.) oder man eine liebende, harmonische Gesellschaft aufbaut und die bösen, fiesen Feinde ritterlich bekämpft ("Caesar 3", "Civilization 2", u.ä.). Ebenfalls nicht mitgezählt wurden Stimulationen wie "F-16 Agressor", "F22 Total Air War" oder "Fighter Legends: Europe 1944", obschon bei Bombardements und Flugzeugabschüssen ebenfalls reihenweise Tote auf der Abschussliste zu verzeichnen sind.

Design des Todes

Neu ist die Gewalt am Bildschirm nicht, zugenommen hat aber das Ausmass. Mitentscheidend ist die Grafik und in zweiter Linie der Sound. Während vor zehn Jahren auf Computern wie "Atari ST", "Amiga" und "C-64" mit optisch wenig ansprechenden Figuren herumgegurkt wurde, beeindrucken die heutigen Rechner mit 3D-Charakteren. Vorbei ist die Zeit, wo der abgefeuerte Schuss nur dreimal kleiner war als das 10-Pixel-Männchen von welchem aus dieser abgeschossen wurde ("Time Bandit"); dies bei einer Schussleistung von 20 Schuss innerhalb von 10 Sekunden. 1988 kam ein Automat in die Spielhallen, dessen Grafik war revolutionär; gleich wie die Brutalität des Spiels. Der User steuerte eine Figur dessen primäres Ziel war, andere (natürlich böse) Menschen niederzumähen. Dank dem immensen Waffenarsenal konnten die Gegner auf die unterschiedlichsten Arten niedergestreckt werden. Diverse Leichen- und Körperteile säumten den Weg.

Im Vergleich mit den aktuellen sowie die geplanten Spiele im Hinblick auf das 4. Quartal 98 und anfangs 1999 wird der erwähnte Automat in allen Belangen um Längen geschlagen. Längst kann bei einigen Spielen gewählt werden, ob man den Gegner a) quälen, b) foltern, c) verstümmeln oder d) einfach umbringen soll. Natürlich können diese Punkte beliebig kombiniert werden und selbstverständlich - damit es nicht zu langweilig wird - stehen verschiedene Waffen, von der herkömmlichen Kreis- und Kettensäge bis hin zum Säurewerfer zur Verfügung. Bei "Drakan" (erscheint anfangs 1999) wird zugestochen. Mittels Schwert, werden die über 100 verschiedenen Gegnersorten regelrecht umgeschnetzelt. Nach jedem Stich weicht der Feind schreiend (überzeugende Soundeffekte) weiter zurück, die Eingeweide hängen heraus, Blutlachen liegen auf dem Boden. Nach vier bis fünf weitere Treffer und das Opfer (es war einer der Bösen) liegt ein seinem roten Saft, welcher ihn pumpend verlässt. Das die Gegner nach beendetem Kampf mehrteilig zurückgelassen werden, gehört in verschiedenen, namhaften Produktionen zum guten Ton.

Busen, Babes und Biester

Die Erfolgsformel "Babes und Biester" lockt nicht nur Kids an den Bildschirm. Gewalt von einer Amazone herkommend - wie Rynn in "Drakan" oder Lara Croft in der "Tomb Raider"-Serie -, ist salonfähig geworden. Die teilweise billig aufgemachte Story wird noch nebensächlicher. Schwert-Ramboline Rynn demonstriert nicht nur satten Bussen und knackige Bauchmuskulatur, sondern will sich in ersten Linie für die Niederwalzung ihres Dorfes rächen. Zusammen mit einem Drachen zieht sie ins Gefecht gegen das Böse und da darf schon mal zugelangt werden.

Ein klein wenig mehr Phantasie legte die Softwarefirma "Eidos" an den Tag. Sie stellt sich ganz in den Dienst der Wissenschaft: Man(n) steuert die von Gott mit einem äusserst üppigen Oberkörper gesegnete Archäologin Lara Croft. In "Tomb Raider 2" startet man bei der chinesischen Mauer durchquert diverse Städte wie zum Beispiel Venedig, trifft auf über 1'700 verschiedene Gegner, bekämpft die einem übelgesinnten Banden und sucht vordergründig den "magischen Dolch" (schliesslich kann man ja nicht immer nur nach Gralen und Amuletten und Steinen forschen). Per Internet kann übrigens ein Modus heruntergeladen werden damit Lara hüllenlos noch dem Rechten sieht; unbekleidet schiesst sich leichter. Überhaupt bietet der grössere Teil der (inoffiziellen) Homepages Nacktfotos der schwerbewaffneten, attraktiven Wissenschaftlerin ("Biger den Pamy").

"Tomb Raider 3" führt von London durch Indiens Wüstenlandschaft bis hin zu den Inseln des südlichen Pazifiks. Die Bildung bleibt also nicht auf der Strecke, weder in Geographie noch in der Naturkunde: Laras Pants sind noch knapper, die Waden noch strammer und ihr Top quillt regelrecht über.

Lara & Luxor

Wäre die "Tomb Raider"-Hauptfigur männlich, das Spiel erhielte deutlich weniger Beachtung. Die kesse Zopfträgerin schaffte den Sprung von der CD in die Leitartikel von zahlreichen Illustrierten. Ihr entwaffnendes Aussehen lässt ihre Waffen zu einem natürlichen Ganzen verschmelzen. Von der Gesellschaft etabliert. Meistens. In einer Zeitung war ein übergrosses Inserat von Lara, samt "Vollrohr-MG's" geschaltet. Im Leitartikel auf der gegenüberliegenden Seite wurde der Terroranschlag im ägyptischen Luxor dokumentiert, bei welchem über 70 europäische Touristen wahllos erschossen wurden.

Die zuvor auch von Feministinnen gepriesene Lara (Floskel: "Sie zeigt den Aufbruch der Weiblichkeit.") wurde plötzlich zum geschmacklosen und verbannungswürdigen Subjekt. Plötzlich wurde bemerkt, dass die niedliche, leicht naive Zöpfchenträgerin mit den grossen Unschuldsaugen nichts mehr und nichts weniger als eine brutale Killermaschine verkörpert. Aber die Menschen vergessen schnell. "Tomb Raider 4, 5, 6 und 7" sind lediglich eine Frage der Zeit. Die "Lara Croft-Beauty-Gewehre" werden angepriesen wie die "Barbie Gold-Strähne-Haarbürste". Wenn stört dies. Bereits vor 30 Jahren spielten unsere Vorfahren "Räuber und Poli".

Tod durch Computer

Figuren wie Lara haben sich etabliert. Ausserdem sind sie nur Bestandteile von Computerspielen. Nullen und Einsen. Wir sind aufgeklärt. Fähig zu Unterscheiden. Es sind nur Spiele. Spiele mit Null Einfluss.
Niemand schnappt nach einem Game Kung Fu kämpfend durch Shang Hai's Vorstadt, belästigt mit Mutters Küchenmesser die Kuh des nebenan wohnenden Bauers oder versucht mit Feuerwerk feindliche Destinationen (z. B. Schulen) in die Luft zu jagen. Szenenwechsel. Fernsehprogramm im August 1998. Der TV-Sender ARD strahlt eine Dokumentation über zwei Jungs aus, die ein Auto überholten und dessen Fahrer erschossen. Sie wussten nicht einmal weshalb. Gelernt in einem Computerspiel. Schlechtes Gewissen? Ein Einzelfall. Einer von vielen. Die Kurzmeldungen in den Tageszeitungen unterstreichen dies.
Wissenschaftler, Psychologen und Professoren erheben den Warnfinger deutlich höher als Prediger. Wissentlich. Das Problem vor Augen. Die Gewaltbereitschaft steigt. Die Hemmschwelle sinkt.

Lara positiv?

"Tomb Raider" und "Drakan" sind bei weitem nicht die brutalsten Vertreter ihres Genres, dafür sind sie die unumstrittenen Aushängeschilder. Flugsimulatoren erleichtern das künftige Handling beim Fliegen, dank Sport-Games wird das Wissen im taktischen Bereich geschult und dank Wirtschaftsspielen kann man sich dank dem Spekulationstraining an einem breiteren Geldstrom laben. Was lernt man aber bei Spielen wie "Tomb Raider"? Den täglichen Umgang mit Dämonen oder den Umbau der (weiblichen) Oberkörper in ein Silikon-Valley.

Daniel Gerber mag seine Lara croftig, aber ohne MG.

Datum: 30.05.2002
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Jesus.ch

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