Eurobarometer: Hälfte der EU-Bürger hält Religion für nicht wichtig

Prag brilliert mit Prachtskirchen…
…doch die meisten Menschen der tschechischen Hauptstadt leben ohne die Kirche.
Für viele ‚aufgeklärte’ Europäer gehört Religion zur Kulturgeschichte…
…doch zugleich wünschen wieder mehr Eltern für ihre Kinder eine religiöse Grundlage.
Gemeinsamer Nenner: nicht die Religion, sondern der Wunsch nach Gesundheit und Genuss.

In Europa gibt es grosse Unterschiede in der Einschätzung von Religion. Die letzten beiden Eurobarometer-Umfragen zeigen, dass ihr Stellenwert in Gesellschaft und Politik geringer eingeschätzt wird als fürs eigene Leben. Die Zahlen zeigen dramatische Unterschiede zwischen den Ländern.

In der Umfrage, die im Auftrag der EU-Kommission im letzten Herbst durchgeführt wurde, gab es insgesamt gleich viele Ja und Nein zur Aussage „Der Stellenwert von Religion ist in unserer Gesellschaft zu hoch“. Während aber 70 Prozent der Malteser und gar 81 Prozent der zypriotischen EU-Bürger der Aussage zustimmten, zeigte sich in Deutschland (33), Holland (31) und Finnland (23) das umgekehrte Bild. Die Demoskopen folgern: “Beim Stellenwert der Religion in der Gesellschaft ist die öffentliche Meinung gespalten.”

Gegen den katholischen Machtanspruch

In Ländern mit (bisher) dominanten katholischen Kirchen wünschen viele Bürger weniger Präsenz der Religionsgemeinschaften: Der anhaltende Säkularisierungsdruck zeigt sich in Italien (63 Prozent sind mit der Aussage über den zu hohen Stellenwert der Religion ganz oder ziemlich einverstanden), Slowakei und Slowenien (56), Polen (55) und Spanien (48). Auffällig ist der Unwille über den Einfluss von Religion auf die Gesellschaft auch im multikulturellen, von Islamisten aufgeschreckten Grossbritannien (53 Prozent), wogegen im ex-kommunistischen Estland wie in Bulgarien bloss 20 und in der besonders stark säkularisierten Tschechischen Republik 27 Prozent zustimmen.

Religion: gesellschaftlich und politisch unwichtig…

Die EU-Demoskopen wollten – und dies wirft ein noch grelleres Licht auf die religiöse Kühle in Europa – auch wissen, welche drei Werte EU-Bürger für sich und für die EU am wichtigsten erachten. Friede, Achtung vor dem Leben und Menschenrechte standen in der persönlichen Werteskala ganz oben (von 52-41 Prozent genannt), Achtung vor anderen Kulturen und Religion (11 bzw. 7 Prozent) ganz unten. Auf die Frage, welche drei Werte die EU am besten charakterisieren, wurden Menschenrechte, Demokratie und Frieden am meisten (38-36 ProzentI) genannt, individuelle Freiheit, Selbstverwirklichung und Religion (3 Prozent) am wenigsten.

…im privaten Leben durchaus bedeutsam

Allerdings ist Religion an sich für Europäer nicht so unbedeutend. Dies deutet das folgende Eurobarometer an, das im November und Dezember 2006 erhoben und am 26. Februar 2007 in Brüssel vorgestellt wurde. Hier wurde gefragt, wie wichtig Religion im Leben sei. Im EU-Durchschnitt nannten 53 Prozent der Befragten Religion als sehr oder ziemlich bedeutsam, 46 Prozent nicht. Allerdings klaffen hier die Länder noch viel weiter auseinander: 88 Prozent der Malteser und 87 Prozent der Polen erklärten, Religion sei für sie wichtig. Auch in den orthodox geprägten Ländern Griechenland und Rumänien liegt der Anteil jener, die dem Glauben für sich einen grossen Stellenwert zumessen, stark über dem EU-Durchschnitt (86 Prozent).

Skandinavier und Tschechen auf Distanz

Mehr als zwei Drittel der Dänen, Esten, Schweden und Tschechen erklärten, Religion sei nicht oder nicht sehr wichtig für sie. Auch viele Spanier (65 Prozent) brachten zum Ausdruck, dass sie sich nicht über ihren Glauben definieren.

Laut TNS-Meinungsumfrage ist die Bedeutung der Religion in den EU-Ländern für Frauen (58 Prozent) grösser als für Männer (45 Prozent). Unterschiede gibt es auch je nach Beschäftigungsart. Rentner und im Haushalt tätige Personen finden mit je 65 Prozent Religion bedeutend wichtiger als etwa Manager (42 Prozent) oder Bürger, die handwerklich tätig sind.

Trendwende bei den Jungen?

Unter Bürgern über 55 Jahren gibt es ebenfalls einen erheblich grösseren Anteil (65 Prozent), die Religion für wichtig halten. Der Anteil der religiös offenen Menschen fällt unter den 40-54-Jährigen auf 49 Prozent und bei den 25-39-Jährigen auf 42 Prozent – interessanterweise steigt er bei den 15-24-Jährigen wieder ein wenig an, auf 44 Prozent.

Befragt wurden im November und Dezember knapp 27'000 EU-Bürger. TNS Opinion & Social, die das Eurobarometer im Auftrag der EU-Kommission erstellt, ist ein Konsortium der internationalen Meinungsforschungsunternehmen TNS (Taylor Nelson Sofres) und Gallup Europe.

Das Eurobarometer ‚European Social Reality’, Februar 2007
Das Eurobarometer 66, Dezember 2006 (EU-Karte zur Religionsfrage auf Seite 45)
Neue Umfrage zur Religiosität in der Schweiz
Bericht über das Eurobarometer zur Religiosität in Europa 2005

Datum: 02.03.2007
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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