Kosovo vor der Zerreissprobe

Stadt Letnice im Kosovo: Bis ins 18. Jahrhundert war der Kosovo das Zentrum serbischer Orthodoxie und Kultur.
Kloster von Visoki Decani.
Heinz Gstrein

Heinz Gstrein*, Orientalist und Kenner der Ostkirche, durchforstet Medien, die den Puls der Gesellschaft in Südosteuropa spüren. Hier eine Tour d‘Horizon über den Kosovo aus Quellen in albanischer, serbischer und griechischer Sprache.

Als endgültige Lösung für das Kosovo zeichnet sich nun doch seine Aufteilung zwischen Serbien und einem künftig unabhängigen Albanerstaat ab. Anders werden weder Belgrad noch vor allem Moskau dem Plan der Vereinten Nationen für eine Verselbständigung des Gebietes am Amselfeld zustimmen, dem Kosovo polje und daher «Kosovo».

Die vorwiegend historischen Argumente für das Verbleiben der ganzen Region bei Serbien oder ihre gesamte Unabhängigkeit als albanisch beherrschter Staat reichen für eine so einseitige Lösung nicht aus. Kosovo war vom 13. bis ins 18. Jahrhundert ein, wenn nicht das Zentrum serbischer Orthodoxie und Kultur. (*)

Das beweist aber kaum, dass dort nicht auch von Anfang an Albaner gelebt haben: Da sich ihr nationales Selbstbewusstsein und eine albanische Schriftsprache erst im 19. Jahrhundert zu entwickeln begannen, waren die Skipetaren, wie sie sich selbst nennen, lang untrennbarer und unerkennbarer Bestandteil der kirchenslawischen Kulturgemeinschaft. Erst nach der türkischen Landnahme auf dem Balkan werden im Kosovo ab dem 15. Jahrhundert zum Islam übergetretene Albaner als solche greifbar. Die Akademie der Wissenschaften in Tirana hat schon vor der Wende keine Mühe gescheut, das Familie für Familie nachzuweisen. Das ist ihr vor allem im südwestlichen Kosovo gelungen, wo das albanische Fürstenhaus der Dukagjini geherrscht hatte.

Nach der serbischen Version seien die Albaner erst in ein weitgehend entvölkertes Kosovo nachgerückt, nachdem Patriarch Arsenije III. Carnojevic um 1700 seinen Sitz von Pec ins damals österreichische Karlowitz verlegt und die meisten seiner Gläubigen vom Amselfeld mit an die Donau geführt hatte. Jedenfalls: Beim nationalen Erwachen der Albaner spielte Kosovo dann die führende Rolle: Dort waren im späten 19. Jahrhundert zunächst die Liga von Prizren und anschliessend jene von Peja (das serbische Pec) aktiv. (**)

Serben wie Albaner betrachten das Kosovo beide zu recht als die Wiege ihrer nationalen Identität und ihrer Kultur. Um die heute im Norden zurückgebliebene serbische Minderheit in den alt-neuen Staat Serbien hineinzuretten, würde die bereits offen diskutierte Teilung der Region am Fluss Ibar ausreichen. Ebenso lassen sich die südlichen Serben von Strpcel an die Republik Mazedonien anschliessen. Für die orthodoxen Serben schlägt aber auch das Herz ihres religiösen Lebens am Amselfeld. Sie können nicht ihre wichtigsten kirchlichen Zentren von allgemein hohem kulturellen Wert so einfach dem künftig albanischen und damit islamischen Kosovo überlassen. Das umso mehr, als zum Unterschied von den einst duldsameren osmanischen Türken heute bei den albanischen Kosovaren ein radikaler Macht- und Gewaltislam um sich greift. Nicht von ungefähr hat auch der russische Patriarch Alexi II. in seiner letzten Ostbotschaft davor gewarnt, dass jede unkontrollierte Unabhängigkeit für Kosovo dort den Untergang des Christentums und seiner heiligen Stätten nach sich zöge.

Daher gibt es jetzt Bestrebungen, den alten Patriarchensitz Pec und das Kloster von Visoki Decani an Montenegro anzuschliessen, zu dem sie schon von 1913 bis 1945 einmal gehört hatten. Das würde auch drei Dörfern skipetarischer Katholiken zugute kommen, die von ihren muslimischen Landsleuten zunehmend als Albaner zweiter Klasse betrachtet und behandelt werden. Zwar hat sich ihr Bischof, der in Prizren sitzt, inzwischen zur Unabhängigkeit bekannt. Doch versucht er damit offenkundig nur Schlimmerem vorzubeugen.

Das Kloster Gracanica in der Nähe der Hauptstadt müsste hingegen zum serbischen Staatsgebiet inmitten Kosovos, also zu einer Enklave erklärt werden. Dort hat auch der früher in Prizren angesiedelte orthodoxe Bischof seit dem Krieg von 1999 seinen Sitz genommen. (***)

An einer solchen Lösung zeigen sich nicht nur die Serbische Orthodoxe Kirche, sondern ebenso internationale Kirchenkreise interessiert: Sie sehen darin ein Modell, das auch im Heiligen Land und in der Türkei zur Absicherung der letzten, dort in ihrer Existenz bedrohten Christen angewandt werden kann. (****)

Quellennachweis

(*) Die Zeitung «Die Politik, Belgrad» war das internationale Organ des Titoismus und seiner «blockfreien» Idee. Nach dem Zerfall Jugoslawiens stand sie zunächst Milosevic nahe, heute unterstützt sie den gemässigten Nationalismus von Kostunica. Eine Fundgrube für Informationen aus der Serbischen Orthodoxen Kirche.
(**) Die Tageszeitung «Zeri i Popullit», die «Volksstimme» war seinerzeit das Zentralorgan der albanischen Kommunisten. Nach der albanischen Wende vom Februar 1991 hat sie sich langsam zu einem kleinen, aber elitären Intellektuellenblatt gewandelt. Sie erinnert gern an kulturelle Verdienste der kommunistischen Diktatur.
(***) Die Die Republik ist das Organ der demokratischen Reformkreise in Belgrad, kritisch zum vorherrschenden «National-orthodoxen» Kurs. Neuerdings muss sie aber immer öfter und eindringlicher vor der Islamisierung im Kosovo warnen.
(****) Diese «Kirchliche Presse-Agentur» in Athen steht der dortigen orthodoxen Kirchenleitung nahe, ist aber in Angelegenheiten ausserhalb von Griechenland weniger befangen. Gut brauchbar ist sie vor allem bei Informationen aus der serbischen Orthodoxie, aus der Türkei und dem Heiligen Land.

* Nahostkenner Heinz Gstrein lebte mehr als 30 Jahre in der arabischen Welt und recherchierte unter anderem für das «Echo der Zeit» (DRS 1) und die NZZ. Das jüngste seiner zahlreichen Bücher heisst: «Copts in Egypt – A Christian Minority under Siege»

Datum: 10.08.2007
Autor: Heinz Gstrein

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